VATIKANSTADT – Erzbischof Carlo Maria Viganò hat ein neues Schreiben zu den Vorwürfen veröffentlicht, dass hochrangige Prälaten an der Vertuschung des mutmaßlichen sexuellen Missbrauchs durch Erzbischof Theodore McCarrick beteiligt waren.
Der auf den 29. September – dem Fest des Heiligen Erzengels Michael – datierte Brief trägt als Überschrift das bischöfliche Motto von Erzbischof Viganò: Scio Cui credidi (ich weiß, wem ich geglaubt habe – nach 2 Tim 1,12). Er wurde vor wenigen Stunden veröffentlicht.
Der ehemalige Apostolische Nuntius dankt in dem vierseitigen Dokument eingangs „Gott dem Vater für jede Situation und Prüfung, die er vorbereitet hat und die er für mich während meines Lebens vorbereiten wird“. Als Priester und Bischof der Heiligen Kirche sei er wie jeder Getaufte berufen, die Wahrheit zu bezeugen, schreibt Viganò, und erinnert an Psalm 103:33-34:
„Ich beabsichtige, dies bis zum Ende meiner Tage zu tun.“
Viganò erinnert daran, dass er vor einem Monat seine schweren Vorwürfe gegen Papst Franziskus und mehrere hochrangige Kirchenmänner veröffentlicht hat, denen er zur Last legt, vom sexuellen Fehlverhalten von Erzbischof Theodore McCarrick gewußt zu haben.
Er habe sich entschieden, diese Vertuschung zum Wohl der Kirche offenzulegen, „nach langem Nachdenken und Beten, während Monaten tiefen Leidens und Leidens, angesichts eines Crescendos ständiger Nachrichten über schreckliche Ereignissen“, schreibt Viganò.
„Das Schweigen der Hirten, die hätten Abhilfe schaffen und neue Opfer verhindern können, wurde immer unhaltbarer, ein verheerendes Verbrechen für die Kirche“.
Viganò betont: „Im Bewusstsein der enormen Folgen, die mein Zeugnis haben könnte, denn was ich enthüllen würde, betraf den Nachfolger Petri selbst, entschied ich mich dennoch zur Aussage, um die Kirche zu schützen, und ich erkläre mit reinem Gewissen vor Gott, dass mein Zeugnis wahr ist.“
Päpstliches Geheimnis
Der Erzbischof und ehemalige Nuntius räumt ein, dass ein Teil dessen, was er offenlegte, unter das Päpstliche Geheimnis fiel, rechtfertigt aber seine Entscheidung mit dem Argument, dass „der Zweck einer jeden Geheimhaltung, einschließlich des Päpstlichen Geheimnisses, darin besteht, die Kirche vor ihren Feinden zu schützen, nicht Verbrechen zu vertuschen oder sich daran zu beteiligen“.
Als „unfreiwilliger Zeuge schockierender Tatsachen“ berufe er sich auf des Katechismus der Katholischen Kirche, der – außer in der Beichte – eine Offenlegung eines Geheimnisse erlaubt, um Schaden abzuwenden.
Tatsächlich sieht der Katechismus dies in Fällen vor, wo „die Bewahrung des Geheimnisses dem, der es anvertraut, oder dem, dem es anvertraut wird, oder einem Dritten einen sehr großen Schaden zufügen würde“ (KKK, 2491) – und entbindet in solchen Fällen Katholiken von der Geheimhaltung.
Viganò stellt fest: „Weder der Papst noch einer der Kardinäle in Rom haben die Tatsachen geleugnet, die ich in meinem Zeugnis beschrieben habe“. Wenn sie seiner Darstellung widersprechen wollten, so der Erzbischof, „müssen sie es nur sagen und Unterlagen zur Verfügung stellen, um ihr Abstreiten belegen“.
Unvermeidlich sei da doch der Eindruck, dass der Grund, warum die Akten nicht veröffentlicht werden, darin bestehe, dass diese „meine Aussagen bestätigen“, so der Erzbischof.
McCarrick „eindeutig kein Einzelfall“
Erzbischof Viganò verweist darauf, dass Papst Franziskus auf die Vorwürfe antwortete, dass er dazu „kein einziges Wort“ sagen werde, jedoch dann „sein Schweigen mit dem von Jesus in Nazareth und vor Pilatus verglichen hat, und mich mit dem großen Ankläger Satan verglichen hat, der Skandal und Spaltung in der Kirche sät – wenn auch ohne jemals meinen Namen zu sagen“.
