Papst fordert „neuen Humanismus der Arbeit“

Papst FranziskusFranziskus hat einmal mehr die hohe Jugendarbeitslosigkeit in einigen Ländern Europas beklagt. Im Vatikan empfing er am Samstagmittag Italiens christliche Arbeiterbewegung. In seiner Ansprache kritisierte er Ausbeutung und „Sklavenarbeit“ und rief nach einem „neuen Humanismus der Arbeit“.

Franziskus kam etwas verspätet zur Audienz und bat dafür auch um Entschuldigung; doch in seiner Ansprache erlebten ihn die Arbeiter aus ganz Italien mit ihren Familien dann engagiert wie immer, wenn’s um das Thema Arbeit und Menschenwürde geht. „Wir brauchen einen neuen Humanismus der Arbeit, denn wir leben in einer Zeit der Ausbeutung von Arbeitern – einer Zeit, in der die Arbeit nicht wirklich im Dienst der Menschenwürde steht, sondern Sklavenarbeit ist! Wir brauchen einen neuen Humanismus der Arbeit, bei dem der Mensch im Zentrum steht und nicht der Profit; bei dem die Wirtschaft dem Menschen dient, statt sich des Menschen zu bedienen!“

Mit Verve warnte der Papst vor der in Italien endemischen Schwarzarbeit. In der Arbeitswelt „und überhaupt in jedem Ambiente“ müsse man ganz neu zur „Ehrlichkeit“ erziehen; Schummeleien und Betrügereien seien „des Menschen unwürdig“, das Herz solle „frei bleiben“.

„Denn sonst kommt es zu einer verkehrten und schädlichen Mentalität: der Illegalität nämlich. Sie führt zur Korruption des Menschen und der Gesellschaft. Illegalität ist wie eine Krake: Man sieht sie nicht, sie ist versteckt, unter Wasser, aber mit ihren Fangarmen hat sie alles im Griff und vergiftet es, sie verschmutzt und wirkt Böses.“

Der heilige Paulus habe mal geschrieben, wer nicht arbeite, der solle auch nicht essen: „Auch damals gab es Leute, die andere arbeiten ließen, um selbst zu essen“, kommentierte Franziskus, abweichend von seinem vorbereiteten Text. Heute hingegen wollten viele arbeiten, fänden aber keine Stelle. Junge Leute, die arbeitslos seien, nannte der Papst „die neuen Ausgeschlossenen unserer Zeit.

„Stellt euch mal vor: In einigen Ländern unseres Europa gibt es eine Jugendarbeitslosigkeit von etwa vierzig Prozent. Was macht denn ein Jugendlicher, der keine Arbeit hat? Wo endet er? In der Drogenabhängigkeit, der Krankheit, dem Selbstmord? Nicht immer werden die Selbstmordstatistiken von Jugendlichen veröffentlicht. Das ist ein Drama! Das Drama der neuen Ausgeschlossenen unserer Zeit – sie werden ihrer Würde beraubt. Menschliche Gerechtigkeit verlangt Zugang zur Arbeit für alle!“

Menschen, die in Schwierigkeiten seien – etwa junge Paare, die mangels Arbeit keine Familie gründen können – bräuchten „keine Predigten“, sondern „konkrete Hilfe“, so Franziskus. (rv)

Große politische Grundsatzrede des Papstes

Papst FranziskusAlle Jahre wieder, immer kurz nach Neujahr, empfängt der Papst das beim Heiligen Stuhl akkreditierte Diplomatische Corps, also Botschafter aus aller Welt. Und dabei holt er traditionell aus zu einer ausführlichen Analyse der Weltlage. So auch an diesem Montag: Franziskus machte schon in den ersten Worten seiner Rede klar, dass die Welt aus seiner Sicht derzeit „von so vielen Übeln geplagt und bedrückt“ ist. Dennoch fand er bei seiner Tour d’horizon durchs Internationale auch einiges Positive. Hier sind die grundlegenden Gedanken aus der Papstrede.

