„Die Frage der Zulassung der wiederverheiratet Geschiedenen zu den Sakramenten ist kein neues und kein nur deutsches Problem.“ Das schreibt Kardinal Walter Kasper in einem Aufsatz, den die Zeitschrift „Stimmen der Zeit“ an diesem Donnerstag veröffentlicht hat. Der frühere Leiter des vatikanischen Ökumenerates widerspricht dem Eindruck, dass diese Frage der Wiederverheirateten im Mosaik der kirchlichen Ehe- und Familienpastoral nur ein ganz kleines Steinchen wäre.
„Die Diskussion um diese Frage wird international seit Jahrzehnten geführt“, schreibt Kasper: Auch Johannes Paul II. habe schon „von einer schwierigen und kaum lösbaren Frage“ gesprochen. Das „Problem so vieler Gläubigen“ brenne „vielen Seelsorgern und Beichtvätern, Theologen und Bischöfen auf der Seele“. Kasper wörtlich: „Es war darum zu erwarten, dass die Frage im Vorfeld und während der Außerordentlichen Bischofssynode 2014 neu aufgeflammt ist und kontrovers diskutiert wurde“. Die bevorstehende Ordentliche Bischofssynode vom Herbst 2015 solle diese Frage nun „abschließend beraten und sie dem Papst zur Entscheidung vorlegen“, so Kasper.
„Schmerzlicher, aber heilsamer Prozess der Klärung“
Was den kirchlichen Umgang mit wiederverheirateten Geschiedenen betrifft, geht Kardinal Kasper zunächst auf die geistliche Kommunion ein, die ihnen – anders als die Kommunion von Brot und Wein – auch nach heutigem Kirchenrecht erlaubt bleibt. Doch Kasper gibt zu bedenken, dass die geistliche Kommunion „keine alternative Form zur sakramentalen Kommunion“ sei, „sondern wesentlich auf die sakramentale Kommunion bezogen“. Das mache „die Anwendung auf die Situation der wiederverheiratet Geschiedenen problematisch“ und führe letztlich „in eine theologische Sackgasse“. Ähnlich skeptisch äußert er sich über Anleihen aus der Praxis der orthodoxen Kirchen.
Stattdessen wirbt er „für eine Erneuerung der via paenitentialis“ der alten Kirche. „Gemeint ist nicht die Ableistung von Bußauflagen, sondern der schmerzliche, aber heilsame Prozess der Klärung und der Neuausrichtung nach der Katastrophe einer Scheidung, der in einem geduldig hinhörenden und klärenden Gesprächsprozess von einem erfahrenen Beichtvater begleitet wird“, so Kasper. Dieser Prozess solle „bei dem Betroffenen zu einem ehrlichen Urteil über seine persönliche Situation führen, in dem auch der Beichtvater zu einem geistlichen Urteil kommt, um von der Vollmacht zu binden und zu lösen in einer der jeweiligen Situation angemessenen Weise Gebrauch machen zu können“. Das geschehe „in schwerwiegenden Fragen nach alter kirchlicher Praxis unter der Autorität des Bischofs“. Der Kardinal betont, bei dieser Binde-und-Löse-Vollmacht gehe es keineswegs um eine „billige Pseudogerechtigkeit“ oder eine „Außerkraftsetzung des Rechts“, „sondern um die höhere Gerechtigkeit“.
Natürlich bedeute sein Vorschlag auch keineswegs „eine Vergebung ohne Umkehr“, beteuert Kardinal Kasper: „Das wäre in der Tat theologischer Unsinn.“ Der oder die Beichtende müsse „Reue und den Willen“ zeigen, „in der neuen Situation nach besten Kräften gemäß dem Evangelium zu leben“. Kasper fährt fort: „Gerechtfertigt wird in der Lossprechung nicht die Sünde, sondern der umkehrwillige Sünder. Die sakramentale Kommunion, zu der die Lossprechung wieder berechtigt, soll dem Menschen in einer schwierigen Situation die Kraft geben, um auf dem neuen Weg durchzuhalten. Gerade Christen in schwierigen Situationen sind auf diese Kraftquelle angewiesen“. Eine solche „Erneuerung der kirchlichen Bußpraxis“ könnte nach Kaspers Dafürhalten „über den Bereich der wiederverheiratet Geschiedenen hinaus Signalwirkung haben für die notwendige Erneuerung der in der gegenwärtigen Kirche in beklagenswerter Weise so darniederliegenden kirchlichen Bußpraxis“.
Unauflöslichkeit „nicht fundamentalistisch auslegen“
Der emeritierte deutsche Kurienkardinal hatte im Frühjahr 2014 den synodalen Prozess zur Neuordnung der Ehe- und Familienseelsorge auf die Bitte von Papst Franziskus hin mit einem Grundlagen-Vortrag eröffnet. In diesem Text mit dem Titel „Das Evangelium von der Familie“ wurde die Frage des kirchlichen Umgangs mit wiederverheirateten Geschiedenen bereits angesprochen. Vorschläge Kaspers stießen bei einem Teil der Synodenväter im Oktober 2014 auf deutlichen Widerspruch.
In dem an diesem Donnerstag erschienenen Aufsatz nun betont der Kardinal mit Blick auf die Ehe: „Grundlegend ist das Wort Jesu, dass der Mensch nicht trennen darf, was Gott verbunden hat.“ Das sei schon zur Zeit Jesu selbst „anstößig“ gewesen. „So wenig wie damals dürfen wir heute das Wort Jesu durch Anpassung an die Situation entschärfen.“ Allerdings dürfe es auch „nicht fundamentalistisch ausgelegt werden“. Kasper schreibt wörtlich: „Es gilt seine Grenze wie die Weite auszuloten, es im Ganzen der Botschaft Jesu zu verstehen und ihm treu zu bleiben, ohne es zu überdehnen.“ Schon in der Urkirche habe es daher durchaus eine „flexible pastorale Praxis mancher Ortsgemeinden“ gegeben.
Der Bund kann auch scheitern
Das Zweite Vatikanische Konzil habe die Ehe unter Berufung auf den Epheserbrief „als sakramentales Abbild des Bundesverhältnisses von Christus und der Kirche gedeutet“. Das sei „eine großartige und überzeugende Konzeption“, urteilt Kasper. „Sie darf jedoch nicht zu einer lebensfremden Idealisierung führen.“ Die christliche Ehe sei „ein großes Geheimnis in Bezug auf Christus und die Kirche“, könne dieses Geheimnis aber „im Leben nie ganz, sondern immer nur gebrochen verwirklichen“. Das könne bis zum Scheitern der Ehe gehen; Scheitern gehöre übrigens „auch zur biblischen Theologie des Bundes“, wie etwa im Buch Hosea deutlich werde. „Eine realistische Theologie der Ehe muss dieses Scheitern ebenso wie die Möglichkeit der Vergebung bedenken“, so Kasper. Auch im menschlichen Scheitern bleibe „die Verheißung der Treue und des Erbarmens Gottes bestehen“.
„In diesem Sinn wird die Lehre von der Unauflöslichkeit der Ehe neu aktuell“, fährt der Kardinal fort: „Sie ist kein bloßes Ideal. Gottes Ja-Wort bleibt bestehen, auch wenn das menschliche Ja-Wort schwach oder gar gebrochen wird… Das von Gott selbst geknüpfte Eheband zerbricht nicht, auch wenn die menschliche Liebe schwächer wird oder gar ganz erlischt.“ Auf Gottes Barmherzigkeit sei „Verlass, wenn nur wir uns auf sie verlassen“. (rv)