Der Erzbischof kritisiert die „mangelnde Bereitschaft des Papstes, auf meine Vorwürfe zu reagieren, und seine Taubheit gegenüber den Appellen der Gläubigen“. Das Verhalten von Franziskus sei weder vereinbar mit seiner Rechenschaftspflicht, noch stehe es im Einklang „mit seinen Forderungen nach Transparenz und Brückenbau“.
Viganò schreibt weiter, dass
„die Vertuschung von McCarrick durch den Papst eindeutig kein Einzelfall war“. Franziskus habe schließlich „homosexuelle Geistliche verteidigt, die schwere sexuelle Übergriffe gegen Minderjährige oder Erwachsene begangen haben“. Er nennt als Beispiele die Fälle der überführten Kinderschänder Julio Grassi aus Argentinien und Mauro Inzoli aus Italien – sowie den Fall der Überprüfung von „Anschuldigungen wegen sexuellen Missbrauchs gegen Kardinal Cormac Murphy O’Connor“.
Erzbischof Viganò fordert Kardinal Daniel DiNardo und weitere US-Bischöfe auf mitzuteilen, ob Papst Franziskus ihre Forderung nach einer Untersuchung der Vorwürfe durch den Vatikan abgelehnt hat.
(DiNardo hatte eine solche selbst gefordert, den Papst dazu am 13. September mit einer US-Abordnung im Vatikan getroffen, danach aber nicht mitgeteilt, wie Franziskus entschieden hat. Auch das Presse-Amt des Heiligen Stuhls machte dazu keine Angaben.)
Es stehe den Gläubigen zu, die Wahrheit zu erfahren, schreibt Viganò dazu.
Appell an Kardinal Ouellet
Der Erzbischof wendet sich in seinem neuen Schreiben auch an den kanadischen Kardinal Marc Ouellet, der als Präfekt der Bischofskongregation dient.
Erzbischof Viganò schreibt, dass Kardinal Ouellet in der Anfangszeit des Pontifikats noch seine Würde bewahrt habe.
„Später jedoch, als sein Amt als Präfekt der Bischofskongregation untergraben wurde, weil Empfehlungen für bischöfliche Ernennungen von zwei homosexuellen ‚Freunden‘ seines Dikasteriums unter Umgehung des Kardinals direkt an Papst Franziskus weitergegeben wurden, gab er auf. Sein langer Artikel im „Osservatore Romano“, in dem er sich für die umstritteneren Aspekte von Amoris Laetitia aussprach, stellt seine Kapitulation dar.“
Viganò wendet sich direkt an Ouellet: „Bevor ich nach Washington ging, waren Sie es, der mir von Papst Benedikts Sanktionen gegen McCarrick erzählt hat. Sie verfügen über Schlüsseldokumente, die McCarrick und viele in der Kurie für ihre Vertuschungen belasten. Eminenz, ich bitte Sie, die Wahrheit zu bezeugen.“
Erzbischof Viganò beendet sein Schreiben mit einer Ermutigung an Katholiken, „niemals mutlos zu sein“ und auf Christus zu vertrauen.
„Dies ist eine Zeit der Reue, der Umkehr, des Gebets, der Gnade, um die Kirche, die Braut des Lammes, vorzubereiten, bereit, mit Maria zu kämpfen und den Kampf gegen den alten Drachen zu gewinnen“, schreibt er.
Viganò erinnert an ein Kunstwerk in der Markuskirche in Venedig, das Jesus zweimal im gleichen Bild zeigt: Einmal, wie er im Boot liegt und schläft, während ein Sturm tobt, und Petrus versucht, zu wecken; und zugleich auch den erwachten Christus, der hinter den verängstigten Jüngern – die ihn nicht sehen – im Boot steht und das aufgewühlte Wasser bändigt.
„Die Szene ist sehr zeitgemäß, um den gewaltigen Sturm darzustellen, den die Kirche in diesem Moment durchmacht“, schreibt der Erzbischof, „aber mit einem wesentlichen Unterschied: Der Nachfolger von Petrus sieht nicht nur nicht den Herrn, der das Boot fest in der Hand hat, sondern scheint auch nicht die Absicht zu haben, den im Bug schlafenden Jesus zu wecken.“
Viganò schreibt: „Ist Christus vielleicht für diesen Vikar unsichtbar geworden? Vielleicht ist er versucht, als Ersatz für unseren einzigen Meister und Herrn zu dienen?“
Er schließt mit den Worten: „Der Herr hat die volle Kontrolle über das Boot! Möge Christus, die Wahrheit, immer das Licht auf unserem Weg sein!“ (CNA Deutsch)