Die Veröffentlichung von US-Geheimdokumenten auf der Webseite „Wikileaks" betrifft auch den Vatikan. Aus den Geheimpapieren des US-Außenministeriums, die an diesem Montag bekannt wurden, geht u.a. hervor, dass US-Diplomaten beim letzten Konklave 2005 am ehesten mit der Wahl eines lateinamerikanischen Papstes rechneten – „angesichts der hohen Zahl der Katholiken dort". Dass sich die Kardinäle für Joseph Ratzinger entschieden, werten die Papiere als „Überraschung für viele" bzw. als „Schock". Doch obwohl der bislang „mächtige Kardinal" von den Medien „wie ein autokratischer Despot" beschrieben werde, sei er im direkten Gespräch „überraschend demütig, spirituell und angenehm". Das Pontifikat werde im Zeichen der Kontinuität stehen und europäisch geprägt sein, so die Geheimpapiere weiter.
Ein vertraulicher Bericht der US-Botschaft in Berlin, den „Wikileaks" öffentlich macht, spricht von einer möglichen neuen „Achse Rom-Köln"; im deutschen Klerus herrsche „Skepsis, ob die Wahl Ratzingers der deutschen Kirche auf lange Sicht etwas bringt". Ein „einflußreicher Jesuit" habe den Diplomaten in einem Hintergrundgespräch gesagt, „Ratzingers konservative Züge müßten nicht unbedingt bestimmend für seine Amtsführung als Papst werden"; Benedikt XVI. könne durchaus „zu den reformerischen Positionen seiner Anfänge zurückkehren".
„Wikileaks" veröffentlicht außerdem eine siebenseitige Geheimanalyse der US-Regierung vom 12. Mai 2005. Darin heißt es: „In Zeiten der Krise flüchtet sich die Kirche in ihre europäische Identität". Der neue Papst kenne die Probleme der Weltkirche sehr gut; er sei ein Gegner eines türkischen Beitritts zur EU und werde sich „kämpferisch gegen den Säkularismus in den USA und anderen Nationen des Westens engagieren". (rv)