UNO: Einigung in Libyen bald möglich

UNO-FahneGibt es bald Hoffnung für das Bürgerkriegsland Libyen? Der UNO-Sicherheitsrat sieht eine mögliche baldige Einigung zwischen den verfeindeten Parteien im Land. Die mehrmonatigen Verhandlungen steuerten auf ihr Ende zu und eine Machtteilung sei möglich, sagte der UNO-Sonderbeauftragte Bernardino León. Zugleich wies er auf die schlechte humanitäre Lage und das Erstarken der IS-Terrormiliz in dem Land hin. Außerdem warteten in Libyen rund 250.000 Flüchtlinge auf die Überfahrt nach Europa. Vier Jahre nach dem Sturz von Diktator Gaddafi streiten zwei rivalisierenden Regierungen in Tobruk und Tripolis um die Macht. Gabriele Iacovino vom Zentrum für Studien der internationalen Politik schlägt eine Machtteilung im föderalen Stil vor, um der Lage Herr zu werden.

„Bis jetzt wurde wenig gesprochen über eine Föderation im Inneren Libyens. Wir brauchen Zugang zur wichtigsten Region des Landes, nämlich dem Zugang zur Sahel-Zone, von wo aus die illegalen Waren wie Waffen und Drogen sowie Menschen eingeschleust werden. Sie bringen dem Land immer mehr Instabilität. Ein möglicher Weg ist die Föderalisierung, eine Machtteilung im Inneren des Landes unter den verschiedenen Gruppen. Das ist entscheidend, um mit ihnen in Verhandlung zu treten.“ (rv)

Libyen: „Gaddafi nicht in Kirche versteckt“

Die Nato hat auch in der letzten Nacht wieder Bomben auf Tripolis abgeworfen – wie in den zwei Nächten zuvor. Der Bischofsvikar von Tripolis, der der Nato-Operation sehr kritisch gegenübersteht, hofft, dass Kirchen und kirchliche Einrichtungen nicht getroffen werden. Bischof Giovanni Martinelli ist aufgeschreckt über eine – wie er sagt – Falschmeldung in einer italienischen Zeitung, durch die jetzt ausgerechnet die Kirche in Tripolis ins Nato-Fadenkreuz geraten könnte.

„Ich dementiere, was eine italienische Zeitung am Mittwoch geschrieben hat, nämlich: Gaddafi sei in einer Kirche versteckt – das sei ein Verdacht diplomatischer Kreise in Italien und Russland. Gaddafi halte sich in einem Raum unter einer katholischen Kirche in Tripolis auf. Dem widerspreche ich in aller Entschiedenheit! Als Franziskaner wäre ich sehr zufrieden, wenn ich ihm in einer Kirche Aufnahme gewähren könnte, aber er ist absolut nie gekommen, er hat uns nie um Gastfreundschaft gebeten, und diese Hypothese ist auch gefährlich und schädlich für uns!"

Der Italiener Martinelli ist seit 1985 Bischofsvikar in der libyschen Hauptstadt. Von Anfang an hat er sich gegen die Nato-Operationen ausgesprochen. Er sieht das wie der italienische Friedensbischof Giovanni Giudici, der die italienische Sparte der katholischen Friedensbewegung Pax Christi leitet:

„Was die Ineffizienz eines Krieges betrifft, was die Tatsache betrifft, dass ein Krieg große Probleme schafft und Wunden schlägt, die so schnell nicht verheilen, kann man den Libyen-Einsatz durchaus mit dem Irakkrieg vergleichen. Hier sieht man, dass nicht nur Menschen sterben, sondern auch auf lange Sicht Ungleichgewichte entstehen, dass das Zusammenleben der Menschen schwierig wird, dass die Entwicklung eines Landes blockiert wird!"

