Santo subito: Vor dreizehn Jahren starb Papst Johannes Paul II.

Santo subito: Wer könnte die prophetischen Rufe der Menge auf dem Petersplatz vergessen, als die Menschen in Scharen nach Rom reisten, um dem verstorbenen Johannes Paul II. vor genau dreizehn Jahren Tribut zu zollen.

Am 2. April 2005 um 21.37 Uhr starb der Papst, dessen Leiden und Sterben wie bei keinem anderen Kirchenoberhaupt im Blick der Weltöffentlichkeit stand. Schon Stunden vor seinem Tod hatten sich Tausende von Menschen auf dem Petersplatz eingefunden, um den Rosenkranz für den sterbenden Papa Wojtyla zu beten. Schätzungen zufolge waren es sieben Millionen Pilger, die sich nach Rom aufmachten, um ihn in den Stunden seines Todeskampfes und bei seinem Begräbnis spirituell zu begleiten.

Tiefe Dankbarkeit und untröstlicher Schmerz

Die Bilder von damals beeindrucken noch heute: die tiefe Dankbarkeit, der feste Glaube und der untröstliche Schmerz. All dies vermitteln die Menschen, die aus aller Welt nach Rom gereist sind, um sich von dem Papst zu verabschieden, der fast dreißig Jahre auf dem Stuhl Petri gesessen hatte. Es war der damalige Substitut des Staatssekretariats, Erzbischof Leonardo Sandri (heute Kardinal und Präfekt der Ostkirchenkongregation), der die Pilger auf dem Petersplatz vom Tod des Papstes unterrichtete.

Menschenmassen beim Begräbnis und eine Rekord-Heiligsprechung

In den kommenden Tagen wurden die Schlangen auf dem Petersplatz immer länger: abertausende von Menschen reisten aus der ganzen Welt an, um sich von dem im Petersdom aufgebahrten Johannes Paul II. zu verabschieden. Das Begräbnis am 8. April 2005 wurde durch den damaligen Dekan des Kardinalskollegiums, Kardinal Josef Ratzinger, zelebriert. Nur wenige Tage später, am 19. April 2005, wurde er im Konklave als Benedikt XVI. zum Nachfolger für Johannes Paul II. gewählt.

Es folgte eines der schnellsten Heiligsprechungsverfahren der Geschichte: Nicht einmal zehn Jahre nach seinem Tod wurde der Papst aus Polen am 27. April 2014, gemeinsam mit Papst Johannes XXIII., ins Verzeichnis der Heiligen aufgenommen. Die Teilnahme der Pilger an der Zeremonie sprengte alle Rekorde: etwa eine Million Menschen wollten an der Feier teilnehmen, die Stadt Rom war für das Jahrhundertereignis in den Ausnahmezustand versetzt. (vatican news – cs)

Blutreliquien des heiligen Johannes Paul II. gestohlen

VATIKANSTADT – Die italienischen Behörden ermitteln im Fall des Diebstahls von Blutreliquien des heiligen Papstes Johannes Paul II. aus dem Heiligtum von Montecastello im Norden des Landes.

Laut Angaben der Nachrichtenagentur Efe wurden die Reliquien zusammen mit Knochenfragmenten des seligen Jerzy Popieluszko, einem polnischen Priester, der 1984 getötet worden war, gestohlen. Beide befanden sich im Hochaltar.

Der Vorfall ereignete sich letzte Woche, die Nachricht wurde aber erst gestern bekanntgegeben. Nach dem ersten Stand der Ermittlungen gaben sich die Diebe als Touristen aus und entwendeten die Reliquien kurz vor Schließung des Heiligtums.

Der Pfarrer des Heiligtums, Giuseppe Mattanza, erklärte gegenüber Efe, dass es sich um eine „schwerwiegende Tat“ handle und forderte die Diebe auf, die Reliquien zurückzugeben.

Wie es oft der Fall ist, waren die Reliquien des Papstes und des seligen Popieluszko ein Geschenk an das Heiligtum, hier ein Geschenk des emeritierten Erzbischofs von Krakau, Kardinal Stanislaw Dziwisz, dem ehemaligen Privatsekretär des Papstes.