Nein zur Gewalt im Namen Gottes

„Niemals kann man im Namen Gottes töten“: Das war der Ausgangspunkt des Papstes. Das Weihnachtsfest habe uns gerade daran erinnert, dass „jede authentisch gelebte religiöse Erfahrung nur den Frieden fördern“ könne. „Das Geheimnis der Menschwerdung zeigt uns das wahre Gesicht Gottes, für den Macht nicht Gewalt und Zerstörung bedeutet, sondern Liebe, und für den Gerechtigkeit nicht Rache bedeutet, sondern Barmherzigkeit.“

Damit war auch schon das Stichwort Barmherzigkeit gefallen, das für den Papst grundlegend ist; man denke nur an das derzeit laufende „Heilige Jahr der Barmherzigkeit“. Er habe es, so sagte Franziskus, absichtlich in Zentralafrika beginnen lassen, also in einem von Gewalt tief verwundeten Land. „Dort, wo der Name Gottes missbraucht worden ist, um Unrecht zu verüben, wollte ich gemeinsam mit der muslimischen Gemeinschaft der Zentralafrikanischen Republik bekräftigen: „Wer behauptet, an Gott zu glauben, muss auch ein Mensch des Friedens sein“ und folglich ein Mensch der Barmherzigkeit… Nur eine ideologische und irregeleitete Form von Religion kann daran denken, durch vorsätzlichen Mord an wehrlosen Menschen im Namen Gottes Gerechtigkeit zu erweisen, wie es in den blutigen Terroranschlägen der vergangenen Monate in Afrika, Europa und im Nahen Osten geschehen ist.“

Hauptakzente des letzten Jahres aus Vatikansicht: Barmherzigkeit und Familie

Barmherzigkeit war, so stellte es Franziskus an diesem Montag dar, sozusagen der Leitfaden seiner Reisen im vergangenen Jahr: nach Sri Lanka und auf die Philippinen, nach Bosnien, Lateinamerika, Kuba und in die USA. Ein weiterer Schwerpunkt seiner Reisen und überhaupt seines Handelns (vor allem der von ihm geleiteten Bischofssynode) sei der Einsatz für die Familie gewesen, die ja „die erste und wichtigste Schule der Barmherzigkeit“ sei – eine Formel, mit der der Papst die zwei Hauptakzente verklammerte.

„Leider wissen wir um die zahlreichen Herausforderungen, mit denen sich die Familie auseinandersetzen muss in dieser Zeit, in der sie bedroht ist durch zunehmende Bemühungen einiger, die Institution der Ehe selbst neu zu definieren, durch Relativismus, durch die Kultur der Kurzlebigkeit und durch mangelnde Offenheit für das Leben.“

Franziskus zeigte sich besorgt über die „individualistische Mentalität“ in vielen Gesellschaften. Sie sei der „Nährboden“, auf dem ein „Gefühl der Gleichgültigkeit gegenüber dem Nächsten“ reife. Das führe letztlich dazu, dass man mit Mitmenschen so umgehe, als seien sie „bloße Handelsware“; „zynisch“ werde man dadurch und „feige“. „Sind das denn nicht die Gefühle, die wir oft gegenüber den Armen, den Ausgegrenzten, den Letzten der Gesellschaft hegen? Und wie viele Letzte haben wir in unseren Gesellschaften!“ Damit war der Papst beim Thema Migration.

Migrations-Notstand und Flüchtlingsströme

„Massives, gewaltiges Phänomen“, „unvermeidliche Angst“, die es begleitet – so blickte Franziskus auf die Migrationsströme „vor allem in Europa“, aber auch in anderen Teilen der Welt. Er rückte das Geschehen in eine biblische Perspektive. „Tatsächlich erzählt uns die ganze Bibel die Geschichte einer Menschheit auf dem Wege, denn das In-Bewegung-Sein ist dem Menschen wesenseigen… Von der Vertreibung aus dem irdischen Paradies bis zu Abraham, der unterwegs ist zum Land der Verheißung; von der Erzählung des Exodus bis zur Deportation nach Babylonien schildert die Heilige Schrift Mühen und Leiden, Wünsche und Hoffnungen, die denen von Hunderttausenden von Menschen gleichen, die in unseren Tagen unterwegs sind.“

