In Afghanistan steht der Einsatz der Bundeswehr schon jetzt ganz im Zeichen der Übergabe der Verantwortung an die lokalen Ordnungskräfte. Das berichtet Militärbischof Franz-Josef Overbeck nach einem Besuch im Land. Vier Tage lang war Overbeck gemeinsam mit dem für Polizeiseelsorge zuständigen Weihbischof Wolfgang Bischof und mit dem Leiter der Kommission Gerechtigkeit und Frieden, Bischof Stephan Ackermann, in Afghanistan unterwegs. Im Interview mit Radio Vatikan berichtet er von seinem Eindruck vom Engagement Deutschlands im Land.
„Ich bin 2011 zum ersten Mal in Afghanistan gewesen und habe damals festgestellt, dass alle mit den großen Konflikten beschäftigt waren. Jetzt, gut zwei Jahre später, ist der Prozess vorangeschritten, erstens zieht sich die Bundeswehr zurück und zweitens wird die Frage, wie die afghanischen Kräfte auf Dauer mit der Sicherheit umgehen, eine wichtigere Rolle spielen.
Es ist ein Transitionsprozess im Gang, der an Fahrt zunimmt. Das betrifft vor allem die Bedeutung der Polizisten, weswegen ich auch den Beauftragten der Bischofskonferenz für die Landespolizeien, Weihbischof Bischof aus München, mitgenommen hatte, der sich darüber informieren wollte, wie auf Dauer dort Seelsorge geschehen kann.“
Die über 3.000 Soldaten sollen in einem Jahr abziehen, bleiben sollen Berater für Afghanistan, das hat sicherlich die Perspektive auf den Einsatz verändert.
„Der augenblickliche Einsatz wird bereits so gefahren, dass er Schritt für Schritt zurückgefahren wird, was die Präsenz der Soldaten angeht. Das ist der politische Wille, der umgesetzt wird. Gleichzeitig ist das mit der Hoffnung verbunden, dass die Kräfte in Afghanistan militärisch und politisch im Stande sind, diesen Prozess der Befriedung positiv voranzubringen.
Ich habe in den Gesprächen festgestellt, gerade auch als ich mit den Mullahs der Blauen Moschee von Mazar al Scharif gesprochen habe, eines der wichtigsten Heiligtümer des Islam, wie sehr die Deutschen wertgeschätzt werden und wie auch ihr Dienst, der dem Frieden und der Integration der verschiedenen Kräfte dient.“
Afghanistan will den Frieden
Was ist Ihr Eindruck: Werden die afghanischen Sicherheitskräfte es schaffen, die Stabilität aufrecht zu erhalten, nachdem die internationalen Kräfte sich aus Afghanistan zurück ziehen?
„Es muss auf Dauer immer ein Ziel sein, dass ein Land sich selbst verwaltet und dafür Sorge trägt, dass es die entsprechenden Kräfte generiert, um das auch leisten zu können. Gleichzeitig geht das nur mit einem befriedeten Umland, beziehungsweise mit Nachbarn, die diesen Frieden fördern. Hier sagen alle Afghanen, dass die Beziehungen und die Einflussmöglichkeiten, die es durch den Iran und durch Pakistan gibt, für den Frieden oder Nichtfrieden in Afghanistan von höchster Bedeutung sind.
Gleichzeitig haben wir festgestellt, dass sich die innerafghanischen Gruppen auf einen Friedensprozess begeben müssen, um überhaupt dieses Ziel zu erreichen. Im Norden des Landes, wo die deutschen Kräfte auch tätig sind, ist dieser Prozess schon gut voran gegangen, so zumindest unsere Information und mein Eindruck, in Kabul und im Süden ist das schwieriger.
Es gibt viele Kräfte, die den Frieden wollen und die all diesen unsäglichen Bürgerkrieg und die Auseinandersetzungen leid sind. Wenn sie dann durch das Land fahren und sehen, wie viel zerstört ist, dann kann man das auch umso besser verstehen.