Die Nato-Mitgliedsstaaten haben am Mittwoch abgelehnt, mehr militärische Kräfte für den Libyen-Einsatz bereitzustellen. Mit der entsprechenden Forderung konnte sich Nato-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen beim Treffen der Verteidigungsminister in Brüssel nicht durchsetzen. Darum entdeckt er jetzt den politischen Prozess wieder:

„Wir haben den Boden für eine politische Lösung bereitet, indem wir Herrn Gaddafi und seinen Anhängern klargemacht haben, dass Gewalt und Unterdrückung keine Zukunft haben. Alle Minister waren sich einig, dass wir den Druck aufrechterhalten werden, solange es braucht, um diese Krise zu einem baldigen Ende zu bringen!"

Es ist allerdings nicht die Nato, die einen politischen Prozess in Gang zu bringen versucht, sondern die Afrikanische Union und die UNO. Der UNO-Sondergesandte Abdelilah al-Khatib spricht, während die Nato weiter ihre Bomben wirft, mit Vertretern des Gaddafi-Regimes. UNO-Sprecher Martin Nesirky:

„Er fordert sie dazu auf, der UNO ihre Vorstellungen über eine Übergangsphase mitzuteilen, damit dann ein politischer Prozess in Gang kommt, der den legitimen Wünschen des libyschen Volkes entspricht. Heute diskutiert al-Chatib dieses Thema in Bengasi mit dem Leiter des Nationalen Rates. Das Ziel ist herauszufinden, wie man den streitenden Parteien in Libyen dabei helfen kann, sich auf einen Übergang und einen Prozess zu verständigen, so dass die Kämpfe im Land beendet werden."

Der Chef-Ankläger des Internationalen Strafgerichtshofs in Den Haag erklärte an diesem Donnerstag, Gaddafi habe seinen Soldaten Massen-Vergewaltigungen befohlen und dazu u.a. Viagra verteilen lassen. Es gebe „mehrere Beweise" für eine systematische Vergewaltigungs-Politik des libyschen Regimes, so Luis Moreno-Ocampo in New York. Das Den Haager Gericht wird bald entscheiden, ob es gegen Gaddafi wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit Anklage erhebt. (rv)

Flüchtlingsdrama: „Jemand muss die Verantwortung übernehmen!“

Vier Tage nach der Flüchtlingstragödie vor der libyschen Küste ist noch immer unklar, wie viele Menschen in den Tod gerissen wurden. Überlebende hatten berichtet, dass am vergangenen Freitag ein nicht mehr seetauglicher Kahn, überfüllt mit bis zu 800 Menschen an Bord, rund eine Stunde nach Abfahrt von Tripolis gekentert sei. Bislang sind erst 16 Leichen aufgetaucht.
Unterdessen werden schwere Vorwürfe gegen die NATO laut: Die Streitkräfte hätten Ende März die Hilferufe eines Bootes in Seenot ignoriert und den Tod von 61 Menschen, darunter Frauen und Kinder, zu verantworten. Sprecher des Militärbündnisses haben die Vorwürfe umgehend dementiert. Der Direktor des Flüchtlingshilfswerks Habeshia, Pater Moses Zerai, war als Letzter mit dem Unglücksboot per Funk in Verbindung. Er fordert Gerechtigkeit für die Toten:
„Ich beharre vor allem darauf, dass eine verweigerte Hilfeleistung nicht als eine Art verdeckte Abschiebung benutzt wird. Die internationalen Gesetze sagen klar: In dem Moment, in dem das Leben von Menschen auf hoher See in Gefahr ist, hat jeder in diesem Bereich – egal ob Kriegs- oder Handelsschiff – die Pflicht, Hilfe zu leisten. Und das ist nicht passiert: Diese internationalen Gesetze der Schifffahrt sind missachtet und gebrochen worden. Und jemand muss dafür Verantwortung übernehmen!"
Nach den Aussagen von Pater Zerai und Überlebenden trieb das nicht mehr manövrierfähige Schiff 16 Tage lang auf offener See, obwohl die italienische Küstenwache alarmiert worden sei und ein Militärhubschrauber sowie ein Transportflugzeug die in Seenot geratenen Flüchtlinge gesehen haben sollen.
„Innerhalb weniger Monate haben mehr als tausend Menschen im Meer den Tod gefunden. Diese Tragödien hätten und könnten auch in Zukunft verhindert werden, wenn die internationale Gemeinschaft, allen voran Europa, die Möglichkeit eines geregelten und geschützten Zugangs schaffen würde. Viele Menschen, sogar aus Tunesien, kehren momentan nach Libyen zurück, um von dort auf einem Schiff überzusetzen. Und zwar deshalb, weil sie in den tunesischen Flüchtlingslagern keine konkrete Antwort darauf bekommen haben, wie es nun weitergehen soll. Mit einer Politik der Abschottung können diese Probleme nicht gelöst werden!"
Unterdessen gehen die Flüchtlingskatastrophen zwischen Afrika und Europa weiter: Vergangenen Sonntag ist vor den Klippen von Lampedusa ein weiteres Boot gekentert. Bei der spektakulären Rettungsaktion sind die rund 500 Flüchtlinge per Menschenkette aus dem Wasser gezogen worden. Allerdings wurden am nächsten Tag unter dem Wrack die Leichen von drei jungen Männern entdeckt. (rv)