Wie einst Mose suchten die Migranten von heute – unter ihnen viele verfolgte Christen – ein Land, „in dem Milch und Honig fließen (Ex 3,17), wo man in Freiheit und Frieden leben kann“, so der Papst. Häufig sei es „extremes Elend“, das sie zur Migration zwinge. „Leider ist bekanntlich der Hunger noch eine der schwersten Plagen unserer Welt, mit Millionen von Kindern, die jedes Jahr verhungern. Es schmerzt jedoch festzustellen, dass diese Migranten häufig von keinem der internationalen Schutzsysteme aufgefangen werden, die auf den internationalen Verträgen basieren.“

Das sei eine Frucht der – von ihm häufig beklagten – „Wegwerfkultur“, urteilte der Papst. Sie bringe Menschen in Gefahr, indem sie sie „den Götzen des Gewinns und des Konsums opfert“. Arme, Behinderte, Ungeborene oder alte Menschen würden aussortiert; die „Arroganz der Mächtigen“ mache die Schwachen „zu Objekten für egoistische Ziele“.

Nein zum Menschenhandel

Auch so ein Thema, das diesem Papst besonders am Herzen liegt: der Kampf gegen Schlepper und Menschenhändler. Dass viele Staaten oder Staatenbündnisse „reguläre Migration“ unmöglich machen, treibt Migranten solchen zwielichtigen Geschäftemachern in die Hände, beklagte Franziskus. „Aus dieser Sicht erneuere ich noch einmal meinen Appell, dem Menschenhandel Einhalt zu gebieten, der die Menschen vermarktet, besonders die schwächsten und schutzlosesten. Immer werden unserer Erinnerung und unseren Herzen die Bilder von Kindern, die im Meer ums Leben kamen, unvergesslich eingeprägt bleiben – Opfer der Skrupellosigkeit der Menschen und der Erbarmungslosigkeit der Natur.“

Das war Franziskus’ Verbeugung vor dem kleinen Aylan Kurdi. Das Foto des Dreijährigen, der auf der Überfahrt von der Türkei nach Griechenland ertrunken ist, hat im September des letzten Jahres viele Menschen bewegt.

Ursachen der Migration beheben

„Einen großen Teil der Ursachen für die Migrationen hätte man schon vor Zeiten in Angriff nehmen können“, stellte der Papst fest. „So hätte man vielen Unglücken zuvorkommen oder zumindest ihre grausamsten Folgen abmildern können.“ Es sei dringend nötig, alles zu tun, „um den Tragödien Einhalt zu gebieten und den Frieden herzustellen“.

„Das würde aber bedeuten, eingefahrene Gewohnheiten und Gepflogenheiten wieder zur Diskussion zu stellen, vom mit dem Waffenhandel verbundenen Fragenkomplex über das Problem der Rohstoff- und Energieversorgung, über die Investitionen, die Finanzpolitik und die politischen Programme für Entwicklungshilfe bis zu der schweren Plage der Korruption.“

Nötig seien „mittel- und langfristige Pläne, die über den Notbehelf hinausgehen“. Das Ziel dabei sei ein Doppeltes: Integration der Migranten in den Aufnahmeländern einerseits, „solidarische Programme“ zur Entwicklung ihrer Herkunftsländer andererseits.

Europa

Vielleicht ist es auch seiner Auszeichnung mit dem Aachener Karlspreis 2016 geschuldet, dass der Papst an diesem Montag ausdrücklich auf die Lage in Europa einging. Es sei mit einem „Flüchtlingsstrom“ konfrontiert, wie es ihn in der jüngeren Geschichte noch nie gegeben habe.

