Sie ist offen: Mit der Heiligen Pforte am Petersdom ist nun auch ganz offiziell das Heilige Jahr der Barmherzigkeit durch den Papst begonnen worden. Zum Abschluss der Messfeier auf dem Petersplatz war Papst Franziskus am Ende einer langen Prozession aus Kardinälen, Bischöfen und Priestern zum rechten Tor in der Vorhalle der Basilika gegangen, das normalerweise zugemauert ist und nur für Heilige Jahre geöffnet wird. Dort wartete der emeritierte Papst Benedikt XVI. auf Franziskus, der mit seinem Hirtenstab auf den Mitbruder am Gehstock zuging und ihn umarmte, wobei Benedikt dem amtierenden Papst einige Worte zuflüsterte.
Die Mauer vor der Pforte war bereits in einer Zeremonie vor einigen Tagen entfernt worden, und so konnte der Papst die Bronzeflügel andeutungsweise aufdrücken, die daraufhin von zwei „Sanpietrini" von innen geöffnet wurden. Auf der Schwelle sammelte sich Franziskus in einem Moment des Gebets, gebeugt, aber nicht kniend. Danach durchschritt er als erster Pilger von vielen die Pforte ins Innere des Petersdoms. Ihm folgte Papst Benedikt, der von seinem Privatsekretär Erzbischof Georg Gänswein gestützt wurde.
Die symbolträchtige Geste der Eröffnung der Heiligen Pforte betone die Vorrangstellung der Gnade, hatte der Papst zuvor in seiner Predigt betont. Es sei das „Tor der Gerechtigkeit“, wie mit einem Psalmwort eine der Anrufungen Gottes direkt vor der Öffnung lautete. Es ist die zweite Pforte, die der Papst öffnet, die erste war die in Bangui in der Zentralafrikanischen Republik. Zwei weitere werden folgen, die von San Giovanni in Lateran – der Bischofskirche von Rom – am kommenden Sonntag und die von Santa Maria Maggiore am 1. Januar; die Heilige Pforte von Sankt Paul vor den Mauern wird ebenfalls kommenden Sonntag eröffnet, aber nicht vom Papst, sondern vom Erzpriester der Basilika.
Schon oft hat der Papst über die Bedeutung der Barmherzigkeit für den Glauben und das Glaubensleben gesprochen, an diesem Hochfest zog er die Linie von der ohne Erbsünde empfangene Gottesmutter Maria zum Anlass, der Barmherzigkeit Gottes. „Die Gnade Gottes hat sie eingehüllt und sie würdig gemacht, die Mutter Christi zu werden“, so der Papst. „Die Fülle der Gnade ist imstande, das Herz zu verwandeln, und macht es fähig, einen Schritt zu vollziehen, der so groß ist, dass er die Geschichte der Menschheit verändert.“
Genau das mache den Kern der Barmherzigkeit aus, Gott „ist nicht nur derjenige, der die Sünde vergibt, sondern bei Maria geht er so weit, dass er der Erbsünde zuvorkommt, die jeder Mensch in sich trägt, wenn er in diese Welt kommt.” Die ‚Geschichte der Sünde’, begonnen im Garten Eden, werde im Plan der rettenden Liebe Gottes – der Barmherzigkeit – aufgelöst. „Wenn alles der Sünde überlassen bliebe, wären wir die hoffnungslosesten aller Geschöpfe, während die Verheißung des Sieges der Liebe Christi alles in die Barmherzigkeit des Vaters einschließt. Das Wort Gottes, das wir gehört haben, lässt daran keinen Zweifel. Die ohne Erbsünde empfangene Jungfrau steht vor uns als die bevorzugte Zeugin dieser Verheißung und ihrer Erfüllung.”
Das Heilige Jahr sei selber ein Geschenk der Gnade, fuhr der Papst fort. Einzutreten bedeute, die Tiefe der Barmherzigkeit des Vaters zu entdecken. „Es wird ein Jahr sein, in dem man sich immer mehr von der Barmherzigkeit überzeugen kann.“ Was das heißt? Das heißt zuerst die Einsicht anzunehmen, dass die Antwort Gottes auf die Sünde nicht zuerst die Strafe im Gericht ist, sondern die Vergebung durch die Barmherzigkeit. „Ja, genauso ist es. Wir müssen die Barmherzigkeit dem Gericht voranstellen, und in jedem Fall wird das Gericht Gottes immer im Licht seiner Barmherzigkeit stehen. Möge das Durchschreiten der Heiligen Pforte uns also das Gefühl vermitteln, Anteil zu haben an diesem Geheimnis der Liebe. Lassen wir jede Form von Angst und Furcht hinter uns, denn das passt nicht zu dem, der geliebt wird; erleben wir vielmehr die Freude über die Begegnung mit der alles verwandelnden Gnade!”
50 Jahre Ende des Konzils
In seiner Predigt erinnerte der Papst auch an das Zweite Vatikanische Konzil, das an diesem Dienstag vor genau 50 Jahren zu Ende ging. Vor dem Beginn der Messfeier waren auf dem Petersplatz Auszüge aus den vier wichtigsten Konzilsdokumenten erklungen. Für die Kirche sind die 50 Jahre des Konzilsendes nicht bloß ein historisches Gedenken, betonte der Papst, auch wenn man an der Fülle der 16 Dokumente den „großen Fortschritt“ sehen könne, der im Glauben gemacht wurde. Das Konzil sei mehr gewesen als das, würdigte der Papst. „An erster Stelle war das Konzil eine Begegnung. Eine wirkliche Begegnung zwischen der Kirche und den Menschen unserer Zeit. Eine von der Kraft des Geistes gekennzeichnete Begegnung, der seine Kirche drängte, aus der Dürre, die sie viele Jahre lang in sich selbst verschlossen gehalten hatte, herauszukommen, um mit Begeisterung den missionarischen Weg wieder aufzunehmen.” Das Konzil sei „ein neuer Aufbruch“ gewesen, um auf die Menschen dort zuzugehen, wo sie lebten, und gebe der Kirche heute einen missionarischen Impuls mit. „Das Jubiläum fordert uns zu dieser Öffnung heraus und verpflichtet uns – entsprechend der Mahnung des seligen Pauls VI. beim Konzilsabschluss –, die aus dem Vaticanum II hervorgegangene Mentalität des barmherzigen Samariters nicht zu vernachlässigen. Möge also das Durchschreiten der Heiligen Pforte heute für uns mit dem Anspruch verbunden sein, uns die Haltung des barmherzigen Samariters zu Eigen zu machen.”
Zur Prozession in Richtung der Heiligen Pforte erklang der feierliche Hymnus „Misericordias Domini, in aeternum cantabo", der vielen Gläubigen aus Taize bekannt ist. Der Leiter der ökumenischen Gemeinschaft im Burgund, der deutsche Bruder Alois Löser, war unter den priesterlichen Gästen auf dem Petersplatz anwesend.
Strenge Sicherheitsvorkehrungen und leichter Nieselregen prägten den Beginn dieser feierlichen Messe. Auf der Segnungsloggia in der Mitte der Petersdom-Fassade prangte das Zeichen des Jubiläums der Barmherzigkeit, das der slowenische Künstler Ivan Rupnik geschaffen hat, ein Jesuiten-Mitbruder von Papst Franziskus. Es zeigt den Guten Hirten, der einen Mann auf seinen Schultern trägt, wobei das linke Auges des Mannes und das rechte Auge des guten Hirten Jesus ein und dasselbe sind. Eingerahmt ist die Darstellung auf der linken Seite von dem Motto auf Latein: „Barmherzig wie der Vater". (rv)