„Es ist legitim, einen ungerechten Aggressor zu stoppen“ – das sagt Papst Franziskus zu den Vorgängen im Nordirak und dem Militäreingriff der USA. Wann und unter welchen Umständen billigt die katholische Kirche militärische Gewalt und ihre Unterstützung in Form von Waffenlieferungen? Darüber sprachen wir mit Heinz-Gerhard Justenhoven, dem Direktor des katholischen Instituts für Theologie und Frieden in Hamburg.
„Natürlich ist der Einsatz militärischer Gewalt immer einer, der rechtfertigungsbedürftig ist. Er ist dann erlaubbar oder rechtfertigbar, wenn das Übel, das durch ihn angerichtet wird, geringer ist als das Übel, das man verhindern kann. Und das ist im Fall der Selbstverteidigung unter bestimmten Umständen gegeben.“
Im Irak machen die Terrorkämpfer des „Islamischen Staates“ (IS) mit unvorstellbarer Brutalität Jagd auf Christ en, Jesiden und andere Teile der Bevölkerung. Selbstverständlich haben diese Menschen nach katholischer Lehre das Recht auf Selbstverteidigung. Und dann, erklärt Justenhoven, muss man prüfen, wie ihnen zu helfen ist – notfalls auch mit Waffenlieferungen.
„Wenn es ein Recht auf Selbstverteidigung gibt in einer Welt, die so ist, wie sie ist – und wir erleben ja gerade in welchem Ausmaß Gewalt gegen Zivilisten angewandt wird durch die Miliz „Islamischer Staat“ – dann kann es unter Umständen notwendig sein, denen, die sich wehren wollen, das Recht, Waffen zu kaufen, nicht zu verwehren. Insofern bin ich skeptisch, wenn man sagt, wir dürfen generell nicht mit Waffen handeln. Die Frage ist, wie dies in einer angemessenen Weise erfolgen kann und welche Hilfe sie möglicherweise brauchen, wenn sie das nicht selber können.“
Die Jesiden erhalten Schutz durch die kurdischen Kämpfer der Peschmerga, und in Europa tobt nun eine Debatte darüber, ob Waffenlieferungen an die Kurden zulässig und sinnvoll sind, damit diese gewissermaßen die Selbstverteidigung der Jesiden übernehmen können. Ein grundsätzliches katholisches „Nein“ zum Waffenhandel gibt es nicht. Justenhoven:
„Die schwierig zu beurteilende Frage ist, wie viel ist hier notwendig und angemessen? Wer kann, das was notwendig ist, an Hilfe und Unterstützung leisten? Und die zweite Frage ist, welche Waffenunterstützung bräuchten die Peschmerga, und da muss man überlegen, dass es mit dem Liefern von Waffen allein nicht getan ist. Wir erleben ja gerade, dass die Miliz ,Islamischer Staat´ mit schweren Waffen angreift, die sie vorher der syrischen und der irakischen Armee abgenommen hat. Das heißt mit Waffen, die die Amerikaner dorthin geliefert haben. Das ist ein Abwägungsprozess, den auch ich als Ethiker nicht einfach und schnellhin treffen kann. Dazu braucht es eine ganze Menge Kenntnis von vor Ort. Mir scheint wichtig, dass diese Überlegungen mitberücksichtig werden in der Debatte, ob man Waffen liefern soll oder nicht.“
Das Problem der meisten heutigen Konflikte sei, dass solche Fragen zu spät gestellt würden, betont Justenhoven. Immer erst dann, wenn die Lage eskaliert, „und dann viel zu schnell“, werde darüber nachgedacht, wie man Konflikte militärisch entschärfen kann.
„Und das ist etwas, was ich bei den Päpsten der letzten Jahrzehnte immer gesehen habe: der Hinweis, dass wir uns viel früher darum bemühen müssen, Konflikte einzudämmen.“
Häufig entstünden diese Konflikte durch einen Mangel an politischer und ökonomischer Teilhabe.
„Das heißt, die Menschen greifen dann zu Waffen, wenn es ihnen wirtschaftlich schlecht geht, wenn sie Hunger leiden, oder wenn sie politisch ausgeschlossen werden. Und wenn Sie sich den Konflikt im Irak anschauen, sind das genau die Ursachen. Die sunnitischen Stämme haben sich auf die Seiten dieser relativ kleinen islamistischen Miliz gestellt, weil in Bagdad ein Ministerpräsident sie rabiat und konsequent von jeder politischen Teilhabe ausgeschlossen hat.“
Das christliche Leitbild in Konflikten ist das vom „Gerechten Frieden“. Die Grundvoraussetzung dafür ist das Vorhandensein einer politischen Ordnung, die verhindert, dass Konflikte in Gewalt münden. Die zweite Bedingung ist die Beteiligung aller Bürger in einem Gemeinwesen. Im Fall des Irak ist hier ein Hoffnungsschimmer gegeben: der neue Premierminister Haidar al Abadi arbeitet an der Bildung einer Einheitsregierung. In den Gebieten hingegen, die der „Islamische Staat“ kontrolliert, herrschen Terror, Vertreibung und Chaos. Das Äußerste, was Politik leisten könne, sei einen gewaltsamen Konflikt auf seinen politischen Kern zurückzuführen wie etwa derzeit in der Ukraine. Justenhoven:
„Ich kann nicht beurteilen, ob es unmöglich ist, in einer solchen Gruppe einen politischen Kompromiss zu schließen. Wenn dem so wäre, müsste in der Tat einer solchen Gruppe militärisch Einhalt geboten werden, aber auch das kann immer nur der erste Schritt sein. Die eigentliche politische Aufgabe besteht dann darin, zu einer politischen Ordnung auf der Basis der Menschenrecht zurückzukehren, in der alle dort lebenden Menschen ein Minimum an Lebensbedingungen vorfinden.“ (rv)