Armut kann sich in Reichtum verwandeln, wenn man ihr richtig begegnet. Das schreibt Papst Franziskus in einem Text, den er als Vorwort für ein Buch des Präfekten der Glaubenskongregation, Gerhard Ludwig Müller, geschrieben hat. Der Text ist außerdem an diesem Mittwoch in der italienischen Zeitung Corriere della Sera abgedruckt. „Povera per i Poveri“, „Arm für die Armen“ heißt das Buch Müllers, es wird am kommenden Dienstag der Öffentlichkeit vorgestellt. Der Text handelt vom Thema Armut. Papst Franziskus legt in dem Vorwort eine Lesart des Begriffs „Arme Kirche für die Armen“ vor, den er seit Beginn seines Pontifikates geprägt hatte. Es ist aber kein „kirchlicher“ Text, der Papst geht viel weiter auf die menschlichen Bedingungen von Zusammenleben und Zusammengehörigkeit ein. Pater Bernd Hagenkord hat den Text für uns gelesen.
Zunächst verursacht das Wort „Armut“ Unbehagen, sie sei etwas Unangenehmes, Schlimmes. Der Westen identifiziere Armut durch das Fehlen von ökonomischer Macht, ihre Vorherrschaft verdanke sich vor allem der enormen Macht, die das Geld heute bekommen habe, „eine Macht, die größer scheint als alle andere,“ beginnt der Papst seinen Text. Deswegen bedeute das Fehlen von wirtschaftlicher Macht politische, soziale und letztlich menschliche Bedeutungslosigkeit, so der Papst. Es gebe viele Formen der Armut, aber die ökonomische Armut sei die, die mit dem größten Grauen betrachtet werde.
Dabei sei das Geld an und für sich etwas Gutes, es schaffe und vermehre menschliche Freiheit, „ein Mittel, das unsere Fähigkeiten vergrößert.“ Aber wie alle Mittel könne es sich auch gegen den Menschen wenden und Menschen voneinander entfernen. Es gebe eine Verbindung zwischen Gewinn und Solidarität, zwischen Verdienst und Gabe, so der Papst, eine „gegenseitige Fruchtbarkeit“. Die Welt habe eine Wiederentdeckung dieser Wahrheit sehr nötig.
Es gebe aber nicht nur die ökonomische Armut: unser Leben – wie Jesus sage – hänge nicht nur von unseren Gütern ab. Wir erschaffen uns selbst, mindestens in der ersten Phase des Lebens hängen wir von anderen Menschen ab und seien bedürftig. Davon sei zu lernen, mutig Solidarität zu praktizieren, diese sei eine unerlässliche Tugend des Lebens selbst.
Diese gegenseitige Abhängigkeit könne man als Schwächung leben, oder aber als Möglichkeit so zu leben, dass alle aufeinander zählen könnten und alle für alle wertvoll seien, jeder auf seine Weise. Das sei aber nur durch eine echte Umkehr zu erreichen, eine neue Weise, sich gegenseitig zu sehen. „Nur wenn der Mensch sich nicht als eine Welt für sich selbst versteht sondern als jemand, der in seinem Wesen mit allen anderen verbunden ist, was ursprünglich mit „Geschwisterlichkeit“ gemeint war, ist eine soziale Lebensweise möglich, in der das Gemeinwohl nicht nur ein leeres und abstraktes Wort bleibt.“
Wenn der Mensch sich so verstehe und auch so lebe, dann ist die ursprüngliche kreatürliche Armut des Menschen, in die er hinein geboren werde, kein Hindernis mehr. Sie werde zu einem Reichtum, der allen zum Vorteil sei. „Das ist die positive Sichtweise, mit der uns auch das Evangelium einlädt, Armut zu betrachten. … Jesus verwandelt das in eine echte Seligpreisung: Selig ihr Armen! (Lk 6:20).“
„Fürchten wir uns also nicht, uns als bedürftig zu sehen“, fährt der Papst fort. Deswegen lobpreise Jesus die „die geistig arm sind“ (Mt 5,3, Einheitsübersetzung: arm sind vor Gott), denn sie haben keine Angst, ganz von Gott abzuhängen (Mt 6,26). Von Gott erhalte der Mensch die Güter, die keine Begrenzungen kennen, nicht einmal den Tod.
Papst Franziskus schließt sein Vorwort mit einem Dank an Kardinal Gerhard Ludwig Müller [das Buch erscheint nach dessen Erhebung, Anm.d.Red], weil er in dem vorliegenden Buch an all das erinnere. Es werde die Herzen aller berühren, die sich die Seiten vornähmen. „Nun, Freunde und Leser, wisst, dass ihr mich dabei und auf diesem Weg ab sofort an eurer Seite findet, als Bruder und Weggefährten,“ schließt der Papst sein Vorwort.
Gerhard Ludwig Müller und die Befreiungstheologie
Fester Teil der Pastoral Gerhard Ludwig Müllers war seit 1988 Seelsorge in den Armenvierteln von Lima, wo er auch nicht an Kritik am örtlichen Klerus sparte, wenn es um mangelndes Engagement für die Armen ging. Er pflegt auch eine Freundschaft mit einem der wichtigsten Befreiungstheologen, dem Dominikanerpater Gustavo Gutierrez. Erzbischof Müller hatte den Theologen Gutierrez 1988 kennen gelernt und seitdem immer Kontakt gehalten. 2008 – bei der Verleihung einer Ehrendoktorwürde in Lima – bezeichnete er Gutierrez’ Lehre als „vollständig orthodox“, gemeinsam mit Gutierrez veröffentlichte Müller 2004 eine Essaysammlung, „An der Seite der Armen“. Im September wurde Gutierrez von Papst Franziskus auf Vermittlung Müllers in Audienz empfangen.
Aber auch Müller selber hat sich immer wieder für den verpflichtenden Charakter des Eigentums ausgesprochen und deutlich die soziale Dimension der Lehre betont. (rv)