Der Priester Jerzy Popieluszko wurde am 14. September 1947 geboren. Das kommunistische Regime hatte für den 13. Oktober 1984 einen Anschlag auf sein Auto geplant, um ihn zu töten, der jedoch scheiterte. Ein alternativer Plan – seine Entführung – wurde am 19. Oktober von drei Offizieren durchgeführt. Diese warfen ihn lebend in den Weichsel-Stausee, nachdem sie Steine an seine Füße gebunden hatten, damit sein Körper nicht an die Oberfläche käme. Sein Leichnam wurde am 30. Oktober geborgen.

Die Meldung dieses politischen Mordes erschütterte ganz Polen und die Mörder sowie einer ihrer Vorgesetzten wurden für die Straftat verurteilt. (CNA Deutsch)

Keine Entscheidung für die falsche Richtung

Ein Kommentar zur Diskussion über die Änderungen bei der Päpstlichen Akademie für das Leben.

Die Ernennung der ordentlichen Mitglieder der neuen Päpstlichen Akademie für das Leben durch Papst Franziskus am vergangenen Dienstag hat zu Gerüchten geführt. So wurde behauptet, Papst Franziskus habe die „Lebensschützer“ aus der Akademie entfernt und auch die Satzung geändert, um damit das Erbe des heiligen Papst Johannes Pauls II. zu verraten. Außerdem seien zwielichtige neue Mitglieder ernannt worden. Die Wahrheit ist viel weniger spektakulär.

Wie aus gut unterrichteten Kreisen zuverlässig zu erfahren ist, gab es schon vor der Wahl von Papst Franziskus Pläne, die Satzung zu ändern und die ordentlichen Mitglieder nur noch für fünf Jahre zu bestellen, außerdem war vorgesehen, der Akademie einen mehr akademischen Charakter zu geben.

Papst Johannes Paul II. hatte bei der Gründung der Akademie 1994 sowohl Wissenschaftler als auch Aktivisten ernannt, die sich für den Lebensschutz engagieren. Das hatte in den vergangenen Jahren zunehmend zu Spannungen innerhalb der Akademie geführt. Deswegen war daran gedacht worden, künftig eher Wissenschaftler in die Akademie zu berufen. Diese Überlegungen waren, wie es heißt, bereits im Pontifikat von Papst Benedikt weit fortgeschritten, konnten dann aber durch den Rücktritt des Papstes nicht umgesetzt werden. Durch die von Papst Franziskus eingeleitete Kurienreform verzögerte sich die Reform der Akademie zunächst.

Was offenbar jetzt hinzukam, war die Entscheidung für die Aufnahme auch nichtkatholischer Mitglieder. Dies hatte Papst Johannes Paul II. schon für die Päpstliche Akademie der Wissenschaften befürwortet, in die er unter anderem die bekennenden Atheisten Stephen Hawking und Wolf Singer aufnahm, so dass mitunter sogar die Klage aufkam, Katholiken würden bei der Aufnahme in diese Päpstliche Akademie benachteiligt.

So weit geht die Reform der Päpstlichen Akademie für das Leben jetzt nicht. Fast alle Mitglieder sind katholisch, 24 der jetzt ernannten 50 Mitglieder wurden bereits unter Papst Johannes Paul II. ernannt, 10 unter Papst Benedikt XVI. Damit sind nur 16 der Mitglieder Neu-Ernennungen von Papst Franziskus. Das wird für Kontinuität sorgen. So ist das einzige deutsche Mitglied, der Psychiater und Theologe Manfred Lütz, der 2003 im Auftrag von Kardinal Ratzinger im Vatikan einen Kongress zur Missbrauchsfrage organisierte, noch von Papst Johannes Paul II. nicht nur zum ordentlichen Mitglied ernannt, sondern auch ins Direktorium der Akademie berufen worden. Von einer Abkehr der Akademie vom Erbe Papst Johannes Pauls II. kann also keine Rede sein.