Kard. Koch: „Situation in Libyen äußerst tragisch“

 In Libyen haben die westlichen Truppen in der Nacht auf Montag eine zweite Angriffswelle gestartet. Das meldet Reuters. Die deutsche Regierung lehnt weiterhin eine Beteiligung an dem Einsatz ab. Eine offizielle Stellungnahme des Vatikans für oder gegen einen Einsatz gibt es bisher nicht. Der Papst rief am Sonntag beim Angelusgebet zum Schutz der Zivilbevölkerung auf. Der Schweizer Kurienkardinal Kurt Koch befürwortet einen internationalen Einsatz in Libyen, solange das Ziel eines solchen Vorhabens der Schutz der lokalen Bevölkerung sei. Das sagt er gegenüber Radio Vatikan an diesem Montag:
„Ich finde die Situation in Libyen äußerst tragisch. Vor allem bewegt mich die Hilflosigkeit der internationalen Staatengemeinschaft, diesem Phänomen entgegenzuwirken. Jetzt hat man versucht, zumindest ein Flugverbot durchzusetzen. Das kommt aber zu spät. Es ist ein großes Ärgernis, wie die ganze Welt zuschaut, wie ein Diktator sein eigenes Volk umbringt. Das zeigt aber einmal mehr, dass wir glauben, klug zu sein, indem wir die Vergangenheit beurteilen, doch unklug sind, die Zeichen der Gegenwart zu erkennen." (rv)

 

Libyen: Priester klagt an

Besonders afrikanische Ausländer werden gezielt verfolgt und getötet, klagt ein eritreischer Priester an. Mussie Zerai, so der Name des Priesters, ist seit mehreren Jahren in Libyen und kümmert sich um Flüchtlinge aus anderen afrikanischen Staaten. Diese werden derzeit sowohl von den Anti-Gaddafi-Anhängern angegriffen als auch von den Regimetreuen Soldaten. Gaddafi-Kritiker werfen den afrikanischen Ausländern in dem Land vor, sie würden als Söldner für den Diktator arbeiten. Die Gaddafi-Anhänger hingegen sehen die Flüchtlinge als Sündenböcke für die derzeitige Lage. Zerai sprach mit der italienischen Zeitschrift „Popoli". (rv)

