Immer deutlicher signalisiert der Heilige Stuhl seine Billigung für die US-Militärintervention im Irak. Als wichtigstes Ziel sieht man im Vatikan die Eindämmung und Entwaffnung der Terrorgruppe „Islamischer Staat“. Der Nuntius in Bagdad, Erzbischof Giorgio Lingua, sagte im Gespräch mit Radio Vatikan:
„Leider greift man ein, um eine Lage zu reparieren, die man hätte vermeiden können. Aber es ist gut, wenn es wenigstens gelingt, jenen Leuten, die keine Skrupel haben, die Waffen aus den Händen zu nehmen.“
Das Hauptproblem im Irak sei „das der Waffen“, fuhr der Nuntius fort.
„Ich frage mich, wie diese Gruppen an so hochentwickelte Waffen kommen. Sie sind ja nicht selber Waffenproduzenten: Sie müssen sie von irgendwoher haben. Ich glaube, das ist in erster Linie ein Bankrott der Geheimdienste. Man muss den Waffenhandel besser kontrollieren und stoppen. Sonst kommt man hier an kein Ende.“
Bereits der Ständige Beobachter des Heiligens Stuhles bei der UNO in Genf, Erzbischof Silvano Maria Tomasi, hatte vor zwei Tagen ein vorsichtiges „Ja“ zur Militärintervention signalisiert, während Papst Franziskus selbst beim Angelusgebet noch am Sonntag von seiner Hoffnung auf eine „wirksame politische Lösung auf internationaler und lokaler Ebene“ sprach. Die Christen im Irak jedenfalls fühlen sich – nicht zum ersten Mal – von der Welt im Stich gelassen. Das bestätigte uns der Weihbischof von Bagdad, Shlemon Warduni. Die chaldäische Kirche hat deshalb am Sonntag einen dramatischen Appell an die Staatengemeinschaft und alle Christen gerichtet. Warduni:
„Die internationale Bereitschaft zur Zusammenarbeit für den Irak ist sehr schwach. Und sie kam spät. Auch Europa und die USA und die Christen in der ganzen Welt haben geschlafen, als das Kalifat kam. Unsere Tragödie wurde anfangs nicht ernst genommen. Deshalb sind wir an diesen Punkt gelangt, von dem der Appell spricht.“
„Bitte, verkauft den Terroristen keine Waffen!“
In dem Appell – er hat die Form eines Offenen Briefs – zeigt sich Patriarch Louis Sako enttäuscht darüber, dass die USA nur die Stadt Erbil militärisch schützen will. Erbil ist Hauptstadt der autonomen Provinz Kurdistan im Nordirak. „Die Amerikaner wollen nicht die Stellungen des ‚Islamischen Staats’ in Mossul und der Ninive-Ebene angreifen – also fassen sie keine schnelle Lösung ins Auge, die Hoffnung geben könnte“, heißt es in dem Schreiben des Erzbischofs. Die Kämpfer des „Islamischen Staates“ haben alle Christen aus Mossul vertrieben und terrorisieren sie auch in ihren Zufluchtsorten in der Ninive-Ebene. Shlemon Warduni fordert im Namen der Christen des Irak:
„Wir wollen einen Eingriff! Jetzt, sofort. Für die Christen, die Jesiden. Arme Leute! Wie viele Kinder sind gestorben, wie viele Frauen entführt, wie viele Männer ermordet. Deshalb haben wir gesagt, die Welt muss einschreiten – sofort. Und verkauft diesen Leuten keine Waffen!“
Am Anfang führten die IS-Kämpfer im Irak, wie Warduni erinnert, eine überraschend milde Sprache. Die ganze Welt habe sich gerne davon täuschen lassen.
„Sie sagten den Christen, geht nicht weg. Dann haben sie begonnen, die Christen aus ihren Ämtern und Arbeitsstellen zu jagen. Dann haben sie ihre Häuser gekennzeichnet. Dann schrien sie: Christen raus. Sie haben sie verjagt oder ermordet, sofern sie bleiben und nicht zum Islam übertreten wollten. Und sie säten Angst in die Herzen aller. Wenn die Leute IS-Kämpfer sehen, fangen sie schon an zu laufen. Zu Tausenden. 200.000 unserer Leute sind geflohen. Die Kirche hat versucht, die Leute irgendwie unterzubringen, und für die meisten ist das sogar gelungen. Wir rufen die ganze Welt an: Bitte, tut etwas! Bitte, helft uns! Bitte, verkauft keine Waffen!“
Das Grundproblem im Irak ist aus Sicht Wardunis und auch des Heiligen Stuhles politischer Natur: Es ist das Fehlen politischer Einheit. Eine Vielzahl gesellschaftlicher, ethnischer und religiöser Gruppen steht sich teils unversöhnlich gegenüber. Im April hat der Irak gewählt, eine Regierung ist noch immer nicht entstanden. Präsident Fuad Masum hat nun endlich den schiitischen Politiker Haidar al-Abadi mit der Regierungsbildung beauftragt, der versprach, die Gruppen des Irak an der Regierung zu beteiligen.
„Koalition Bagdads mit den Kurden wäre besser…“
Der bisherige Amtsinhaber Nuri al-Maliki, ebenfalls Schiit, legt sich quer. Maliki steht freilich bei Sunniten und Kurden in schlechtem Ansehen. Sie werfen ihm vor, wegen der politischen Ausgrenzung der Sunniten für das Desaster „Islamischer Staat“ verantwortlich zu sein. Weihbischof Warduni:
„Das ist eines der größten Probleme: Die Regierung und alle anderen Parteien müssten an einem Strang ziehen. Aber sie gehen in Deckung, statt zu sagen: Gehen wir zu den Kurden, bilden wir jetzt einen Block zusammen mit ihnen, der die Stärke des Irak zeigt, wir wollen keinen Krieg, wir wollen keine Toten, wir wollen unsere Rechte. Frieden und Sicherheit! Würde die Regierung mit den Kurden koalieren, wären die Dinge sicher besser.“
Der Nuntius in Bagdad stellt die komplizierte Regierungsbildung in Bagdad in einen größeren Zusammenhang.
„Ganz gewiss, es braucht eine Regierung, die alle Volksgruppen miteinbezieht. Sonst wird der Staat immer schwächer. Es ist aber auch klar, dass die Demokratie ihre Zeiten braucht; man kann nicht erwarten, dass sie sich sofort herstellen lässt. Die Demokratie muss auch die Minderheiten miteinbeziehen, alle jene Gruppen, die schwächer sind oder andere Ansichten haben. Das ist ein Weg, der Zeit braucht, den man aber beschreiten muss. Andernfalls wird man nie aus dieser Pattsituation herauskommen.“
In diesen Tagen wird als persönlicher Gesandter des Papstes Kardinal Fernando Filoni im Irak erwartet. Erzbischof Lingua wird nicht nur einen Landsmann, sondern auch einen Vorgänger empfangen: Kardinal Filoni war 2001 bis 2006 Nuntius in Bagdad. Lingua misst dem Besuch des päpstlichen Gesandten eine moralische Bedeutung zu:
„Ich glaube, das ist eine Geste, die von der Bevölkerung sehr geschätzt wird. Das Wichtige ist, dass sie sich nicht verlassen fühlt. Materiell kann dieser Besuch aus dem Vatikan natürlich nicht alle Probleme lösen. Aber er kann die öffentliche Meinung sensibilisieren und die Menschen fühlen lassen, dass es da jemanden gibt, dem sie am Herzen liegen. Oft ist es wirklich dieses Gefühl der Verlassenheit, das dazu führt, dass man die Hoffnung verliert.“ (rv)