Gleichzeitig gehört Afghanistan zu den ärmsten Ländern dieser Erde und die Menschen wissen, dass es ohne Frieden nicht den kleinsten Schritt zu mehr Wohlstand gibt.“
Solidarisches Mittragen des friedlichen Aufbaus
Warum ist Deutschland und ist die Bundeswehr dort engagiert, geht es um deutsche Interessen oder um afghanische Stabilität?
„Heute ist, glaube ich, sehr deutlich festzustellen, dass diese komplexen Sachverhalte nur mit Blick auf das Weltallgemeinwohl zu regeln sind. Deswegen ist eine weltweite Solidarität auch einzufordern. Wo so viel Gewalt ist wie dort, sind natürlich die Kräfte des Militärs und der Polizei gefragt. Aber ohne eine zivile Aufbauleistung auf den Weg zu bringen, wird es doch auch keinen Frieden geben, so dass das, was durch Lehrerinnen und Lehrer in Bezug auf Bildung getan wird, gerade wegen der Frauen und der Mädchen von höchster Bedeutung ist.
Wir dürfen in Deutschland nicht meinen, dass wir unsere Angelegenheiten nur für uns regeln könnten. Wir sind in einen Weltzusammenhang eingebunden, den wir auch solidarisch mittragen müssen.“
Sie waren gemeinsam mit Bischof Stephan Ackermann dort, in seiner Eigenschaft als Vorsitzender der Kommission Gerechtigkeit und Frieden, es ging also nicht nur um den Einsatz der Bundeswehr.
„Es war mir ein Anliegen, den Vorsitzenden der Unterkommission der Bischofskonferenz Justitia et Pax einzuladen mitzukommen, um deutlich zu machen, dass unser Engagement als Bischofskonferenz verschiedene Perspektiven betrachten muss. Dazu gehören auch die wachen ethischen Fragen nach der Möglichkeit der Herstellung von Gerechtigkeit.
Ich glaube, dass wir auf Dauer als Bischofskonferenz und als Kirche durch unseren wachen Einsatz für die Seelsorge auf der einen Seite, aber auch für die ethischen Begründungsperspektiven, wie denn Frieden und Gerechtigkeit überhaupt hergestellt werden können, von großer Bedeutung sind.
Das macht sich ja immer wieder fest an konkreten Situationen und deswegen haben Bischof Ackermann und ich uns im jetzt zu Ende gehenden Jahr auch in die Drohnen-Debatte eingeschaltet und darauf hingewiesen, dass Kampfdrohnen klaren ethischen Kriterien unterliegen, wenn sie denn eingesetzt werden. Ich habe deutlich gesagt, dass es keine Waffe gibt, die ethisch neutral ist. Das alles gehört in einen weltweiten Diskurs, in dem wir als Kirche eine wichtige Rolle spielen.
Herausforderungen für die Bundeswehr
Haben Sie besondere Wünsche an die neue deutsche Regierung und an „Ihre“ neue Ministerin, Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen? Sie war ja sozusagen direkt nach Ihnen in Afghanistan.
„Sie ist neu im Amt, hat aber schon mehrere Ministerämter gut verwaltet und damit viel Erfahrung. Eine der Herausforderungen für die Bundeswehr wird darin bestehen, das, was wir gesamtgesellschaftlich die Vereinbarkeit von Familie und Beruf nennen, mehr in den Blick zu nehmen.
Ich hoffe auch, dass sich im Blick auf die Weltinnenpolitik und im Blick auf die globalen Herausforderungen, vor denen wir stehen, zeigt, wo die Bundeswehr sowohl im Weltweiten Einsatz gefragt ist, aber auch, dass sie wertschätzende Wahrnehmung auch bei uns in Deutschland bekommt. Das gehört genauso dazu.“ (rv)