Wer kennt die Wahrheit über die Inquisition?

Wahrheit und Legenden: Vor 20 Jahren öffnete die Glaubenskongregation ihre Archive. Was die Wissenschaftler fanden: Das passt nicht zu den landläufigen Legenden, oder doch?

VATIKANSTADT – Als im Jahre 1998 erstmals die Archive der Kongregation für die Glaubenslehre, oder besser gesagt des Heiligen Offiziums, für die Wissenschaftler geöffnet wurden, sagte der damalige Kardinal Joseph Ratzinger, man könne nicht vorhersehen, welche Entwicklungen dies für die Welt der Wissenschaft bedeuten würde.

Zwanzig Jahre später kann man eine Bilanz ziehen und die Arbeiten einiger Forscher präsentieren. Das ist der Zweck einer internationalen Konferenz, die gestern begann: „Die römische Inquisition und ihre Archive“.

Im Jahr 1998 begann mit einem feierlichen Tag an der Accademia Nazionale die Lincei, dem der damalige Präfekten der Kongregation, Kardinal Joseph Ratzinger vorstand, ein Weg, der seit nunmehr zwei Jahrzehnten beschritten wird. Bis zum morgigen 17. Mai gehen die Arbeiten der Wissenschaftler in der Bibliothek des Senats auf der Piazza della Minerva, innerhalb der sogenannten Insula Domenicana von Santa Maria sopra Minerva weiter, die so sehr mit den historischen Ereignissen um die Kongregation des Heiligen Offiziums und dem Index der verbotenen Bücher verbunden ist.

Die Konferenz stellt den vierten Termin des Zyklus Memoria Fidei dar, der 2013 als ständiges Forum der Zusammenarbeit und Weiterbildung zwischen den kirchlichen Archiven gegründet worden war. Zum Forum gehören 40 Wissenschaftler aus Italien, verschiedenen europäischen Ländern, den Vereinigten Staaten und Kanada. Die Einleitungsrede zur Konferenz hielt Kurienerzbischof Francisco Luis Ladaria Ferrer SJ, Präfekt der Kongregation.

Neben Vorträgen zu einzelnen Aspekte des Wirkens der Inquisition gibt es auch Betrachtungen über Kunst und sogar Kino. Pierfranco Bruni beispielsweise spricht über die kinematografische Sprache beim Erzählen von Ereignissen, die mit der Inquisition in Zusammenhang stehen. „Der Name der Rose“ von 1986 ist einer jener Texte, die als Beispiel angeführt werden könnten – nicht nur für den Bruch von Mustern zwischen den Bildern und dem im Buch wiedergegeben Erzählfaden, sondern vor allem auch als gänzlich ideologische Interpretation des Themas der Inquisition, mit einem verzerrten Schlüssel der Lektüre hinsichtlich historischer Bezüge, die absichtlich verdreht werden.

Die Filmografie, die sich der Inquisition widmet, hat leider mehr die spektakulären als die geschichtstreuen Aspekte berücksichtigt. Das betrifft verschiedenen Facetten der Inquisition, wie es bei den Filmen Dangerous Beauty aus dem Jahr 1998 oder L’Oeuvre a noir von 1988 der Fall ist. Ab 1943 und dem Film „Dies Irae“ werden Dinge verflochten und die Inquisition wird mit Elementen verwoben, die nicht italienisch, sondern spanisch sind. Dieser Aspekt wäre zu klären, bis hin zu einem der jüngsten Filme – Sangue del mio sangue – aus dem Jahr 2015.

Anna Foa spricht über die Vorstellung von der Inquisition in den Medien der letzten 20 Jahre. 1988 waren die Medien der Meinung, dass „die Öffnung der Archive zu einer geschichtlichen und ‚politischen‘ Revision führen würde, also dass sich die Kirche, indem sie die Archive zugänglich machte, auch für ein Mea culpa bezüglich der Inquisitionsgerichte vorbereiten würde. Als Georges Cottier 2004 den Band mit den Niederschriften des Symposiums von 1998 vorstellte, wurde klar, dass die Absicht eine andere gewesen war: Die Forschungen der Wissenschaftler voranzubringen, ihnen bislang unzugängliche Quellen zur Verfügung zu stellen und einen Ausweg aus dem Dilemma zwischen schwarzer und rosa Legende aufzutun.“

