Die Gesundheit des Planeten und die Gesundheit des Menschen hängen auf engste zusammen, aber das Bewusstsein für diesen Zusammenhang ist erst im Entstehen begriffen. An der Päpstlichen Akademie der Wissenschaften tagen zurzeit fachübergreifend etliche Dutzend Fachleute und Verantwortliche für öffentliche Gesundheit aus allen Teilen der Welt, die sich über diese Fragen austauschen. Vom Vatikan aus wollen sie am Samstag an Staatenlenker und Religionsführer appellieren, ihre Verantwortung wahrzunehmen.
Mit dabei ist aus Deutschland Hans-Joachim Schellnhuber, Direktor des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung, Mitglieder der päpstlichen Akademie der Wissenschaften und im Vatikan sehr geschätzt: Schellnhuber hatte damals die Umwelt-Enzyklika von Franziskus, „Laudato Si“, der Öffentlichkeit vorgestellt. Gudrun Sailer sprach mit dem Klimaforscher und fragte ihn zunächst, welche Ziele sich die vatikanische Konferenz gesteckt hat.
Schellnhuber: „Zunächst geht es darum, den Politikern und der Öffentlichkeit klar zu machen, dass wir ein ungeheures Gesundheitsproblem haben, das mit der Verschlechterung der Qualität unserer Umwelt zusammenhängt. Dieses Bewusstsein existiert weitgehend nicht. Das wird das erste sein, dafür zu sorgen, dass die professionellen Organisationen das ganz nach oben auf ihre Liste bringen. Aber dann wird man eben genau diese Zusammenhänge durchdeklinieren.“
RV: Welche Zusammenhänge wären das?
Schellnhuber: „Wir sind krank, weil wir Dinge essen, die auch der Umwelt schaden. Wir produzieren unendliches tierisches Leid, Massentierhaltung, industrielle Landwirtschaft, indem wir Dinge tun, die am Ende auch wieder der Umwelt schaden. Wenn wir die Umwelt bewahren, etwa natürliche Ökosysteme, wird das nicht nur unsere Rekreation verbessern, sondern auch unsere physische Gesundheit und unser Wohlbefinden. Es geht darum, im Grunde eine Liste von konkreten Maßnahmen niederzuschreiben, das wird am Ende die Deklaration sein, was wir in den nächsten fünf bis zehn Jahren tun können.
RV: Sehen Sie da auch eine langfristige Botschaft?
Schellnhuber: „Langfristig – und das ist eine wichtige Botschaft – langfristig muss man erkennen, dass man nach dem Zweiten Weltkrieg, wo es im Wesentlichen um Bequemlichkeit, schnelles Vergnügen und Konsum ging, im Grund ein falsches Paradigma, ein falsches Leitbild für unsere Gesellschaft entwickelt haben, was übrigens auch in der Enzyklika diskutiert und kritisiert wird, wir sind im Grunde auf den falschen Zivilisationsdampfer gestiegen in den 1950er Jahren, und der fährt nicht nur jetzt gegen eine ökologische Wand – er macht uns auch krank.“
RV: Aber das Bewusstsein für diese Zusammenhänge hat doch in den letzten Jahren stark zugenommen?
Schellnhuber: „Aber es ist immer noch beschränkt auf die obere Mittelschicht, vielleicht zehn oder 15 Prozent der Bevölkerung in den reichen Ländern. Wenn Sie das auf die Gesamtbevölkerung der Erde umrechnen, sind es wenige Prozent, die es ernst nehmen und vielleicht auch ihren Lebensstil deswegen ändern oder vielleicht eine andere Partei wählen oder innovative Lösungen suchen. Aber es sind gerade die ärmsten Menschen auf diesem Planeten, und das sind Milliarden, die am stärksten leiden unter der falschen Art, wie wir Nahrung produzieren, Energie gewinnen, Konsumketten aufbauen und sofort. Diese Menschen haben nicht einmal die Chance zu begreifen, was vor sich geht, und das war ein zentrales Thema gestern, dass wir gerade den Menschen in den Entwicklungsländern überhaupt erst die Informationen geben, was wir ihnen antun – und dieses wir, das steht für die ganze industrialisierte Welt. Sie haben nicht einmal eine Chance zu begreifen, was mit ihnen geschieht. Das ist vielleicht der größte soziale Skandal von allen.“
RV: Was kann die Botschaft vom Vatikan aus hier eigentlich für Effekte haben?
Schellnhuber: „Es gibt unterschiedliche Erwartungen. Die einen sagen, es muss eine richtige Punchline haben, eine Botschaft, die alle trifft. Das wird man auch ansprechen, etwa dass die WHO so etwas wie Luftverschmutzung auf die Topliste ihrer Ziele setzt, was bisher nicht der Fall ist. Gehen Sie auf die WHO-Webseite, Sie werden das Thema kaum finden. Im Grund unfassbar: Es geht um fast ein Viertel aller vorzeitigen Todesfälle auf der Welt. Ich glaube, dass die Päpstliche Akademie der Wissenschaften auch andere Funktionen der Deklaration realisieren kann. Es geht nämlich darum, in die wissenschaftlichen Gemeinschaften hineinzuarbeiten, die angehalten werden sollen, ganzheitlich über diese Thematik nachzudenken, also interdisziplinär, man muss klinische Forschung mit Klimaforschung, mit Ökosystemforschung und dergleichen zusammenbringen.“
RV: Gibt es noch ein übergeordnetes Ziel, etwas, das vielleicht gerade vom Vatikan aus besser gelingen kann als von anderen Orten aus?
Schellnhuber: Ja, das andere, was ich für noch wichtiger halt, ist, dass von hier aus, wie es die Enzyklika beispielhaft getan hat, eigentlich ein neues Denken entsteht, ein Paradigmenwechsel, der dringend erforderlich ist. Wir alle fühlen, dass wir eigentlich auf dem falschen Dampfer sind. Aber keiner will den Motor stoppen und von Bord springen, ich glaube das Entscheidende, was so eine Deklaration bewirken kann, ist ein anderes Denken über diese Zusammenhänge, und das ist ein mühsamer, langsamer Prozess, der gesellschaftliche Diskurs muss so etwas aufgreifen, aber das ist meine Erfahrung mit der Enzyklika Laudato si auch: es hat an vielen Stellen der Welt das Denken der Menschen verändert, und am Schluss kommt dann natürlich auch Glaube und Moral ins Spiel.“ (rv)