Besonderes Aufsehen erregte die Ernennung eines Juden, eines Moslem, eines griechisch Orthodoxen, eines Anglikaners und eines japanischen Nobelpreisträgers. Dabei war klar, dass diese Nichtkatholiken nicht in allem katholische Überzeugungen vertreten.

Es wird sich zeigen müssen, ob zum Beispiel die Tatsache zu Irritationen führen wird, dass der Oxforder anglikanische Moraltheologe Niggel Biggar zwar in der Euthanasiefrage und bei der zur Zeit international heftig diskutierten Debatte um den ärztlich assistierten Suizid offenbar voll der katholischen Lehre entspricht, aber in der Abtreibungsfrage eine abweichende Meinung vertritt.

Dabei darf allerdings ohnehin kein Mitglied der Akademie im Namen der Akademie sprechen. Bei den hauptamtlichen Mitarbeitern der Akademie hat sich aber seit Papst Benedikt nichts Wesentliches geändert, es gab vor allem eine Änderung in der Präsidentschaft. Kurz vor Erreichen des achtzigsten Lebensjahres wurde Bischof Ignacio Carrasco de Paula durch Erzbischof Paglia ersetzt.

Dass die nicht wieder ernannten Mitglieder nun enttäuscht sind, ist verständlich, dass manche von ihnen aus ihrer eigenen Nichternennung eine Richtungsentscheidung des Papstes machen wollen und zwar eine Entscheidung für die falsche Richtung, geben die Fakten nicht her. (CNA Deutsch)

Irland: Desmond Kardinal Connell verstorben

Wie das Staatssekretariat des Vatikan heute berichtet, ist der irische Kardinal Connell am 21. Februar verstorben. Connell war von März 1988 bis April 2004 Erzbischof von Dublin (Irland). Papst Johannes Paul II. erhob ihn am 21. Februar 2001 in den Kardinalsstand und übertrug ihm die Titelkirche S. Silvestro in Capite. Mit seinem Tod zählt das Kardinalskollegium nunmehr 225 Mitglieder und 118 Kardinäle haben ein aktives Wahlrecht bei einem künftigen Konklave. (vh)

Kardinal Sandri: Johannes Paul II. und die Hymne an das Leben

Papst Johannes Paul II.Vor exakt zehn Jahren war es Kardinal Leonardo Sandri, Präfekt der Kongregation für orientalische Kirchen, der den Tod des Heiligen Papst Johannes Paul II. vor tausenden von Gläubigen am Petersplatz verkündete:

''Liebe Brüder und Schwestern, um 21:37 ist unser geliebter Heiliger Vater Papst Johannes Paul II. zurückgekehrt ins Haus des Herren. Beten wir für ihn.''

Über viele Jahre hinweg war Kardinal Sandri ein sehr nahestehender Mitarbeiter des nun Heiligen Papstes und er war an seiner Seite bis zu den letzten Momenten seines Lebens.

„Ich begleitete ihn in seinen letzten Jahren, als seine Gesundheit immer schwächer wurde; vor allem nach seinem letzten Besuch in Lourdes. Ich habe noch immer eine sehr lebendige Erinnerung an Johannes Paul II. Wir müssen uns an seine große Persönlichkeit erinnern; von der intellektuellen, doktrinären und natürlich pastoralen Perspektive aus gesehen. Und all das in einem Kontext einer Weltansicht, die sich veränderte mit der Welt. Er hat das nicht direkt gemacht, aber um diese Veränderung zu verwirklichen hat er den Menschen gepredigt sich an die Lehren von Jesus Christus anzunähern, an die Liebe; die Gerechtigkeit, die Freiheit, die Solidarität….Ich denke, dass diese Aspekte von Johannes Paul II. in der Kirche heute wiederauffindbar sind, auch in der Person von Papst Franziskus. Ich beziehe mich hier vor allem an seine Nähe an das Volk, die Papst Johannes Paul II. mit überraschenden Gesten, aber vor allem mit seinem Blick ausdrückte. Ein Blick, der die Herzen der Gläubigen erreichte und mit ihnen auch diejenigen, die lange am Rande des Glaubens blieben."

