„Fragt mich alles, was ihr wollt“: Mit diesen Worten ist Papst Franziskus am Sonntagabend in die „Fliegende Pressekonferenz“ gegangen. Auf dem Rückflug von Aserbaidschan nach Rom stellte er sich dann Fragen zu Homosexualität, weiteren Reiseplänen oder dem nächsten Konsistorium zur Erhebung von Kardinälen.
Er habe doch in Georgien, der ersten Etappe seiner Kaukasusreise, die sogenannten Gender-Theorie verurteilt, so eine Frage an Franziskus. Was er denn zu einem Menschen sagen würde, der sich eine andere sexuelle Identität wünsche als die, mit der er geboren sei? „In meinem priesterlichen Leben, als Bischof und Papst habe ich Menschen mit homosexuellen Tendenzen und Praktiken begleitet“, antwortete der Papst. „Ich habe sie dem Herrn nähergebracht und sie nie im Stich gelassen. Man muss die Menschen begleiten, so wie Jesus das getan hat. Wenn ein Mensch, der sich in dieser Lage befindet, vor Jesus gelangt, dann wird dieser ihm sicher nicht sagen: Geh weg, du bist homosexuell.“
Homosexuelle Veranlagung ist das eine, das andere ist Ideologisierung an den Schulen
Bei seiner Ansprache in Georgien aber sei es ihm um etwas anderes gegangen, so der Papst: „Ich habe über diese Bosheit gesprochen, mit der heute durch die Gender-Theorie Indoktrination betrieben wird. Ein Vater aus Frankreich hat mir von seinem zehnjährigen Sohn erzählt. Der hat beim Mittagessen der Familie auf die Frage, was er später mal werden will, geantwortet: Ein Mädchen! Da wurde dem Vater klar, dass das Kind in der Schule über die Gender-Theorie unterrichtet wird, und das ist gegen das Natürliche. Das eine ist, dass jemand diese Tendenz hat und sogar sein Geschlecht ändert; etwas anderes ist es, das in den Schulen zu unterrichten, um die Mentalität zu verändern. Das ist es, was ich ideologische Kolonisierung nenne.“
Aufnehmen, begleiten, integrieren: das ist, was Jesus heute tun würde
Er habe letztes Jahr im Vatikan einen Spanier empfangen und „Zeit mit ihm verbracht“, der als Mädchen geboren worden sei, sich aber immer als Mann gefühlt habe und schließlich auch sein Geschlecht durch eine Operation verändert habe. Dieser Mann habe ihm, dem Papst, geschrieben und ihn dann auch zusammen mit seiner Frau in Rom besucht. „Er, der eine Sie war, aber jetzt ein Er ist. Ich habe sie empfangen, sie waren glücklich… Das Leben ist, wie es ist; man muss die Dinge nehmen, wie sie kommen. Sünde ist Sünde; es gibt gewisse Tendenzen, hormonelles Ungleichgewicht, so viele Probleme. Aber auf jeden Fall muss man aufnehmen, begleiten, untersuchen, unterscheiden und integrieren! Das ist, was Jesus heute tun würde. Es ist ein menschliches Problem, und man muss es lösen, so gut man eben kann – aber immer mit der Barmherzigkeit Gottes!“
„Amoris Laetitia“ ganz lesen, nicht selektiv
In einer Stegreif-Ansprache in der georgischen Hauptstadt Tiflis hatte der Papst am Samstag von einem „Weltkrieg gegen die Ehe“ gesprochen, hakte ein Journalist nach, und er habe gesagt, dass eine Scheidung auch Gott treffe, als dessen Ebenbild ja Mann und Frau aufeinander hin geordnet geschaffen seien. Wie sich das denn vertrage mit der „Aufnahme“ und „Begleitung“ von Geschiedenen, von der auch die letzten vatikanischen Bischofssynoden gesprochen hätten?