„Die massenhaften Landungen an den Küsten des Alten Kontinents scheinen jedoch das System der Aufnahme ins Wanken zu bringen, das auf den Trümmern des Zweiten Weltkriegs mühsam aufgebaut wurde und immer noch ein Leuchtfeuer der Menschlichkeit darstellt, auf das man sich beziehen kann.“

Die Herausforderung für Europa sei gewaltig, nicht zuletzt angesichts von „Befürchtungen um die Sicherheit“. „Die augenblickliche Migrationswelle scheint die Fundamente jenes „humanistischen Geistes“ zu untergraben, den Europa von jeher liebt und verteidigt. Dennoch darf man sich nicht erlauben, die Werte und die Prinzipien der Menschlichkeit … und der gegenseitigen Solidarität aufzugeben, auch wenn sie in einigen Momenten der Geschichte eine schwer zu tragende Bürde sein können.“

Er sei davon überzeugt, dass Europa „die Mittel“ besitze, „ um das rechte Gleichgewicht zu finden“ zwischen Schutz der eigenen Bürger und Aufnahme der Neuankömmlinge. Das hört sich etwas gewundener an als „Wir schaffen das“… aber im Kern meint es dasselbe.

Viel Lob gab es von Papst Franziskus für Länder, die großzügig Flüchtlinge aufnehmen. Er nannte den Libanon, Jordanien, die Türkei und Griechenland, aber auch Italien. „Es ist wichtig, dass die Nationen an vorderster Front bei ihrer Auseinandersetzung mit dem aktuellen Notstand nicht allein gelassen werden.“ Migration werde „mehr, als das bisher der Fall war, ein grundlegendes Element der Zukunft der Welt darstellen“, da solle man sich nichts vormachen.

Migranten aus muslimischen Ländern

Islamische Terroristen, die sich unter Flüchtlinge mischen, oder Migranten in der zweiten Generation, die in Europa radikalisiert werden und Anschläge verüben – auch auf diese Szenarien ging Papst Franziskus ein. Dass junge Leute mit Migrationshintergrund in ihrem Aufnahmeland in den religiösen Extremismus abrutschten, habe auch mit der „Leere der fehlenden Ideale“ und dem „Verlust der – auch religiösen – Identität“ im „sogenannten Westen“ zu tun.

„Das Phänomen der Migration wirft also eine ernste kulturelle Frage auf, deren Beantwortung man sich nicht entziehen kann. Die Aufnahme kann daher eine günstige Gelegenheit sein für eine neue Einsicht und Öffnung des Horizontes.“ Nicht nur für den Aufgenommenen, der natürlich „Werte und Gesetze“ des Gastgebers respektieren müsse. Sondern auch beim Gastgeber selbst.

„Auf diesem Gebiet erneuert der Heilige Stuhl seinen Einsatz im ökumenischen und interreligiösen Bereich, um einen aufrichtigen und fairen Dialog einzuleiten, der dadurch, dass er die Besonderheiten und die persönliche Identität eines jeden zur Geltung bringt, ein harmonisches Zusammenleben aller sozialen Komponenten fördert.“

Positive Entwicklungen im letzten Jahr

Ja doch, 2015 war nicht nur ein „annus horribilis“, es hatte in internationaler Hinsicht auch sein Gutes. Sagt Papst Franziskus. „Ich denke vor allem an das sogenannte Atomabkommen mit dem Iran, das – wie ich hoffe – dazu beitragen möge, ein Klima der Entspannung in der Region zu fördern, wie auch an die Erzielung des erwarteten Klimavertrags im Laufe der Konferenz von Paris.“

Der Klimavertrag von Paris sei bedeutend; jetzt sei es aber auch wichtig, „dass die übernommenen Engagements nicht nur ein guter Vorsatz bleiben“, mahnte der Autor von „Laudato si’“, der ersten Enzyklika überhaupt zum Thema Umwelt. Froh ist Franziskus auch über die jüngsten Wahlen in Zentralafrika, über die Friedensgespräche in Kolumbien und über Zyperns Herantasten an eine Wiedervereinigung.

