Es war eine feierliche Zeremonie im Warschauer Königsschloß: Die russisch-orthodoxe Kirche und die katholische Kirche Polens wollen sich und ihre Völker untereinander aussöhnen. Dazu unterzeichneten ihre Spitzenvertreter am Freitag Mittag in der polnischen Hauptstadt eine Gemeinsame Erklärung: „Botschaft der Versöhnung an die Gläubigen unserer Kirchen, an unsere Nationen und an alle Menschen guten Willens".
„Unsere Brüdervölker sind nicht nur durch ihre Nachbarschaft vereint, sondern auch durch ein reiches ost- und westkirchliches Erbe", betont der Text. Er bekennt sich zum „Weg eines ehrlichen Dialogs", um „die Wunden der Vergangenheit zu heilen". Für die russische Seite setzte der Moskauer orthodoxe Patriarch seine Unterschrift unter das Dokument; Kyrill I. hält sich derzeit – auch das schon ist eine Premiere – zu einem offiziellen Besuch in Polen auf. Für die polnische Seite unterzeichnete der Vorsitzende der Bischofskonferenz, Józef Michalik, der die Initiative trotz mancher Kritik vom rechten Rand der polnischen Kirche durchgesetzt hat. „Das ist ein historischer Schritt für unsere beiden Völker", meinte Erzbischof Michalik in einer kurzen Ansprache. „Vielleicht sind einige perplex über diesen Schritt. Aber wir tun ihn im Geist des Evangeliums."
„Wir appellieren an unsere Gläubigen, um Verzeihung zu bitten für die Beleidigungen, die Ungerechtigkeiten und für alles gegenseitig angetane Unrecht", heißt es in der Gemeinsamen Erklärung. Und weiter: „Wir sind davon überzeugt, dass das der erste und wichtigste Schritt ist, um das gegenseitige Vertrauen wiederherzustellen, ohne das es keine dauerhafte menschliche Gemeinschaft und keine volle Versöhnung gibt." Vergebung bedeute nicht Vergessen; die „schwierigen und tragischen" Kapitel der russisch-polnischen Geschichte müssten von Historikern beider Seiten aufgearbeitet werden. „Wir sind davon überzeugt", so die beiden Kirchen, „dass eine dauerhafte Versöhnung als Fundament einer friedlichen Zukunft nur auf der Basis der vollen Wahrheit über unsere gemeinsame Vergangenheit möglich ist." Jeder Pole solle in jedem Russen, und jeder Russe in jedem Polen, „einen Freund und Bruder sehen".
Wie angekündigt gehen die Kirchen in ihrer Erklärung nicht auf die historischen Streitfragen zwischen Polen und Russland ein. Stattdessen beschreiben sie in dem Dokument ausführlich das gemeinsame Ziel, die christlichen Werte in der heutigen Zeit zu verteidigen. Kyrill I. hatte am Donnerstagabend bei einem Empfang am Sitz der katholischen Bischofskonferenz gesagt: „Überlassen wir die Geschichte den Historikern und das, was heute real ist, uns – den
Hirten." Beide Kirchen würden heute in ihren Ländern angegriffen. In Russland gebe es zunehmend eine antikirchliche Stimmung, unter anderem gegen den neuen Religionsunterricht in den Schulen. In Polens Parlament verlange eine Partei, das Kreuz aus dem Sitzungssaal zu entfernen.
Die polnisch-russischen Beziehungen sind unter anderem wegen der Rolle der Sowjetunion zu Beginn des Zweiten Weltkriegs und der Ermordung polnischer Kriegsgefangener bis heute belastet. Sowjetische Truppen hatten Polen zwar 1944/45 von den deutschen Besatzern befreit, dem Land aber ein moskautreues Regime aufgezwungen. Russische Historiker wiederum machen Warschau für den Tod Tausender sowjetischer Kriegsgefangener während des polnisch-sowjetischen Kriegs Anfang der 1920er Jahre verantwortlich.
Der Vorsitzende der Polnischen Bischofskonferenz, Erzbischof Jozef Michalik, hatte am Donnerstag erklärt, die Versöhnungserklärung habe keinen politischen Charakter. Es handele sich um ein ausschließlich religiöses Dokument. „Das ist ein seelsorgerischer Akt", so Michalik. Die russisch-orthodoxe Kirche ist mit rund 150 Millionen Mitgliedern die mit Abstand größte orthodoxe Nationalkirche. Sie zählt fast alle ehemaligen Sowjetrepubliken zu ihrem Territorium. In Polen hat die katholische Kirche traditionell großen Einfluss. Mehr als 95 Prozent aller Bürger des Landes sind katholisch getauft. Etwa 400.000 der mehr als 38 Millionen Polen sind orthodox. (rv)