Kardinal Kasper: „Pastorale Herausforderung, nicht Krieg um Lehrmeinungen“

Kardinal Walter KasperKardinal Walter Kasper sieht der bevorstehenden Bischofssynode zum Thema Familienpastoral mit Gelassenheit und Zuversicht entgegen. Auf Polemik wolle er sich nicht einlassen, betonte der emeritierte Kurienkardinal im Gespräch mit Radio Vatikan. In wenigen Tagen soll ein Buch mit Texten von fünf Kardinälen erscheinen, die am Ausschluss von wiederverheirateten Geschiedenen von der Kommunion festhalten wollen. Kardinal Kasper stellt dagegen offen die Frage, ob und unter welchen Bedingungen die katholische Kirche im Einzelfall solche Menschen wieder zu den Sakramenten zulassen kann. Die Texte der Kardinäle Gerhard Ludwig Müller, Walter Brandmüller, Carlo Caffarra, Velasio de Paolis und Raymond L. Burke sind bereits andernorts früher erschienen. Gudrun Sailer sprach mit Kardinal Kasper.

„Natürlich hat jeder das Recht, öffentlich seine Meinung zu sagen. Dagegen ist nichts einzuwenden. Ich habe mich aber gewundert, dass nun die ganze Synode auf einen einzigen Punkt reduziert wird. Es geht um die pastoralen Herausforderungen im Zusammenhang der Neuevangelisierung. Das ist doch viel weiter gesteckt. Es ist eine Insiderproblematik, die hier ins Zentrum gestellt wird. Es geht darum, überhaupt wieder sprachfähig zu werden und über die Schönheit und das christliche Verständnis von Familie zu reden, was heute viele nicht mehr verstehen – es geht um viel grundsätzlichere Probleme als nur dieses. Und zum Zweiten: was ist das für ein Verständnis des Evangeliums – das ist die Frohe Botschaft. Daraus darf man doch keinen Codex von Rechtsvorschriften allein machen und dann sagen, jetzt darf nicht mehr diskutiert werden über diesen Punkt. Damit wird die Synode ja zur Farce. Es hat niemand das Recht, von vornherein zu sagen, was geht und nicht geht. Der Papst will eine offene Debatte, und die soll man führen. Dann in der Synode sehr ruhig im gegenseitigen Aufeinander hören, einer Atmosphäre des Gebets, und dann zum Wohl der Gläubigen heute am Schluss eine Entscheidung fällen. Ich trete in eine Polemik überhaupt nicht ein.“

Die Sorge um die katholische Lehre ist eine zentrale Sorge des Heiligen Stuhles. Können Sie vor diesem Hintergrund Verständnis dafür aufbringen, dass sich in Rom Widerstand regt gegen eine pastoral orientierte Fortentwicklung der Lehre?

„Zweifellos ist die Familie die Zelle der Gesellschaft und die Zelle des kirchlichen Lebens. In der Familie, Ehe und Familie, da kommt Leben und Glauben am engsten zusammen. Es ist eine vitale Lebenswirklichkeit, die zur Ehre eines Sakraments erhoben worden ist. Insofern ist es eine ganz vitale und zentrale Frage für die Kirche, für Ehe und Familie da sein und da Lösungen anzubieten in der Krise, die es heute gibt. Es geht um diese pastoralen Herausforderungen, das ist das Thema der Synode, nicht ein Krieg um Lehrmeinungen. Natürlich, eine Pastoral kann nicht ohne Orientierung an der Wahrheit sein. Aber die Wahrheit ist kein abstraktes System, sondern die Wahrheit ist letztlich Jesus Christus in Person, und wir müssen den Menschen Christus nahebringen. In diesem Sinn muss die Synode an der Wahrheit orientiert sein und Tradition als lebendig sprudelnden Quell und nicht als starres System verstehen.“

Sie beschäftigen sich als Dogmatiker schon seit Jahrzehnten mit dieser Frage. Im Konsistorium vor den Kardinälen haben Sie einen möglichen Weg aufgezeigt, wie man für diese konkrete Situation in Einzelfällen zu einer Lösung kommen kann. Können Sie uns das zusammenfassen: unter welchen Bedingungen und Voraussetzungen wäre es eventuell möglich, wiederverheiratete Geschiedene trotz der Unauflösbarkeit der Ehe zur Kommunion zuzulassen?