Herausforderungen für 2016

„Nicht wenige Spannungen“ hätten sich schon am Horizont „blicken lassen“: Damit meinte der Papst den saudisch-iranischen Konflikt, Nordkoreas Bombentest und den Konflikt in der Ost-Ukraine. Für Syrien und auch Libyen gebe es jetzt immerhin wieder Hoffnungen auf eine „politische und diplomatische Lösung“.

„Andererseits erscheint immer deutlicher, dass nur eine gemeinsame und abgestimmte politische Aktion dazu beitragen kann, die Ausbreitung des Extremismus und des Fundamentalismus aufzuhalten, mit ihren Hintergründen terroristischer Prägung, die sowohl in Syrien und Libyen als auch in anderen Ländern wie dem Irak und dem Jemen unzählige Opfer fordern.“ Welcher Art eine solche „Aktion“ sein müsste, führte der Papst nicht aus; ein Ruf nach Bodentruppen war das jedenfalls nicht.

„Die Herausforderung, die uns mehr als alle anderen erwartet, ist jedoch die, die Gleichgültigkeit zu überwinden, um den Frieden aufzubauen, der ein immer anzustrebendes Gut bleibt.“ Vor allem der Konflikt zwischen Israelis und Palästinensern mit seinen „tiefen Wunden“ harre weiter einer Lösung. (rv)

EU-Bischöfe empört über Kreuzigungen in Syrien

CCEE Der Rat der Europäischen Bischofskonferenzen (CCEE) hat die Kreuzigung von Menschen in Syrien durch die Terrorgruppe Isis scharf verurteilt. In einer Mitteilung äußerte der Bischofsrat „große Empörung“ über die Vorfälle, die „die Religion zur Rechtfertigung von Schnellverfahren“ benutzten. Solche Akte richteten sich „gegen jeden Versuch, Frieden in einem Land zu schaffen, das bereits seit Jahren von einem Brudermord heimgesucht wird“, heißt es in der Mitteilung. Isis-Extremisten hatten nahe der nordsyrischen Stadt Aleppo im Zug der Ausrufung eines islamischen Kalifates acht Männer getötet und gekreuzigt. Ein neunter Mann sei in Al-Bab nahe der türkischen Grenze acht Stunden lang gekreuzigt worden, habe die Strafe aber überlebt, hieß es nach Angaben von Menschenrechtsgruppen. – Die CCEE ist der Zusammenschluss der Bischofskonferenzen in Europa, sie vertritt 34 Bischofskonferenzen. (rv)

Jesuitenorden in Europa will sich neu ordnen

JesuitenDer Jesuitenorden in Europa hat im neuen Jahr vor allem eine große Herausforderung vor sich: seine Restrukturierung. Das sagt im Gespräch mit Radio Vatikan der Präsident der Konferenz europäischer Jesuiten, P. John Dardis. Er nennt auch konkrete Beispiele:

„Wenn ich beispielsweise an das große Land Frankreich denke, so gibt es dort eine Jesuitenprovinz für Frankreich, aber es gibt dann europäische Provinzen, die mehrere Länder einschließen. Es bestehen also bisher große Unterschiede in der Aufteilung der Provinzen in Europa. Meiner Meinung nach muss unser Orden in diesem Kontinent seine Arbeit in dieser Hinsicht verbessern, also sich besser organisieren und weniger bürokratisch sein. Auf der anderen Seite ist mir bewusst, dass Europa ein Kontinent vieler Kulturen und Sprachen ist, und auch dies muss mitberücksichtigt werden.“

P. Dardis wolle aber nicht, dass sich der Jesuitenorden zu einem Großkonzern umgewandelt wird.

„In Spanien gibt es bisher fünf Jesuitenprovinzen mit ungefähr 1.200 Jesuiten. Sie werden sich Ende Juni vereinen und das wird sicherlich ihre künftige Arbeit verbessern. Wenn man nämlich die großen Perspektiven außer Acht lässt, dann verliert man sehr viel und bleibt in der eigenen Kultur hängen. Das ist jedoch nicht der Sinn unseres Ordens und auch nicht der Kirche.“

Es sei nicht einfach, „alte Strukturen“ neu umzugestalten, so P. Dardis. Provinzen wie jene der Slowakei oder den Niederlanden müssen beispielsweise neu überdacht werden.

