Immer konkretere Gestalt bekommen die Neuausrichtung und Strukturreform der Diözese Graz-Seckau. Bischof Wilhelm Krautwaschl wies bei der jüngsten Vollversammlung des Diözesanrates darauf hin, „dass wir auf eine neue Gestalt von Kirche zugehen und nicht das alte System mit weniger Mitteln weiterführen“. Was jetzt anstehe, sei „keine Geldumverteilungsaktion, sondern Bewusstseinsbildung, dass wir uns als Kirche neu aufstellen“. Dazu gehöre auch die Bereitschaft, etwas sterben zu lassen, damit Neues wachsen könne.
Als Vision des Reformprozesses dient ein „Zukunftsbild“ der Diözese. Dessen überarbeitete Fassung soll nach der nunmehr abgeschlossenen Diskussion darüber im Priester- und Diözesanrat sowie der Prüfung durch die Katholisch-Theologische Fakultät Graz am 3. Dezember – zu Beginn des 800-Jahr-Jubiläums der Diözese – in Kraft gesetzt werden.
Am Dienstag war Bischof Krautwaschl in Rom bei Radio Vatikan zu Gast. Dabei sprachen wir mit ihm über den Sinn von Strukturreformen.
„So wie in jeder Diözese stellt man sich angesichts verschiedenster Umstände die Frage: Wie kann’s mit uns weitergehen, wie werden wir unserem Auftrag gerecht, den Gott uns mitgegeben hat? Das ist bei uns seit eigentlich zwanzig Jahren in verschiedenen Schritten schon notwendig geworden, dass wir uns diese Fragen stellen, und jetzt, aufgrund meiner Ernennung und „Erfahrung“, werden diese Dinge hochgehoben, und wir entdecken, dass der Auftrag Jesu die eigentliche Marschrichtung ist, die wir umzusetzen haben.“
Frage: Was heißt das – Strukturen ändern bringt nicht viel?
Nicht nur im Hirnkastl, sondern auch konkret vor Ort
„Also, ich würde sagen: Es braucht beides. Wenn wir katholische Kirche sind, dann sind wir das nicht nur im Hirnkastl, sondern eben auch konkret vor Ort. Aber die große Frage, die sich uns stellt, ist der Auftrag, den Jesus uns mitgegeben hat von Anfang an – und dort heißt es anzusetzen. Der Auftrag Jesus „Geht hinaus und verkündet das Evangelium allen Geschöpfen“ – was heißt das jetzt, heute und hier? Und da kann es schon sein, dass sich in einer hochorganisierten Gegend, so wie wir es in Österreich und im deutschen Sprachraum überhaupt sind, verschiedene Dinge angesetzt haben; und wir schauen jetzt, dass wir diesen ursprünglichen Ideen wieder entsprechen.“
Frage: Wie kommt man denn an diesen Auftrag Jesu heran? Indem man die sogenannten viri probati zu Priestern weiht? Oder indem man Frauen zu Diakoninnen weiht? Oder ist das jetzt auch wieder der falsche Ansatz?
„Ich war vor vier Jahren mit den Dechanten in unserer Diözese unterwegs, auf einer Fortbildungstagung. Da haben wir gesagt: Es gibt verschiedenste Dinge, die sich geändert haben – was ist der Auftrag des Dechanten? Und da sind wir darauf gekommen, dass sich im Grunde vieles verändern lässt. Jetzt habe ich voriges Jahr gesagt: Okay, wir schaffen die Dekanate ab, weil eben manches, anders organisiert, besser rennt. Und auf einmal ist das hochgekommen: Hoppla, da geht es nicht nur um eine Struktur, die wir jetzt herausnehmen, sondern da wird die Frage neu virulent, was es jetzt, heute und hier heißt, das Evangelium zu verkünden. Und danach kommen dann erneut die Fragen, welche Ämter es dafür braucht, welche sind die wirklich sichtbaren Umsetzungsmöglichkeiten, die halt wieder eine Struktur brauchen. Diese eine Frage, die will ich jetzt meiner Diözese einmal gönnen…
Das hängt nicht so sehr von den Ämtern ab
Was heißt das in Graz, diesem Ballungsraum, der immer größer wird, das Evangelium hineinzusprechen? Das hängt zunächst einmal nicht so sehr von den Ämtern ab; diese Fragen kann man natürlich auch stellen und muss man sich auch stellen – sie werden sogar weltkirchlich gestellt. Da sind wir durchaus synchron mit so manchen Veränderungsprozessen, die sich in der Kirche ereignen.“
Frage: „Ja, aber ein Bischof, der sagt ‚Ach, Ämter sind gar nicht so wichtig‘, zieht sich natürlich gleich den Verdacht zu: Der will jetzt nur von den wirklich nötigen Reformen ablenken…
Neu denken ist alles andere als abschaffen
„Und da gibt es noch die nächste Steigerungsstufe, die dann heißt: Wir brauchen keine Priester mehr! Das wird ja auch vielen Bischöfen vorgeworfen. Das ist ein Blödsinn! Ich denke mir: Wir brauchen die Gestalt, in der Kirche lebt. Aber da hat sich manches halt auch… Ich denke da an manche Pfarrer, die darüber klagen, dass sie halt weiß Gott was alles zu machen haben an Verwaltung usw. Ist das wirklich Aufgabe der Priester? Das neu zu denken, das neu in Formen zu gießen, ist alles andere als abschaffen!
Realistisch betrachtet nehmen momentan die Priesterzahlen ab, und dann habe ich in meiner Verantwortung gegenüber meinen Brüdern als Priester auch die Verantwortung zu sagen: Okay, wie können die leben und nicht nur überleben in einer sich ändernden Welt? Wir nehmen wahr, dass sich die Welt um uns herum ändert; das heißt auch, dass wir im Kleinen wie im Großen schauen müssen: Wo ereignet sich Kirche?, und nicht nur: Wo haben wir unsere Mauern gut errichtet, und schauen wir, dass wir die weiter am besten betreuen – das läuft sich ans Ende! Gottseidank merken wir da zunehmend auch auf, weil halt die Geldströme nicht mehr so fließen, wie wir es gewohnt waren.“
Frage: Ist es nicht schwierig, eine Ortskirche praktisch neu erfinden zu müssen, von unten her?
„Wir waren es lange nicht gewohnt. Wir haben jetzt 800 Jahre Diözese Graz-Seckau, wir beginnen das Festjahr am Ersten Adventssonntag… Wenn wir die Worte Jesu „Eure Heimat ist im Himmel“ ernst nehmen, dann dürfen wir uns nicht einrichten. Das mag schwer sein, weil’s ungewohnt ist, aber ich glaube, diese Aufgabe dürfen wir uns nicht ersparen.“
Das Interview führte Stefan Kempis von Radio Vatikan. (rv)