Irakischer Patriarch: Schockiert vom Nichtstun des Westens

Erzbischof Louis Sako Der chaldäische Patriarch von Babylon, Louis Raphaël Sako, sieht im Irak einen Bürgerkrieg heraufziehen. Das sagte er am Mittwochnachmittag in einem Interview mit Radio Vatikan. Erzbischof Sako leitet die derzeit am stärksten gefährdete christliche Gemeinschaft des Nahen Ostens; er residiert in Bagdad.

„Das Land erlebt einen chaotischen Moment, es stolpert auf die Teilung zu. Kurdistan ist längst autonom, die sunnitischen Gebiete werden nicht mehr von der Zentralregierung kontrolliert, nur der Süden ist ruhig, weil er im wesentlichen von Schiiten bewohnt wird. Und wir Christen? Wir wissen nicht mehr, wo wir hingehören. Wir haben Angst, und alles ist zerbrechlich geworden, alles wartet auf den großen Knall. Das Risiko eines Bürgerkriegs ist hoch, vielleicht zwischen Sunniten und Schiiten und anderen, und am Schluss kann dann als einzige Lösung der Zerfall des Landes in drei Kantone stehen.“

Er sei nicht der einzige, der mittlerweile fest mit einem Bürgerkrieg rechne, so der Patriarch.

„Auch wenn Sie am Euphratufer irgendeinen Passanten fragen, wird er Ihnen dassselbe sagen.“

Mächtige Staaten – das zielt auf die USA, Russland und den Iran – sollten doch bitte mit nicht-militärischen Mitteln auf die Politiker im Irak einwirken, damit sie zu einer einvernehmlichen Lösung kommen. Dem Patriarchen ist es schon fast gleichgültig, ob diese Lösung in einem einheitlichen oder aber in einem geteilten Irak besteht.

„Falls es einen globalen Plan für eine Teilung des Landes gibt, dann soll man das eben machen – mit einer Übereinkunft! Mit dem Dialog, und nicht durch Krieg!“

Kalifat? „Das ist nichts – nur Propaganda“

Patriarch Sako erinnert daran, dass die islamische Welt jetzt den Fastenmonat Ramadan begehe. Da sollten sich doch die streitenden Muslime im Irak auf einen Waffenstillstand verständigen und um Frieden im Land beten. Die USA hat aus seiner Sicht die „moralische Pflicht, die Streithähne an einen Tisch zu bringen“. Sako ist schockiert über das – aus seiner Sicht – Nichtstun des Westens.

„Die internationale Gemeinschaft ist nur damit beschäftigt, ihre eigenen Interessen zu sichern. Und die Leute interessieren sich mehr für die Fußball-Weltmeisterschaften als für den Krieg im Irak oder anderswo…“

Allerdings hat die Ankündigung der Terrorgruppe Isis, in Teilen Syriens und des Iraks ein islamisches Kalifat wiedereinzurichten, im Westen viel Besorgnis hervorgerufen. Mehr Besorgnis als beim chaldäischen Patriarchen.

„Ach nein, das ist nichts. Das ist nur Propaganda. Isis ist zwar stark, aber nur dank der Allianz mit den Stämmen. Sie haben ein gemeinsames Ziel.“ (rv)

Papst würdigt verstorbenen chaldäischen Patriarchen von Babylon

Delly Emmanuel IIIEine große Figur der irakischen Kirche ist tot. Kardinal Emmanuel III. Delly, der frühere chaldäische Patriarch von Babylon, ist an diesem Mittwoch in einem kalifornischen Krankenhaus gestorben; er war 86 Jahre alt geworden. In Detroit, wo viele seiner Familienangehörigen leben, soll er am Samstag begraben werden.

Papst Franziskus würdigt den Verstorbenen in einem Telegramm als guten Hirten, der viel für gerechte und friedliche Beziehungen mit den Angehörigen anderer religiöser Traditionen getan habe. Er bete für den Verstorbenen, so Franziskus. Auch Kardinalstaatssekretär Pietro Parolin verspricht der Kirche im Irak sein Gebet und erklärt, er fühle mit ihrer Trauer um den früheren Patriarchen.

Emmanuel Delly ist 1927 in der Nähe von Mossul im Irak geboren worden; er studierte in Rom und wurde dort auch 1952 zum Priester geweiht. Das Konzil erlebte er als theologischer Berater mit; 1963 wurde er Bischof im Irak. Im Vatikan half er bei der Revision des Kodex des Ostkirchenrechts mit und beriet den Papst in Islam-Angelegenheiten. 2003, im Jahr der US-Invasion im Irak, wurde er – aus Sicherheitsgründen in Rom – zum Patriarchen von Babylon gewählt und in Bagdad inthronisiert. Die Angriffe auf Kirchen in Bagdad und Mossul konnte der Kirchenführer nicht verhindern, ebensowenig den massiven Exodus von Christen aus dem Irak, oft unter dem Druck von islamischen Fundamentalisten. Dennoch gewann er sich viel Respekt und Bewunderung durch seinen Einsatz für Versöhnung der religiösen Gruppen im Irak. Papst Benedikt XVI. nahm ihn im November 2007 in das Kardinalskollegium auf; 2010 war er Ehrenpräsident der Bischofssynode über den Nahen Osten, zwei Jahre später ging er in den Ruhestand.

Das Patriarchat von Babylon der Chaldäer hat seinen Sitz im irakischen Bagdad. Angaben über die Zahl der Kirchenmitglieder schwanken zwischen 480.000 und einer Million. Durch Abwanderung bestehen grosse chaldäische Gemeinschaften auch in Nordamerika, Australien und in Westeuropa. (rv)