Unruhen in Libyen: Ein Gespräch mit dem Bischof von Tripolis

 Mindestens zweihundert Menschen sollen bei den Unruhen in Libyen in den letzten Tagen ums Leben gekommen sein. Zum ersten Mal schwappte die Protest- und Gewaltwelle an diesem Montag auch auf die Hauptstadt Tripolis über; dort brennt das Parlamentsgebäude, und Soldaten sollen sich den Demonstranten angeschlossen haben. Das Regime denkt aber nicht ans Aufgeben. Wir sprachen an diesem Montag Vormittag mit dem aus Italien stammenden Bischof von Tripolis, Giovanni Martinelli.
„Libyen ist kein armes Land wie Ägypten oder Tunesien; natürlich gibt es gerechtfertigte Forderungen, die das Volk erhebt, aber jedenfalls herrscht kein Elend. Die Art und Weise, wie diese Forderungen vorgebracht werden, ist bestimmt falsch: mit Gewalt nämlich. Die Antwort konnte nämlich nur Gegengewalt sein, um eine gewisse Ordnung wiederherzustellen."
Die Kirche in Libyen ist zu ihren größten Teilen nicht einheimisch, sondern wird von Missionaren und Gastarbeitern aus anderen Ländern gestellt. Darum bleibt sie derzeit vor allem Zuschauerin:
„Die Kirche hat keine besonderen Probleme: Wir konnten am Freitag ohne Schwierigkeiten die Messe feiern. Das ist ein Tag, in dem viele in die Kirche kommen: Koreaner, Filippinos, Afrikaner usw. Am Sonntag kamen aber spürbar weniger, das hängt natürlich mit der derzeitigen Lage zusammen. Aber in Tripolis haben wir derzeit keine Probleme mit den Behörden oder mit den Leuten."
Anders ist das nach Darstellung von Bischof Martinelli in der Stadt Bengasi, die mittlerweile nach Angaben einiger Nachrichtenagenturen in der Hand der Aufständischen sein soll.
„In Bengasi blieb die Kirche zu; wir haben in ihrem Innern auf Bitten hin viele Gastarbeiter, vor allem von den Phillipinen, aufgenommen. Sie warten auf ihre Evakuierung. Wir haben in Bengasi drei Gemeinschaften von Ordensfrauen, auch in anderen Landesteilen wie Baida oder Tobruk: Die Schwestern arbeiten in den Krankenhäusern und wollen auch in der jetzigen Lage dort bleiben und weiterarbeiten. Bisher hat keine Ordensfrau gesagt: Ich würde gerne evakuiert werden."
Das Volk sei den Ordensfrauen nahe, „weil sie voller Hingabe in den Krankenhäusern arbeiten". Auch die Priester, die in Libyen arbeiten, wollen nach Informationen des Bischofs im Land ausharren und weiterarbeiten. Auffallend, wie wenig Verständnis Bischof Martinelli für die Demonstranten hat:
„Wir wünschen dem libyschen Volk aus ganzem Herzen eine interne Versöhnung und Gerechtigkeit. Aus meiner Sicht ist diese Krise eine Generationen-Krise: Die jungen Leute brauchen Arbeitsplätze, Wohnungen… und die Behörden scheinen mir auch guten Willens zu sein, aber vielleicht haben die jungen Leute oder das Volk jetzt einen Weg der Gewalt eingeschlagen, um ihren Forderungen Nachdruck zu verleihen – das scheint mir nicht opportun. Mir scheint, Libyen braucht jetzt einen Dialog, um zu einem Frieden zu finden. Wir als Kirche sind den Menschen nahe und beten, dass die Herausforderungen gelöst werden."
Das Internet funktioniere im Moment nicht in Libyen – darum hat auch Bischof Martinelli nur lückenhafte Informationen über seine Kirche.
„Leider versuche ich seit zwei Tagen vergeblich, aus Baida – zweihundert Kilometer von Bengasi entfernt – etwas von den zwei Gemeinschaften von Ordensfrauen, die dort arbeiten, und ihrem aus Polen stammenden Priester zu hören. Weder per Telefon noch per Internet konnten wir einen Kontakt herstellen, darum haben wir den „Roten Halbmond" und ein Büro der „Islamic Call Society" gebeten, uns zu helfen, dass wir etwas über ihre Lage herausfinden."
Nicht nur die Religionsführer in Libyen riefen derzeit eindringlich zum Frieden auf, sondern auch die größten Teile der Bevölkerung, sagt Bischof Martinelli. Vor allem die vielen Gastarbeiter von den Philippinen beteten jetzt um den Frieden. (rv)