„Der Dialog muss offen bleiben, wie das Herz des Menschen.“ Das ist für den italienischen Jesuiten Antonio Spadaro Franziskus‘ Kommunikationsanliegen. Ausgehend vom jüngsten Gespräch des Papstes mit Ordensoberen Ende November in Rom, das Spadaro für seine Zeitschrift „La Civiltà Cattolica“ dokumentierte, analysiert er den Ansatz des Papstes, Fragen zu stellen statt Antworten zu geben.
Ein Beispiel des Papstes im Gespräch mit den Ordensoberen hatte in der italienischen Presse für Verwirrung gesorgt. Der Papst hatte dazu aufgerufen, die Herausforderung einer wachsenden Zahl schwieriger familiärer Situationen in den Blick zu nehmen. Als Beispiel hatte er auf ein Mädchen in Argentinien verwiesen: „Ich erinnere mich an den Fall eines sehr traurigen Mädchens, das seiner Lehrerin den Grund seines Gemütszustandes verriet: ,Die Partnerin meiner Mutter mag mich nicht‘, sagte es. Der Anteil von Schulkindern mit geschiedenen Eltern ist äußerst groß.“ Diese Äußerung des Papstes wurde von einigen italienischen Medien fälschlicherweise so interpretiert, als ob der Papst damit homosexuelle Partnerschaften befürworte. Spadaro plädiert dafür, die Worte des Papstes nicht vorschnell einzuordnen:
„Der Papst hat (mit diesem Beispiel, Anm.) auf eine sehr große Herausforderung verwiesen. In solchen Fällen besteht immer die Gefahr des Missverständnisses, man muss vorsichtig sein.“
Dass der Papst hier selbst kein Urteil über die Situation des Mädchens gegeben, sondern diese nur beschrieben hat, wertet Spadaro als Ansatz einer offenen Kommunikation:
„Franziskus regt auf diese Weise unsere Intelligenz an, er gibt uns nicht direkt die Lösung. Hier ist sein Hauptanliegen – wie in Evangelii gaudium – Fragen zu stellen, Herausforderungen zu benennen, eine Debatte anzuregen. Das ist ein dialogischer Stil, der darauf abzielt, das Gewissen des Menschen einzubeziehen, und das kann auch zu Missverständnissen führen. Doch wenn man versucht, den vom Papst begonnenen Diskurs sofort abzuschließen, indem man seine Worten starr interpretiert, sie es von rechts oder links, irrt man. Das Gespräch muss offen bleiben, wie das Herz des Menschen.“
In der Tat hatte Franziskus in seinem Gespräch mit den Ordensoberen darauf bestanden, dass es im Wirken der Kirche auch einer neuen Sprache bedarf – vor allem im Umgang mit der Jugend. Das Verständnis des Menschen sei heute ein anderes als früher, erinnert Spadaro. Das hat Papst Franziskus verstanden. Spadaro:
„Die große Tradition und das große Wissen der Kirche müssen dem Menschen von heute in einer Sprache und Form vermittelt werden, die den Menschen und sein Leben betreffen. Eine Botschaft zu verkünden, die nur über große Prinzipien spricht, riskiert, den Menschen mit all seinen Problemen nicht einzubeziehen. Das ist für die Kirche also eine positive Herausforderung: Wie das Evangelium heute verkünden?“
Mit seiner Vision von einer Evangelisierung, die bis an die Ränder der Gesellschaften und der menschlichen Existenz vordringen muss, stehe Franziskus in einer Linie mit Papst Paul VI., führt Spadaro aus:
„Es ist eine dynamische, komplexe Vision. Wer nur wenige klare Prinzipien braucht, den wird sie enttäuschen. Doch die Herausforderungen, dem Menschen von Heute das Evangelium zu verkünden, sind wirklich groß. Und der Papst lädt uns dazu ein, die gesamte Menschheit zu umarmen. Er sagt uns, dass wir uns anstrengen müssen, unsere Mitmenschen zu verstehen, weil das Evangelium wirklich etwas Kostbares ist. Franziskus legt darauf Wert, zu unterstreichen, dass seine Botschaft der Liebe alle betrifft, niemand ist davon ausgeschlossen. Erstarrungen nützen hier nicht, ebenso wenig wie Prinzipien anzuhängen, die den Geist, aber nicht das Herz berühren. Es braucht Gesten der Öffnung gegenüber dem Leben.“
Die Rede des Papstes von heilsamer Dezentralisierung, Perspektivenvielfalt und Inklusion dürfte also in besonderer Weise auf die Situation der Gegenwart reagieren. Als Benedikt XVI. zurücktrat, sprach er von einer „Welt, die sich so schnell verändert“ und die „von Fragen, die für das Leben des Glaubens von großer Bedeutung sind, hin- und hergeworfen“ wird. Eine komplexe Wirklichkeit braucht keine schnellen Antworten, sondern vielleicht zunächst einmal die richtigen Fragen, könnte man auch sagen. (rv)