Die jüdische Forscherin erklärt, dass „von diesem Moment an, in den letzten 10-15 Jahren, die Kluft zwischen Wissenschaft und Medien immer größer geworden ist. Während die Wissenschaft von der neu verfügbaren Dokumentation ausging, um zu wenigstens teilweise gemeinsamen Schlussfolgerungen und Standpunkten zu gelangen, verankerten sich die Medien in mythologischen Visionen, in denen sich zur Darbietung alter Schemata der schwarzen Legende hagiographische Überspanntheit gesellte, die noch weniger glaubwürdig war als erstere.“

Leider stellt „diese Kluft zwischen Forschung und Medien, wie uns allen bekannt ist, eine Situation dar, die für jeden Inhalt der Geschichte gilt; sie ist jedoch noch heikler bei einem Thema wie diesem, das mit Leidenschaften und Vorurteile behaftet ist und jeder Argumentation trotzt. Aus diesem Grund bleibt die Verbreitung von Informationen zu dieser Thematik auch heute sehr schwierig.“

Die drei Konferenztage sind somit auch für die Medien von großer Bedeutung, die dadurch Gelegenheit erhalten, die Arbeit der Wissenschaftler kennenzulernen und sich von Vorurteilen und Unwissenheit zu befreien.

Übersetzt von Susanne Finner aus dem italienischen Original, das bei der CNA Deutsch-Schwesteragentur ACI Stampa veröffentlicht wurde. (CNA Deutsch)

Vatikan: Levada verteidigt den Papst

 

Der Präfekt der Glaubenskongregation weist Vorwürfe der „New York Times" gegen den Papst zurück. In einem ausführlichen Statement „zieht" – wie die Nachrichtenagentur Reuters formuliert – der US-Kardinal William Levada „die Samthandschuhe aus" und geht im Detail auf den Fall des pädophilen Priesters Lawrence Murphy ein. Die „New York Times" hatte den Umgang des heutigen Papstes, damals Kardinal Joseph Ratzinger, mit diesem Fall aus den fünfziger und sechziger Jahren scharf kritisiert. Levada, der bis 2005 Erzbischof von San Francisco war, urteilt, der Artikel und ein Kommentar des Blattes „lassen jedwede Fairness vermissen"; keiner habe so viel wie der heutige Papst gegen eine Vertuschung und Verschleppung von kirchlichen Missbrauchsfällen getan. Vom Fall Murphy sei der Vatikan erst in den neunziger Jahren informiert worden – lange, nachdem auch polizeiliche Ermittlungen gegen den Priester eingestellt worden seien. „Der Kernfehler des Artikels besteht darin, dem heutigen Papst und nicht den Entscheidungsträgern im Erzbistum Milwaukee vorzuwerfen, dass der Priester nicht suspendiert wurde." Gleichzeitig erwähne der Artikel der „New York Times" nicht, dass der heutige Papst sich vehement für das Erstellen von Richtlinien für den Umgang mit Missbrauchsfällen eingesetzt habe.

Die Glaubenskongregation unter Kardinal Ratzinger habe sich gleich, als sie Mitte der Neunziger vom Fall Murphy informiert wurde, für einen kanonischen Prozess gegen den Priester ausgesprochen. Erst als sie erfuhr, dass Murphy im Sterben lag, habe sie zum Suspendieren des Prozesses geraten. Das bedeute aber keine „Nachsicht" gegenüber Murphy, so Levada: „Meine Lesart ist vielmehr, dass die Kongregation verstanden hatte, dass ein komplexer kanonischer Prozess unnütz ist, wenn der Beschuldigte im Sterben liegt." Übrigens sei der Prozess damals tatsächlich nicht ausgesetzt worden, sondern bis zu Murphys bald darauf folgendem Tod weitergegangen. Als Christ, schreibt Kardinal Levada, habe er keinen Zweifel daran, „dass Murphy jetzt vor seinem Richter steht".

Der oberste Glaubenshüter des Vatikans geht auch auf Vorwürfe gegen den jetzigen Papst aus der Zeit ein, als Ratzinger Erzbischof von München war. Es sei „anachronistisch, wenn die New York Times so tut, als müssten die, die 1980 Verantwortung trugen, irgendwie schon das, was wir 2010 über Missbrauch wissen, intuitiv gefühlt haben".

Die Zeitung lasse es dem Papst gegenüber an „Gerechtigkeit" fehlen und wärme nur Vorurteile auf, so Levada in seinem langen Schreiben. Er bitte sie, „ihren Angriff auf Papst Benedikt XVI. noch einmal zu überdenken und der Welt ein ausgewogeneres Bild von einem Führer zu bieten, auf den man zählen sollte". (rv)