Johannes Paul II. war der Papst der Herzen, der Sprachen, der Reisen. Er war der erste Nicht-italienische Papst seit Jahrhunderten. Und er war jung, als er sein Pontifikat antrat mit nur 58 Jahren im Jahr 1978.

„Zehn Jahre nach seinem Tod denke ich, dass die Persönlichkeit von Johannes Paul II. in unterschiedlichen und außergewöhnlichen Erinnerungen wiedererlebt und wiedergeboren werden kann, zum Beispiel mit den internationalen Reisen. Viele Völker und Nationen erinnern sich an Johannes Paul II. mit viel Zuneigung und Dankbarkeit. Die Erinnerung an ihn lebt und wächst mit jedem Tag der vergeht…Papst Johannes Paul II. lebte all das, was er sagte, was er in seinem Leben lehrte. Ich erinnere mich, als ich für das Staatssekretariat arbeitete und im selben Moment wir kurz vor der Wahl zum Pontifikat von Papa Wojtyla standen. Also sagte der Kardinal Agostino Casaroli, dass die Wahl von Wojtyla „großen Mut" bewies; Mut den der neue Papst in seiner ersten Predigt demonstrierte, als er die Welt dazu aufrief die Türen für Christus zu öffnen. Drei Jahre später wurde dieser Mut mit dem dramatischen Attentat mit Blut bedeckt. Der Schmerz und das Leiden des Körpers wusste er nur zu gut mit Würde zu nehmen, mit Mut und vor allem mit seiner markanten Persönlichkeit. Er zeigte uns, dass Scherz die Rettung der Welt sein kann, das erinnert an die Rettung von Christus selbst."

Mehr als 26 Jahre war er der Papst und wurde zum Inbegriff der Kirche, verkörperte den Menschenkontakt und die Nähe, aber auch den Schmerz mit seiner eigenen Lebensgeschichte. Er setzte sich, so wie auch heute für den interreligiösen Dialog ein und für die Ökumene. In seiner polnischen Heimat wurde er zum Symbol des antikommunistischen Widerstands.

„Das Erbe von Johannes Paul II ist eine Hymne an das Leben selbst, das Leben des Papstes. Das ist sicherlich, das was uns bleibt. Er hat uns die Menschenwürde des Lebens gezeigt, ein Christ, der in Christus glaubt, kann die Höhen der Höhen erleben, auch in ihren Grenzen die jeder inne hat. Es ist ein Zeugnis, welches Papst Johannes Paul II. auch übermitteln konnte, als sein Körper nicht mehr die Agilität besaß, wenn man zum Beispiel an sein letztes Angelus Gebet denkt, der Ostersonntag, als er es nicht schafft das zu sagen, was er den Gläubigen sagen wollte. In dem Moment haben wir gesehen, dass Gott in uns arbeitet, und er hat diese Wahrheit bezeugt mit seiner Wahrheit und seinem Leben. Man könnte sich an vieles von ihm erinnern, was fundamental war – wie zum Beispiel der Fall des Kommunismus. Wir können uns auch an die viele apostolischen Reisen erinnern, die Jugendwelttage, oder auch die Dokumente von großer Bedeutung und großen kirchlichen Initiativen, aber das was zu allererst herauskristallisiert ist sein leben; ein wahres Leben , ein Leben, dass immer kohärent im Glauben mit Gott geblieben ist."

Für viele war Johannes Paul II. schon immer ein Heiliger. Letztes Jahr wurde er als 81. Papst, von Papst Franziskus und der katholischen Kirche Heilig gesprochen. (rv)

Rede des Papstes an das Europaparlament

EU ParlamentAn diesem Dienstag sprach der Papst vor dem Europaparlament. Hier lesen Sie eine Arbeitsübersetzung der Ansprache.

