Die katholische Kirche in Deutschland nimmt das Ringen der Politik um eine mögliche große Koalition genau in den Blick. „Wir beobachten alle Politikfelder, die jetzt auf dem Tisch liegen, von Mindestlohn über Familien- und Jugendpolitik bis hin zur Rüstungs- und Entwicklungshilfepolitik." Das sagt Karl Jüsten vom Katholischen Büro Berlin. Radio Vatikan traf ihn an diesem Freitag in Rom, wo der Geistliche an der ersten Vatikantagung für Parlamentsseelsorger teilnahm.
„Wir versuchen, die Ideen, die schon seit Jahren von der Kirche vertreten werden, mit einzubringen. Etwa in der Entwicklungspolitik, dass wir an den Milleniumszielen festhalten, etwa am Ziel zur Erreichung der Bekämpfung des Hungers und der Armutshalbierung. Wir treten nach wie vor auch in der Familienpolitik dafür ein, dass wir die Familien besser ausstatten, dass insbesondere den Familien besser ermöglicht wird, nach ihrem eigenen Lebensplan leben zu können: Da fordern wir etwa einen besseren Ausbau des Betreuungsgeldes. Wir könnten aber noch viele andere Politikfelder hinzufügen, wo wir darauf achten, dass da christliche Positionen sich wiederfinden."
Jüsten ist als Leiter des Katholischen Büros in Berlin die Kontaktperson der Bischöfe zur Bundespolitik; er hat protokollarisch den Rang eines Ministers. Wir fragten ihn, wie sehr die Stimme der katholischen Kirche derzeit in der deutschen Politik gehört wird.
„Wir haben ja ein sehr gutes Staat-Kirche-Verhältnis, und wir werden eigentlich zu allen Fragen, zu denen wir uns äußern wollen, auch gehört. Manchmal werden wir auch aufgefordert, zu bestimmten Fragen Stellung zu nehmen. Es ist nicht immer so, dass man hundertprozentig unserer Auffassung folgt, aber als beachtlich wird unsere Stimme doch sehr wahrgenommen, etwa im Bereich des Lebensschutzes, zuletzt bei der sog. Präimplantationsdiagnostik oder eben wenn es jetzt um die Migrationsfragen geht. Und da hilft uns natürlich auch, dass wir als Kirche vor Ort sehr gute Arbeit leisten und dass wir da natürlich auch eine besondere Expertise einbringen können, etwa wenn es darum geht, Flüchtlinge in unserem Land zu integrieren wie zurzeit die Syrer."
Womit Jüsten ein aktuelles Anliegen der beiden großen Kirchen in Deutschland aufgreift: Die katholische und evangelische Kirche fordern eine Verdopplung der Zahl der Syrienflüchtlinge, die Deutschland aufnehmen soll. Bislang war eine Aufnahme von nur 5.000 Kriegsflüchtlingen aus der Region zugesagt worden.
„Wir können ja nicht alleine Jordanien und der Türkei, den Nachbarländern Syriens, das Problem der Flüchtlinge überlassen! Sondern da muss Europa als Wertegemeinschaft auch zu seinen Werten stehen und den Menschen, die jetzt in diese Not geraten sind, auch konkret helfen. Es ist ja auch damit zu rechnen, dass die Syrer nach Beendigung der Kriegshandlungen auch wieder in ihr Land zurückwollen. Wir hoffen natürlich, dass diese Kriegshandlungen bald ein Ende haben…"
Von Bundesinnenminister Friedrich seien „ganz gute Signale" gekommen, dass Deutschland möglicherweise doch mehr Menschen aus Syrien aufnehmen wolle, so Jüsten: „Er verweist allerdings auf Europa, so dass wir jetzt die dicken Bretter bohren müssen und die Europäische Union davon überzeugen müssen, mehr zu tun."
Eine andere Forderung der Kirchen an die deutsche Politik betrifft Deutschlands boomende Rüstungsexporte. Dazu Jüsten:
„Beide Kirchen in Deutschland treten schon seit Jahren für eine sehr restriktive Rüstungsexportpolitik ein, und vor allem auch dafür, dass transparent gemacht wird, was mit Rüstung passiert. Grundlegend treten wir dafür ein, dass natürlich keine Waffen in Krisengebiete exportiert werden und dass wir sehr restriktiv in Deutschland damit umgehen."
Deutschland war zuletzt auch in die Kritik geraten, Chemikalien nach Syrien geliefert zu haben, wie sie in Chemiewaffen zu finden waren, die im Bürgerkrieg gegen die syrische Bevölkerung eingesetzt wurden. Hier müsse man folgende Frage stellen, so Jüsten:
„Sind das wirklich Produkte, die als Waffen oder als waffenfähiges Material exportiert wurden oder waren sie für etwas anderes gedacht? Das ist manchmal nicht so ganz einfach und nur holzschnittartig zu beantworten."
Müsste die deutsche Politik bei solchen Exporten besser darüber informiert sein, wozu solche Substanzen eingesetzt werden können – etwa in Bürgerkriegssituationen? Dazu Jüsten:
„Solche Art von Verfolgung können Politiker natürlich nicht machen, das müssen die entsprechenden Behörden tun, das müssen Geheimdienste tun, die Polizei, das müssen die Genehmigungsbehörden vor allem tun. Was für uns aber noch wichtiger ist, dass das Parlament aktiv in die Entscheidungen miteinbezogen wird, wohin welche Waffen exportiert werden. Bisher ist das alleine Sache der Regierung, bisher wird das Parlament erst sehr viel später informiert. Wir fordern eine enge Einbeziehung des Parlamentes, und da gibt er Koalitionsvertrag nun Einiges her, es wird etwas besser, aber noch nicht so gut, wie wir’s wirklich haben wollen: nämlich dass das Parlament wirklich mit einbezogen wird!"
Prälat Karl Jüsten ist seit März 2000 Leiter des Katholischen Büros Berlin. Das Büro gibt zum Beispiel Stellungnahmen ab zu Gesetzesvorhaben, die den Bereich Bioethik, Familie, Migranten und Religionsfreiheit betreffen. Jüsten ist auch Mitglied im Präsidium der Deutschen Gesellschaft für die Vereinten Nationen, welche die deutsche Öffentlichkeit über Ziele, Institutionen und Aktivitäten der Vereinten Nationen informiert. (rv)