„Ich habe eine Frage gestellt, nicht einfach eine Lösung gegeben. Und die Frage habe ich gestellt in Abstimmung mit dem Papst. Darauf lege ich großen Wert. Ich habe gefragt: Wenn eine Ehe gescheitert ist, und leider Gottes scheitern eben heutzutage sehr viele Ehen aus vielfältigen Gründen, dann wird man zunächst alles tun, um das wiederherzustellen. Aber wenn ein Weg zurück nicht möglich ist, wenn jemand eine neue Partnerschaft eingegangen ist, die menschlich gesprochen glücklich ist, gelingt und christlich gelebt wird, wenn da Kinder da sind, dann kann man diese zweite Partnerschaft ja nicht aufgeben ohne neue Schuld. Also muss man sehen, in welcher Weise Gott da eine neue Chance gibt – und Gott tut das. Das ist seine Barmherzigkeit, dass er niemanden fallen lässt, der guten Willens ist. Und jeder tut in seiner Situation, was er tun kann. Und da meine ich, das müsste im Einzelfall pastoral geklärt werden nach einer Zeit der Neuorientierung, man nennt das ,Via poenitentialis‘ – aber die Leute leiden ohnehin genug selber, da braucht man nicht noch große Bußwerke aufzuerlegen. Aber eine Neuorientierung ist notwendig. Dann soll das eine das Sakrament der Buße sein – das ist ja dafür da -, und das Sakrament der Buße bedeutet auch wieder die Zulassung zur Eucharistie. Aber wie gesagt, das ist nicht die Lösung für alle Fälle, vermutlich nur für eine Minderheit von Menschen, die in unseren Gemeinden leben, die darunter leiden und die ein ehrliches Bedürfnis haben nach den Sakramenten, die die Sakramente dringend brauchen, um ihre schwierige Situation zu bewältigen.“

Wie hoch sehen Sie heute die Wahrscheinlichkeit, dass in die Frage des Sakramentenempfangs für die wiederverheirateten Geschiedenen Bewegung kommt?

„Ich bin kein Prophet und kann und will es gar nicht festlegen, was bei der Synode herauskommt. Wir werden jetzt im Oktober zunächst den Status Quaestionis [Stand der Frage, Anm.] festlegen. Die Fragen sind ja auch sehr unterschiedlich in den verschiedenen Kontinenten und Kulturen, es gibt nicht unsere westeuropäischen Probleme ganz allein, es gibt auch andere. Das muss man ein wenig ordnen und bündeln, und dann ist ein ganzes Jahr Zeit, um diese Fragen in den Diözesen, in den Bischofskonferenzen, in den Pfarreien zu besprechen und zu bedenken, und dann wird in einem Jahr darüber entschieden, die Mehrheit der Synode in Gemeinschaft mit dem Papst. Ich sehe dem mit großem Vertrauen entgegen, dass eine Lösung gefunden wird, der die große Mehrheit dann zustimmen wird, die dann der Botschaft des Evangeliums gerecht wird, aber die Botschaft des Evangeliums unter den Bedingungen der Zeichen der Zeit heute zur Geltung bringt, sodass es ein Evangelium der Freude sein wird.“

Wie sehen Sie diese Synode im Lauf des Pontifikates eingeschrieben? Franziskus ist seit eineinhalb Jahren im Amt, und diese Synode wird mit großer Spannung erwartet. Wie sehen Sie diesen Bogen?

„Sicher wird der Papst auch an dieser Synode gemessen werden, denn er will ja das Evangelium den Menschen heute sagen und hat auch das Charisma dafür, das zu tun. Man wird ihn daran messen. Ich habe keine Sorge, dass er diese Probe sozusagen nicht bestehen wird. Es wird eine sehr wichtige Synode sein in diesem Pontifikat, aber es geht nicht nur um dieses Pontifikat, sondern es geht um die Kirche und um die Zukunftsfähigkeit der Kirche, und die entscheidet sich weitgehend in der Familie. In der Familie lernen wir die Sprache, man spricht von der Muttersprache, da wird man eingeführt in die Kultur, in die grundlegenden Werte. Ich selber habe den Glauben nicht gelernt, weil ich Enzykliken gelesen habe, sondern meine Mutter – der Vater war Soldat damals im Krieg – hat mir das beigebracht, man hat das Beten und das christliche Leben in der Familie gelernt, und dazu müssen wir zurückkommen und die Familie zur Kirche im Kleinen, zur Hauskirche machen, wo das christliche Leben wachsen, reifen kann, gerade in einer zunehmenden Diaspora-Situation, wie wir sie bei uns haben, brauchen wir das dringend. Ich denke, das ist wirklich ein Zukunftsprojekt, das bei dieser Synode im Zusammenhang der Neuevangelisierung unternommen wird und dafür brauchen wir auch das Gebet sehr vieler Gläubiger.“ (rv)