Herr Präsident, meine Damen und Herren Vizepräsidenten,
verehrte Europaabgeordnete
und alle, die in den verschiedenen Arbeitsbereichen dieser Einrichtung tätig sind,
liebe Freunde,

ich danke Ihnen für die Einladung, vor dieser Institution, die für das Leben der Europäischen Union grundlegend ist, das Wort zu ergreifen, und für die Gelegenheit, die Sie mir bieten, mich über Sie an die über fünfhundert Millionen Bürger zu wenden, die Sie in den 28 Mitgliedsstaaten vertreten. Meinen besonderen Dank möchte ich Ihnen, Herr Parlamentspräsident, ausdrücken für die freundlichen Worte, mit denen Sie mich im Namen aller Mitglieder der Versammlung willkommen geheißen haben.

Mein Besuch findet in einem zeitlichen Abstand von mehr als einem Vierteljahrhundert nach dem von Papst Johannes Paul II. statt. Vieles hat sich seit jenen Tagen in Europa und in der ganzen Welt verändert. Es existieren nicht mehr die gegensätzlichen Blöcke, die damals den Kontinent in zwei Teile teilten, und langsam erfüllt sich der Wunsch, dass „Europa sich souverän freie Institutionen gibt und eines Tages sich in die Dimensionen entfalten kann, die die Geografie und mehr noch die Geschichte ihm gegeben haben“. (Johannes Paul II., Ansprache an das Europaparlament, 11. Oktober 1988, 5.)

Neben einer weiträumigeren Europäischen Union gibt es auch eine Welt, die komplexer geworden und stark in Bewegung ist. Eine Welt, die immer stärker vernetzt und global und daher auch immer weniger „eurozentrisch“ ist. Einer ausgedehnteren, einflussreicheren Union scheint sich jedoch das Bild eines etwas gealterten und erdrückten Europas zuzugesellen, das dazu neigt, sich in einem Kontext, der es oft nüchtern, misstrauisch und manchmal sogar argwöhnisch betrachtet, weniger als Protagonist zu fühlen.

Indem ich mich heute an Sie wende, möchte ich aufgrund meiner Berufung zum Hirten an alle europäischen Bürger eine Botschaft der Hoffnung und der Ermutigung richten.

Eine Botschaft der Hoffnung, die auf der Zuversicht beruht, dass die Schwierigkeiten zu machtvollen Förderern der Einheit werden können, um alle Ängste zu überwinden, die Europa – gemeinsam mit der ganzen Welt – durchlebt. Eine Hoffnung auf den Herrn, der das Böse in Gutes und den Tod in Leben verwandelt.

Eine Ermutigung, zur festen Überzeugung der Gründungsväter der europäischen Union zurückzukehren, die sich eine Zukunft wünschten, die auf der Fähigkeit basiert, gemeinsam zu arbeiten, um die Teilungen zu überwinden und den Frieden und die Gemeinschaft unter allen Völkern des Kontinentes zu fördern. Im Mittelpunkt dieses ehrgeizigen politischen Planes stand das Vertrauen auf den Menschen, und zwar weniger als Bürger und auch nicht als wirtschaftliches Subjekt, sondern auf den Menschen als eine mit transzendenter Würde begabte Person.

Es liegt mir vor allem daran, die enge Verbindung hervorzuheben, die zwischen diesen beiden Worten besteht: „Würde“ und „transzendent“.

Die „Würde“ ist das Schlüsselwort, das den Aufschwung der zweiten Nachkriegszeit charakterisiert hat. Unsere jüngere Geschichte zeichnet sich dadurch aus, dass die Förderung der Menschenwürde zweifellos ein zentrales Anliegen war gegen die vielfältige Gewalt und die Diskriminierungen, an denen es im Laufe der Jahrhunderte auch in Europa nicht gefehlt hat. Das Wahrnehmungsvermögen für die Bedeutung der Menschenrechte entsteht gerade als Ergebnis eines langen, auch aus mannigfachen Leiden und Opfern bestehenden Weges, der dazu beigetragen hat, das Bewusstsein für die Kostbarkeit, Einzigkeit und Unwiederholbarkeit jedes einzelnen Menschen heranzubilden. Dieses kulturelle Bewusstsein hat seine Grundlage nicht nur in den Ereignissen der Geschichte, sondern vor allem im europäischen Denken, das gekennzeichnet ist durch ein reichhaltiges Zusammenfließen, dessen vielfältige, weit zurückliegende Quellgründe „aus Griechenland und aus Rom, aus keltischem, germanischem und slawischem Boden und aus dem Christentum [stammen], das sie tief geprägt hat“ (Johannes Paul II., Ansprache an die Parlamentarische Versammlung des Europarates, Straßburg, 8. Oktober 1988, 3.) und so zu der Idee der „Person“ führte.

