Es ist der richtige Blickwinkel auf Ehe und Familie, um den die Synodenväter von Rom derzeit im besten Sinn des Wortes streiten. Wovon sollte man ausgehen, von der Lehre oder von der Wirklichkeit? Für den italienischen Erzbischof von Ancona, Edoardo Menichelli, ist die Antwort klar: Zuerst gelte es, die „verwirrend verschiedenen Formen“ von Ehe und Familie, die es heute gebe, wahrzunehmen.
„Keuschheit als Fremdwort“
„Heute ist es einfach nicht mehr möglich, alles mit einem klaren Etikett zu versehen! Viele Wirklichkeiten passen gar nicht zu unseren Etiketten. Nur mal ein Beispiel: Bei den Ehevorbereitungskursen sprechen wir von Keuschheit. Da gucken uns diese armen Paare immer ganz erschrocken an: Keuschheit, wie denn? Keusch vorher, keusch dann auch in der Ehe? Sie verstehen ganz einfach das Wort nicht. Wir müssen also in diese neuen Dynamiken eintreten und die Menschen mit Intelligenz, Liebe und auch einer Prise Demut begleiten. Vielleicht mit mehr als nur einer Prise Demut. Denn Eheleute zu sein, ist schwierig.“
Genauso schwierig wie Priester sein, so Menichelli. Er hätte auch sagen können: Wie Synodenvater sein. Wie soll man etwa als zölibatärer Seelsorger den „unperfekten Formen“ heutiger Ehewirklichkeit – die Formulierung ist aus dem Zwischenbericht der Synode vom Montag – gerecht werden? Mehr zuhören, genauer hinsehen, meint erzbischof Menichelli.
„Das Problem ist nicht: Kommunion ja oder Kommunion nein!“
„Das bedeutet: Wir können nicht so tun, als wäre nichts geschehen! Und gleichzeitig können wir nicht so tun, als bräuchten wir die Situationen nicht zu bewerten. Für mich ist das Problem gar nicht so sehr: Kommunion ja oder Kommunion nein. Das Problem ist ein anderes: Ist diese Ehe gültig, ja oder nein? Hat es sie gegeben oder nicht? In meiner Wortmeldung bei der Synode habe ich über die Härte des Herzens gesprochen, die Jesus im Matthäusevangelium den Pharisäern vorwirft. Wieviel Herzenshärte haben wir heute, wenn wir auf dieses große Geheimnis von Mann und Frau blicken, das das lebendige Zeichen des Bundes Christi mit sein er Kirche sein sollte? Sie sehen – wir haben es hier mit einer Begrifflichkeit zu tun, die man erstmal sozusagen verdauen muss…“
Kommunion ja oder nein – das zielt auf die vieldebattierte Frage, ob geschiedene Wiederverheiratete zur Kommunion zugelassen werden sollen oder nicht. Das Thema der wiederverheirateten Geschiedenen war bei den Generalversammlungen in der Synodenaula das am meisten diskutierte – schon das hat viele Beobachter überrascht, außerhalb wie auch innerhalb der Synodenaula. Der Vorsitzende der US-Bischofskonferenz, Erzbischof Joseph Kurtz, bestätigte am Mittwoch auf einer Pressekonferenz, dass auch die Arbeitsgruppen intensiv darüber reden.
„Hinausgehen und Willkommenheißen“
„Das Thema der wiederverheirateten Geschiedenen. Meine Wahrnehmung aus unserer Gruppe ist die Haltung des Willkommen-Heißens. Das war die Tendenz. Was die Frage des Kommunionempfangs betrifft, da war die Tendenz die, dass mehr theologische Vertiefung verlangt wurde, um sicherzustellen, dass unsere Entscheidungen theologisch wohlbegründet sind. Aber das erste Wort ist wirklich der Begriff: Hinausgehen und willkommen heißen.“
Mehr theologische Vertiefung erhoffen sich manche von einem Blick über den ökumenischen Gartenzaun: Orthodoxe Kirchen lassen auch eine zweite Eheschließung zu. Dazu sagt aber der katholische Erzbischof aus Moskau, Paolo Pezzi:
„Unauflöslichkeit der Ehe wird nicht ernst genommen“
„Nicht alle orthodoxen Kirchen haben dasselbe Prinzip und dieselbe Praxis, was den Umgang mit geschiedenen Wiederverheirateten betrifft; aus meiner Sicht nehmen sie die Einheit und Unauflöslichkeit der Ehe oft nicht ernst genug. Bestimmte Elemente könnten wir allerdings übernehmen – da denke ich vor allem an den interessanten Bussweg. In der russisch-orthodoxen Kirche ist die zweite Heirat kirchlich in erster Linie ein Bussakt!“
Erzbischof Pezzi ist ansonsten etwas besorgt darüber, wie sehr die Blickwinkel auf dieser Synode verschieden sind.
„Ich finde, wir müssen vor allen Dingen aufpassen, Lehre und Seelsorge nicht voneinander zu trennen. Denn eine gute Pastoral ist immer auch lehrmäßig gut fundiert, sonst bestände ja Seelsorge darin, dass jeder einfach macht was er will!“
Lackmustest: Kirche und Homosexualität
Ein Lackmustest für das Zusammengehen von Lehre und Seelsorge ist sicher der Umgang der katholischen Kirche mit homosexuell veranlagten Menschen. Der Zwischenbericht der Synode vom Montag hatte angemerkt, diese Menschen hätten „Gaben und Qualitäten, die sie in die christliche Gemeinschaft einbringen können“. Dazu Erzbischof Menichelli von Ancona:
„Jeder Mensch ist ein Geschenk Gottes, nicht wahr? Und jeder hat dem anderen etwas zu geben. In diesem Sinn kann keiner das auslöschen, was ein Homosexueller oder eine Lesbierin zu geben hat! Das Problem ist, was diese Menschen ein Recht nennen und was nicht dem Projekt Gottes entspricht, wie die Bibel es schildert. Hier können wir nun, glaube ich, ganz in Ruhe überlegen: Wir können nicht ins Gewissen der Menschen eintreten, wie ja auch der Papst betont, und wir sind nicht dazu berufen, über sie zu richten. Wir sind dazu berufen, sie zu begleiten, damit auch diese Menschen die Botschaft des Evangeliums verstehen. Diese Botschaft ist nicht gegen sie gerichtet! Sie ist, ganz im Gegenteil, zu ihren Gunsten – in dem Sinn, dass es ihnen helfen kann, ihre Identität zu verstehen und sie zu leben.“ (rv)