„Was wir immer vor Augen haben müssen ist, wie wir die Frohe Botschaft in der heutigen säkularisierten Gesellschaft in Europa verbreiten können. Die Schwierigkeit besteht darin, kreative Möglichkeiten zu finden. Aber das ist andererseits auch sehr spannend und bereichernd. Auch muss man beachten, dass die Säkularisation in Frankreich beispielsweise anders ist als in den Niederlanden. Deshalb wird es sicherlich nicht eine einzige Lösung geben, um unseren Orden in Europa neu zu gestalten.“ (rv)

Erzbischof Müller beklagt Pogromstimmung gegen Priester

Erzbischof MüllerDer Präfekt der vatikanischen Glaubenskongregation, Erzbischof Gerhard Ludwig Müller, sieht eine Pogromstimmung gegen die katholische Kirche entstehen. Das sagte er im Gespräch mit der Tageszeitung „Die Welt“. Müllers Aussage stieß u.a. bei der deutschen Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger auf Kritik. Wörtlich zitiert „Die Welt“ den früheren Regensburger Bischof in ihrer Samstagsausgabe mit den Worten: „Gezielte Diskreditierungs-Kampagnen gegen die katholische Kirche in Nordamerika und auch bei uns in Europa haben erreicht, dass Geistliche in manchen Bereichen schon jetzt ganz öffentlich angepöbelt werden. Hier wächst eine künstlich erzeugte Wut, die gelegentlich schon heute an eine Pogromstimmung erinnert.“ In Blogs und „auch im Fernsehen“, so Müller weiter, würden „Attacken gegen die katholische Kirche geritten, deren Rüstzeug zurückgeht auf den Kampf der totalitären Ideologien gegen das Christentum“.

Die FDP-Politikerin Leutheusser-Schnarrenberger erklärte dazu in der „Welt am Sonntag“, Vergleiche mit dem Holocaust seien „geschmacklos, wenn es um unterschiedliche Auffassungen in unserer Gesellschaft zu aktuellen Fragen wie auch der Rolle der Ehe, Familie und eingetragenen Lebenspartnerschaften geht“. Die katholische Kirche müsse sich drängenden Problemen stellen und könne sich nicht durch „Verweis auf vermeintliche Sonderstellung ihrer Verantwortung entziehen“. Zuvor hatte sich bereits der „Humanistische Verband Deutschlands“ (HVD) empört über die Wortwahl von Erzbischof Müller gezeigt. Leutheusser-Schnarrenberger ist Mitglied im HVD-Beirat. Die Grünen-Politikerin Claudia Roth nannte Müllers Äußerung am Sonntag „absolut inakzeptabel“.

Kritik am Dialogprozess

In dem Interview kritisierte Müller auch den Dialogprozess innerhalb der deutschen Kirche. Wörtlich meinte er: „Dialogprozess ist gut. Aber man muss auch über das Wesentliche reden und nicht die gleichen Probleme immer wieder neu auftischen.“ Als Beispiel für immer wieder neu aufgetischte Probleme nannte Müller „die Forderung nach einem sakramentalen Weiheamt für die Frau. Es ist nicht möglich. Nicht weil die Frauen weniger wert wären, sondern weil es in der Natur des Weihesakramentes liegt, dass Christus in ihm repräsentiert wird als Bräutigam im Verhältnis zur Braut“.

Auch eine Akzeptanz gleichgeschlechtlicher Partnerschaften sei „für die katholische Kirche nicht möglich. Solche Partnerschaften sind grundsätzlich in keiner Weise mit den Ehen gleichzustellen.“ Einen Reformstau in der katholischen Kirche sieht Müller nur insofern, als „man die wesentlichen Themen nicht anpackt: die Teilhabe an den Sakramenten, die Kenntnis des Glaubens“. Das Wort Reform dürfe „nicht beschlagnahmt werden, um die eigentliche Erneuerung in Christus zu bremsen“.