Heute spielt die Förderung der Menschenrechte eine zentrale Rolle im Engagement der Europäischen Union, mit dem Ziel, die Würde der Person zu stützen, sowohl innerhalb Europas als auch in der Beziehung zu den anderen Ländern. Es handelt sich um ein wichtiges und bewundernswertes Engagement, denn es bestehen immer noch zu viele Situationen, in denen Menschen wie Objekte behandelt werden, deren Empfängnis, Gestaltung und Brauchbarkeit man programmieren und sie dann wegwerfen kann, wenn sie nicht mehr nützlich sind, weil sie schwach, krank oder alt geworden sind.

In der Tat, welche Würde besteht, wenn die Möglichkeit fehlt, frei die eigene Meinung zu äußern oder ohne Zwang den eigenen Glauben zu bekennen? Welche Würde ist möglich ohne einen klaren juristischen Rahmen, der die Gewaltherrschaft begrenzt und das Gesetz über die Tyrannei der Macht siegen lässt? Welche Würde kann jemals ein Mensch haben, der zum Gegenstand von Diskriminierung aller Art gemacht wird? Welche Würde soll jemals einer finden, der keine Nahrung bzw. das Allernotwendigste zum Leben hat und – schlimmer noch – dem die Arbeit fehlt, die ihm Würde verleiht?

Die Würde des Menschen zu fördern, bedeutet anzuerkennen, dass er unveräußerliche Rechte besitzt, deren er nicht nach Belieben und noch weniger zugunsten wirtschaftlicher Interessen von irgendjemandem beraubt werden kann.

Man muss aber Acht geben, nicht Missverständnissen zu verfallen, die aus einem falschen Verständnis des Begriffes Menschenrechte und deren widersinnigem Gebrauch hervorgehen. Es gibt nämlich heute die Tendenz zu einer immer weiter reichenden Beanspruchung der individuellen Rechte, hinter der sich ein aus jedem sozialen und anthropologischen Zusammenhang herausgelöstes Bild des Menschen verbirgt, der gleichsam als „Monade“ (μονάς) zunehmend unsensibel wird für die anderen „Monaden“ in seiner Umgebung. Mit der Vorstellung des Rechtes scheint die ebenso wesentliche und ergänzende der Pflicht nicht mehr verbunden zu sein, so dass man schließlich die Rechte des Einzelnen behauptet, ohne zu berücksichtigen, dass jeder Mensch in einen sozialen Kontext eingebunden ist, in dem seine Rechte und Pflichten mit denen der anderen und zum Gemeinwohl der Gesellschaft selbst verknüpft sind.

Ich meine daher, dass es überaus wichtig ist, heute eine Kultur der Menschenrechte zu vertiefen, die weise die individuelle, oder besser die persönliche Dimension mit der des Gemeinwohls – mit jenem „’Wir alle’, das aus Einzelnen, Familien und kleineren Gruppen gebildet wird, die sich zu einer sozialen Gemeinschaft zusammenschließen“ (Benedikt XVI., Enzyklika Caritas in veritate, 7; vgl. Zweites Vatikanisches Konzil, Past. Konst. Gaudium et spes, 26.) – zu verbinden versteht. Wenn nämlich das Recht eines jeden nicht harmonisch auf das größere Wohl hin ausgerichtet ist, wird es schließlich als unbegrenzt aufgefasst und damit zur Quelle von Konflikten und Gewalt.