„Wenn man von der Ehe spricht, so wie Gott sie gewollt hat, dann spricht man von einem Mann und einer Frau. Es stimmt, dass die heutige Kultur und auch einige philosophische Ansätze zu diesem Weltkrieg gegen die Ehe führen. Wir müssen aufpassen, dass wir uns von solchen Ideen nicht einschränken lassen. Man sollte das Apostolische Schreiben „Amoris Laetitia“ ganz lesen und als Einheit verstehen, nicht nur sich auf das achte Kapitel konzentrieren! In „Amoris Letitia“ ist vom Fundament der Ehe die Rede, und wie man mit verletzten Familien umgehen soll. Aber die menschlichen Schwächen und Sünden existieren nun einmal; das letzte Wort muss die Barmherzigkeit haben. Wenn es bei einem Paar zu Problemen kommt, sollte man sie mit vier Schritten lösen: Aufnahme, Unterscheidung, Begleitung, Integration. Es gibt Sünde, es gibt den Bruch, aber es gibt auch Pflege und Barmherzigkeit!“
Neue Kardinäle: Nicht nur Europa
Wann es denn zu einer Schaffung neuer Kardinäle kommen werde, und an welchen Kriterien sich Franziskus bei der Auswahl der Kandidaten orientiere, wollte ein italienischer Reporter wissen. „Dieselben Kriterien wie bei den zwei früheren Konsistorien“, versetzte der Papst. „Ich studiere noch die Liste der Namen. Zwei von jedem Kontinent; einer aus dem einen, der andere aus dem anderen Teil des Kontinents. Die Liste ist lang, aber es gibt nur 13 Plätze. Kriterium ist die Universalität der Kirche. Nicht nur Europa also, denn die Kirche ist überall auf der Welt! Das Konsistorium könnte am Jahresende oder Anfang nächsten Jahres stattfinden. Jedenfalls wird es bald sein.“
Reisen: Fatima und Südindien
Nächstes Jahr muss der Papst, wie er sagte, eine zusätzliche Reihe von Bischofskonferenzen auf Ad-Limina-Besuch empfangen, die wegen des im Dezember endenden Heiligen Jahres ausgesetzt waren. Was seine eigenen Reisen im kommenden Jahr anlangt, bestätigte Franziskus, er werde den portugiesischen Marienwallfahrtsort Fatima besuchen. „Und Indien und Bangladesch – das ist fast sicher.“
Franziskus bekräftigte zugleich seinen Wunsch, nach China zu reisen. Jedoch ließ er erkennen, dass die vatikanisch-chinesischen Verhandlungen noch etwas Zeit bräuchten. Was eine Reise nach Afrika betrifft, sei das genaue Reiseziel noch nicht sicher. „Da muss man das Klima wie auch die politische Lage vor Ort noch untersuchen. Was Amerika angeht, da werde ich nach Kolumbien fliegen, wenn der Friedensprozess definitiv ist und das Referendum gewonnen wird.“ Doch kurz nach dieser Äußerung des Papstes wurde bekannt, dass die Kolumbianer in der Volksabstimmung über den Friedensvertrag zwischen Regierung und FARC-Rebellen mehrheitlich mit „Nein“ votierten.
Trump oder Clinton? Keine Empfehlung
Den Katholiken in den USA will Papst Franziskus keine Empfehlung für die Präsidentschaftswahl im November geben. Das Volk sei souverän. Er rate nur dazu, die Vorschläge der Kandidaten eingehend zu prüfen, zu beten und sich dann bewusst zu entscheiden. Im Februar hatte der Papst den vom republikanischen Kandidaten Donald Trump befürworteten Ausbau der Grenzanlagen zwischen Mexiko und den USA mit den Worten kommentiert: „Jemand, der nur daran denkt, Mauern … und keine Brücken zu bauen, ist nicht christlich.“
Der Papst blickte natürlich auch auf seine Reise nach Georgien und Aserbaidschan an diesem Wochenende zurück. Die reiche christliche Geschichte Georgiens und auch der orthodoxe Patriarch Elia II. – „ein Mann Gottes!“ – hätten ihn überrascht. Was Aserbaidschan und seinen Streit mit dem Nachbarland Armenien betreffe, rate er zu einem „ehrlichen Dialog“ und notfalls zum Gang vor ein internationales Schiedsgericht: „Ich sehe keinen anderen Weg! Der andere Weg ist Krieg, und Krieg zerstört immer. Durch Krieg geht alles verloren.“ (rv)