Mit Blick auf die Auseinandersetzungen der Kurie mit den Piusbrüdern sagte Müller, dass die Geduld des Vatikans mit den abtrünnigen Traditionalisten nicht endlos sei: „Die Glaubenskongregation hat der Priesterbruderschaft die Dogmatische Präambel vorgelegt. Daraufhin ist bis jetzt keine Antwort erfolgt. Wir warten aber nicht endlos.“ (rv)

Österreich: Islamgesetz in Europa einzigartig

Österreich kann sich im europäischen Vergleich mit einer Sonderstellung schmücken: Seit 100 Jahren gibt es das Islamgesetz, das Muslimen im Land die gleichen Rechte wie anderen staatlich anerkannten Religionsgemeinschaften zugesteht. Die Muslime waren schon seit der Okkupation von Bosnien und Herzegowina in der K.u.K.-Monarchie präsent: Bosniaken dienten in der Leibgarde des Kaisers, es gab muslimische Militärseelsorger und in Wien planten Muslime den Bau einer eigenen Moschee – ein Plan, den allerdings der Ausbruch des Ersten Weltkrieges zunichtemachte. Seit 1912 stehen also die Lehren des Islams, seine Einrichtungen und Gebräuche unter dem Schutz des Staates. Muslime dürfen Stiftungen einrichten, sie haben das Recht der Selbstverwaltung und Selbstbestimmung, solange sie mit dem geltenden Recht nicht in Konflikt geraten. Diese Rechtsstellung des Islams ist im europäischen Vergleich einzigartig. Stefan Schima lehrt an der Universität Wien am Institut für Rechtsphilosophie, Religions- und Kulturrecht, sein Forschungsschwerpunkt liegt auf dem österreichischen und europäischen Recht für Religionsgemeinschaften:

„Österreich ist ein besonderes Land insofern, als bereits im Jahr 1912 ein eigenes Islamgesetz erlassen wurde. Die Erlassung dieses Gesetzes war notwendig, weil 4 Jahre zuvor Bosnien-Herzegowina an das Habsburgerreich gekommen ist. Für Bosnien-Herzegowina galten eigene Regelungen, das Islamgesetz galt nur für die Österreicher und gilt auch heute noch in Österreich. Damals hatten nur Anhänger der offiziell anerkannten Religionsgemeinschaften das Recht der öffentlichen Religionsausübung. Insofern war es sehr wichtig, dass die Anhänger des Islam auch tatsächlich anerkannt wurden."

Diese Anerkennung der Anhänger des Islam galt zunächst nur den etwa 800 Muslimen der hanafitischen Glaubensrichtung, die sich Anfang des letzten Jahrhunderts in Österreich aufgehalten hatten, obwohl sie über keine Gemeindestruktur verfügten. Doch mittlerweile sei sie durch eine Entscheidung des Bundesgerichtshofes auf alle Anhänger des muslimischen Glaubens ausgeweitet. Heute leben nach Schätzungen des Österreichischen Integrationsfonds wieder rund eine halbe Million Muslime im Land. Die Besonderheit des österreichischen Gesetzes im Gegensatz zu den Nachbarn, beispielsweise Deutschland, sei dabei offensichtlich:

„Mit der Anerkennung ist in Österreich auch das Recht bzw. die Pflicht zur Erteilung von Religionsunterricht an öffentlichen Schulen und Privatschulen mit Öffentlichkeitsrecht verbunden. Dieser automatische Mechanismus ist in deutschen Bundesländern nicht anzutreffen. Und seit dem Schuljahr 1982/83 gibt es an den österreichischen Schulen den Islamunterricht."

Übrigens wurde in Österreich auch die Möglichkeit für muslimische Mädchen geschaffen, am Schwimmunterricht mit den so genannten Burkinis und ohne männliche Mitschüler teilzunehmen. Diskussion hatte allerdings eine Studie ausgelöst, die im Jahr 2008 unter Islamlehrern erhoben worden war. In dieser wurden die Lehrer zu ihrem Demokratieverständnis befragt, aber auch, ob es nach dem Islam rechtens sei, Konvertiten – auch mit dem Tod – zu bestrafen. Eine gewisse Anzahl der Lehrer, die den Fragebogen zurück gesandt hatte, hatte die Fragen in einer Art und Weise beantwortet, die schwerlich mit dem Demokratieverständnis Österreichs in Einklang stehen.

