Ökumene: Die großen Fragen der Jugendlichen heute

 

Wenn es einen christlichen Pilgerort für Jugendliche in Europa gibt, dann ist das Taizé. Die dort ansässige ökumenische Mönchsgemeinschaft, die Frère Roger Schutz 1940 gegründet hatte, übt ungebrochene Faszination auf christliche und suchende junge Menschen aus, und die Treffen zum Jahreswechsel – diesmal in Basel – sind ähnlich wie die Weltjugendtage Fixpunkte der Gottessuche junger Menschen. Gudrun Sailer sprach mit Frère Alois Löser, dem aus Deutschland stammenden Prior der ökumenischen Gemeinschaft von Taizé.

RV: Frère Alois, was treibt Jugendliche heute um, was fasziniert sie an Jesus – oder was nicht?

Frère Alois: In Taizé haben wir den Eindruck, dass Jugendliche vor allem danach suchen, was ihrem Leben einen Sinn gibt: Wofür lohnt es, sich einzusetzen? Wie kann ich mein Leben (selbst)in die Hand nehmen? Da kann der Glaube Jugendlichen ganz neue Antworten geben.

RV: Sie waren selber 20, als Sie zum ersten Mal nach Taizé gekommen sind, 1974, und Sie sind geblieben. Sie haben Generationen von Jugendlichen begleitet. Sehen Sie, dass die Fragen junger Menschen sich ändern?

Frère Alois: Ja, die Fragen ändern sich. Als ich in den 70er-Jahren hierherkam, standen politische Fragen im Vordergrund, und es wurde viel über den Glauben diskutiert. Das war damals noch leichter, weil mehr oder weniger alle dasselbe Vokabular hatten. Wenn man heute von Auferstehung spricht, dann ist das für viele Jugendliche zunächst ein Fremdwort. Ich glaube, wir müssen viel deutlicher und klarer über das sprechen, was im Zentrum unseres christlichen Glaubens steht.

RV: Taizé ist wie eine große europäische Evangelisierungs-Station. Eingeladen sind alle Jugendlichen, nach einem Bekenntnis wird nicht gefragt, Ökumene und Dialog zwischen Angehörigen verschiedener Religionen spielen eine große Rolle. Ist dieses nicht Abgegrenzte, dieses genuin Religiöse das Geheimnis von Taizé?

Frère Alois: Es gibt kein Geheimnis von Taizé! Wir versuchen ganz einfach, aus der Mitte des Glaubens zu leben. Wir Brüder der Communauté kommen aus verschiedenen Konfessionen, Ländern und Kontinenten; wir wollen ein kleines Zeichen dafür sein, dass gemäß dem Evangelium die Versöhnung, die Christus gebracht hat, eine Kraft ist, die in der Welt wirkt.

RV: In welchen Momenten lässt sich das in Taizé bei den Jugendtreffen spüren?

Frère Alois: Letzten Sommer haben hier zum Beispiel junge Ukrainer und Jugendliche aus Russland eine Woche lang zusammengelebt und am gemeinsamen Gebet teilgenommen. Sie waren bereit, mehr aufeinander zu hören und die Situation des jeweils anderen Landes besser zu verstehen. Das Evangelium ist eine Kraft der Versöhnung, die in der Welt noch viel stärker wirksam werden könnte.

RV: Welche Dinge namentlich an der katholischen Kirche stören Jugendliche heute? Womit kommen sie nicht klar?

Frère Alois: Das ist in den einzelnen Ländern sehr unterschiedlich. Wichtig ist sicher für viele, die Kirche nicht nur als Institution zu erleben, die Regeln erlässt, sondern die vor allem Verständnis zeigt für jede Situation und dann eine Richtung weist. Jugendliche sind heutzutage bereit zu hören, welche Richtung das Evangelium ihnen zeigt. Das Evangelium ist nicht mit allen Situationen und Haltungen einverstanden, aber Jugendliche brauchen das Gefühl: Hier hört mir jemand zu, hier werde ich angenommen, so wie ich bin, mit meinen Fragen und meinen Fehlern. Das ist eine große Erwartung an die Kirche, die an vielen Orten sicher erfüllt wird, aber auf die wir noch viel mehr eingehen müssen.

