Das Heilige Jahr der Barmherzigkeit läuft in Rom anders als vorhergesagt. Bisher sind deutlich weniger Pilger als vermutet gekommen. Das ist an sich kein schlechtes Zeichen und überdies erklärbar, sagt Monsignore Liberio Andreatta, der Leiter des römischen Pilgerwerkes ORP im Gespräch mit Radio Vatikan.
„Wir leben in einer Gesellschaft, in der alles schnell geht, in der man alles in kurzer Zeit konsumiert – und in der es einen sehr ausgeprägten Individualismus gibt, der leider auch unsere Gläubigen betrifft. Das Ganze wird befeuert von den technologischen Instrumenten, social Media, von Transportmitteln wie Hochgeschwindigkeitszügen und Billigflügen, und vom Internet. Jeder kann maßgeschneidert seine eigenen Wege zusammenstellen. Wir haben ein wenig den Gemeinschaftssinn verloren. Wir müssten zusammen mit den Priestern mehr daran arbeiten, damit die Gläubigen besser verstehen, dass man eine Pilgerfahrt nicht alleine macht, sondern in Gemeinschaft. Denn das Pilgern ist eine kirchliche Erfahrung. Es lehrt den einzelnen, gemeinsam unterwegs zu sein, miteinander zu leben, dem anderen, der neben einem hergeht, zu helfen, und so wird das Pilgern auch eine Erfahrung, die menschlich und christlich bildet.
Die Wirtschaftskrise und nicht zuletzt die Angst vor Terroranschlägen tun ihr Übriges, „auch wenn unsere Erfahrung zeigt, dass die Menschen ein kurzes Gedächtnis haben“, so Andreatta, der seit Jahrzehnten Pilger betreut. Und noch etwas: dass die Heilig-Jahr-Pilger derzeit nach Rom nur tröpfeln statt strömen, liegt auch am neuen Charakter, den Papst Franziskus dem Jubeljahr verliehen hat.
„Das Heilige Jahr wird in allen Bistümern und Wallfahrtsorten begangen. Das ist eine Neuheit, dass die Gläubigen es in ihren Gemeinschaften begehen, mit ihren Bischöfen und Priestern und in ihren Wallfahrtsorten zu Hause begehen. Zweiter Aspekt: es ist auch ein Moment, in dem die Ereignisse von Paris immer noch frisch sind und die Angst herrscht. Es ist auch nicht Reisezeit. Ich denke, gegen Ostern werden wir eine stärkere Teilnahme von Pilgern sehen.“
Der Präsident des Päpstlichen Rates zur Förderung der Neuevangelisierung, Erzbischof Rino Fisichella, hatte kürzlich von einer Million Heilig-Jahr-Pilger im ersten Monat gesprochen. Anwohner, Händler und Restaurantbesitzer meinen, die Zahl sei deutlich zu hoch gegriffen. Sie sehen bisher sogar eher weniger Rom-Besucher als sonst im Dezember und Januar. (rv)