„Etwa ein Viertel der Lehrer, die den Fragebogen beantwortet haben, haben ein etwas gespanntes Verhältnis zu Demokratie, aber darüber hinaus gibt es ja die Mehrheit, also dreiviertel, die offensichtlich keine Probleme mit demokratischem Grundverständnis haben. Da dürfen wir auf dem praktischen Boden bleiben, in Österreich sind keine Fälle bekannt, wo es tatsächlich im Sinne eines vollendeten Mordes Wellen geschlagen hätte. Dass es Versuche von Gesinnungsterror gegeben hat und Versuche, Druck auf beispielsweise Konvertiten zum Christentum ausgeübt worden ist, ist in kleineren Milieus geschehen und sollte in dem Sinn keine Sicherheitsprobleme bereiten."

Die so genannten Ehrenmorde habe es zwar auch in Österreich gegeben, dennoch würden die gesetzlichen Möglichkeiten zu deren Verhinderung und Verfolgung sowie die Kooperation mit den schulischen Lehrkräften zur Prävention für ausreichend gehalten:

„In Österreich wird staatlicherseits die Laizität im Sinne einer Trennung von Staat und Religionsgemeinschaften weder gepredigt noch praktiziert, sondern es ist mehr so etwas wie eine neutrale Hereinnahme in dem Sinn, dass niemand ungerechtfertigt bevorzugt behandelt werden darf. Das ist eben diese religiöse Neutralität, die zwar durchaus in gewissem Widerspruch zu manchen islamischen Denkstrukturen steht, aber es zeigt sich ja heute anhand vielfältiger Zusammenarbeit, dass diese Probleme der Ablehnung in der pluralistischen Gesellschaft tatsächlich offensichtlich Minderheitsprobleme des Islams sind." (rv)

CCEE: „Kirche-Staat, und der Islam?“

Welche Rolle spielt der Islam im Verhältnis zwischen Staat und Kirche in Europa? Über diese heikle Frage berät ab Dienstag der Rat der europäischen Bischofskonferenzen (CCEE) in Turin. Als Vertreter der Deutschen Bischofskonferenz (DBK) ist Helmuth Wiesmann dabei, der Geschäftsführer der Unterkommission für den interreligiösen Dialog der DBK. Es ist zwar nicht das erste Mal, dass Vertreter der europäischen Bischofskonferenzen über den Islam sprechen, dafür ist aber die Gästeliste länger, so Wiesmann:

„Muslimische Vertreter sind aber diesmal eingeladen. Denn es geht ja primär darum, dass wir uns verständigen und darüber austauschen, was die Erfahrungen in den jeweiligen Ländern im Bezug auf das Verhältnis Staat-Kirche betrifft. Und wir suchen nach Positionen und diese sollen auf den Prüfstand gestellt werden. Eine Begegnung mit Muslimen ist eine andere Ebene. Wir hatten eine solche Begegnung mit Muslimen vor zwei Jahren in Brüssel durchgeführt. Da gab es eine gemeinsame Tagung."

In Turin wird auch der Kurienkardinal Jean-Louis Tauran sprechen. Er ist im Vatikan für den interreligiösen Dialog zuständig. Weiters wird ein nordafrikanischer Bischof die aktuelle Situation im arabischen Raum erklären. Wiesmann dazu:

„Wir freuen uns, dass der Erzbischof von Tunis, Mahoun Laham, dabei sein wird. Wir hoffen, dass er nicht nur über das Leben dort sprechen wird, sondern uns auch Hinweise geben kann, was ihm besonders wichtig erscheint, wenn europäische Kirchen zum Thema Islam sprechen. In so fern verspreche ich mir eine Bereicherung von dieser Tagung. (rv)