RV: Warum ist eine katholische Bischofssynode in Rom mit dem Papst über und mit Jugendlichen sinnvoll? Kann da aus Ihrer Sicht etwas Neues herauskommen?

Frère Alois: Das wird sich zeigen. Aber es schön, dass die katholische Kirche schon im Vorfeld deutlich macht: ‚Wir wollen den Jugendlichen zuhören und ein offenes Ohr für ihre Anliegen haben.‘ Es ist für Jugendliche heute nicht leicht, ihren Weg zu finden. Sie leben in einer sich schnell verändernden Welt mit vielen Ablenkungen, in der es nicht leicht ist, Orientierung zu finden. Aber ich glaube, wenn der Papst und die Bischöfe deutlich machen: ‚Wir wollen euch nicht bevormunden, sondern euch im Sinn des Evangeliums begleiten‘, – das wäre ein starkes Zeichen für viele Jugendliche, weit über die katholische Kirche hinaus.

RV: Das Taizé-Jugendtreffen zum Jahreswechsel findet diesmal in Basel statt, warum gerade in diesem wohlhabenden und gesättigten Herzen Europas?

Frère Alois: Basel ist eine Stadt, aber auch eine grenzübergreifende Region; das wird ein wichtiger Aspekt des Treffens sein. Es soll deutlich werden, dass Europa in den verschiedenen Regionen über die Grenzen hinweg existiert, und das kann nicht mehr rückgängig gemacht werden. In einer Zeit, in der sich eine gewisse Europamüdigkeit ausbreitet, ist das, glaube ich, ein wichtiges Zeichen. Zum anderen gehen wir nach Basel, weil es auch eine Stadt der Reformation ist, nicht der lutherischen Reformation, sondern der reformierten Kirche; jetzt, am Ende dieses Jahres, in dem so viel über die Reformation geredet wurde, wollen wir nochmal ein Zeichen setzen dafür, dass es möglich ist, als Christen deutlich mehr gemeinsam zu tun als wir es bisher getan haben. Wir leben immer noch zu getrennt: Wir können noch viel öfter zum gemeinsamen Gebet zusammenkommen und deutlich machen, dass Christus uns schon heute zusammenführt, auch wenn noch viele theologische Fragen offen sind. (rv)

Ökumene-Kardinal: „Franziskus liegt Taizé sehr am Herzen“

Kardinal KochZum 10. Todestag des Taizé-Gründers Frère Roger hat Papst Franziskus „seinen“ Ökumene-Verantwortlichen in die französische Ortschaft geschickt. Der Schweizer Kurienkardinal Kurt Koch kannte den verstorbenen Gründer der Gemeinschaft von Taizé persönlich gut, wie er im Gespräch mit Radio Vatikan in Taizé sagte:

„Meine erste Begegnung mit Frère Roger war während der Seminarzeit, als ich im Priesterseminar in Luzern war. Da hatte der damalige Regens die gute Idee gehabt, eine Woche in Taizé zu verbringen. Als ich später Bischof von Basel war, habe ich immer die Exerzitien der Bistumsleitung dort gemacht. Das war jeweils eine Woche im Advent und da kam ich einmal nach Taizé und habe da Frère Roger besser kennengelernt. Das war sehr schön, weil er sich freute, einen Bischof empfangen zu dürfen. Man hat seine tiefe Spiritualität gespürt.“

Auch Papst Franziskus selber ist sehr von der Gemeinschaft von Taizé angetan, versichert Kardinal Koch.

„Papst Franziskus liegt Taizé sehr am Herzen, wie eigentlich allen Päpsten zuvor. Frère Roger hat zu allen Päpsten, die er in seinem Leben kennen lernen durfte, ganz gute Beziehungen gepflegt. Das geht jetzt weiter mit Frère Alois, der sowohl Papst Benedikt XVI. als auch Papst Franziskus mehrmals getroffen hat. Deshalb ist es für mich eine große Freude, hier in Taizé zu sein.“

Rund 100 katholische und evangelische Brüder gehören zur Gemeinschaft von Taizé in Ostfrankreich. Davon lebt etwa ein Viertel in bislang fünf kleinen Fraternitäten in Asien, Afrika und Südamerika. Diese Brüder teilen ihr Leben mit Straßenkindern, Gefangenen, Sterbenden und Vereinsamten. (rv)