Von der transzendenten Würde des Menschen zu sprechen, bedeutet also, sich auf seine Natur zu berufen, auf seine angeborene Fähigkeit, Gut und Böse zu unterscheiden, auf jenen „Kompass“, der in unsere Herzen eingeschrieben ist und den Gott dem geschaffenen Universum eingeprägt hat. (Vgl. Kompendium der Soziallehre der Kirche, 37.) Vor allem bedeutet es, den Menschen nicht als ein Absolutes zu betrachten, sondern als ein relationales Wesen. Eine der Krankheiten, die ich heute in Europa am meisten verbreitet sehe, ist die besondere Einsamkeit dessen, der keine Bindungen hat. Das wird speziell sichtbar bei den alten Menschen, die oft ihrem Schicksal überlassen sind, wie auch bei den Jugendlichen, die keine Bezugspunkte und keine Zukunfts-Chancen haben; es wird sichtbar bei den vielen Armen, die unsere Städte bevölkern; es wird sichtbar in dem verlorenen Blick der Migranten, die hierhergekommen sind, auf der Suche nach einer besseren Zukunft.

Diese Einsamkeit ist dann durch die Wirtschaftskrise verschärft worden, deren Wirkungen noch andauern mit Konsequenzen, die unter gesellschaftlichem Gesichtspunkt dramatisch sind. Zudem kann man feststellen, dass im Laufe der letzten Jahre mit dem Prozess der Erweiterung der Europäischen Union eine Steigerung des Misstrauens der Bürger gegenüber Institutionen einhergeht, die als fern betrachtet werden, damit beschäftigt, Regeln aufzustellen, die als weitab von der Sensibilität der einzelnen Völker, wenn nicht sogar als schädlich wahrgenommen werden. Von mehreren Seiten aus gewinnt man den Gesamteindruck der Müdigkeit und der Alterung, die Impression eines Europas, das Großmutter und nicht mehr fruchtbar und lebendig ist. Demnach scheinen die großen Ideale, die Europa inspiriert haben, ihre Anziehungskraft verloren zu haben zugunsten von bürokratischen Verwaltungsapparaten seiner Institutionen.

Dazu kommen einige etwas egoistische Lebensstile, die durch einen mittlerweile unhaltbaren Überfluss gekennzeichnet und oft ihrer Umgebung, vor allem den Ärmsten gegenüber gleichgültig sind. Mit Bedauern ist festzustellen, dass im Mittelpunkt der politischen Debatte technische und wirtschaftliche Fragen vorherrschen auf Kosten einer authentischen anthropologischen Orientierung. (Vgl. Evangelii gaudium, 55.) Der Mensch ist in Gefahr, zu einem bloßen Räderwerk in einem Mechanismus herabgewürdigt zu werden, der ihn nach dem Maß eines zu gebrauchenden Konsumgutes behandelt, so dass er – wie wir leider oft beobachten – wenn das Leben diesem Mechanismus nicht mehr zweckdienlich ist, ohne viel Bedenken ausgesondert wird, wie im Fall der Kranken im Endstadium, der verlassenen Alten ohne Pflege oder der Kinder, die vor der Geburt getötet werden.

Es ist das große Missverständnis, das geschieht, „wenn sich die Verabsolutierung der Technik durchsetzt“, (Benedikt XVI., Caritas in veritate, 71.) die schließlich zu einer »Verwechslung von Zielen und Mitteln“ (Ebd.) führt. Das ist ein unvermeidliches Ergebnis der „Wegwerf-Kultur“ und des „hemmungslosen Konsumismus„. Dagegen bedeutet die Menschenwürde zu behaupten, die Kostbarkeit des menschlichen Lebens zu erkennen, das uns unentgeltlich geschenkt ist und deshalb nicht Gegenstand von Tausch oder Verkauf sein kann. Sie sind in Ihrer Berufung als Parlamentarier auch zu einer großen Aufgabe ausersehen, die vielleicht unnütz erscheinen mag: sich der Gebrechlichkeit der Völker und der einzelnen Menschen anzunehmen. Sich der Gebrechlichkeit anzunehmen bedeutet Kraft und Zärtlichkeit, bedeutet Kampf und Fruchtbarkeit inmitten eines funktionellen und privatistischen Modells, das unweigerlich zur „Wegwerf-Kultur“ führt. Sich der Gebrechlichkeit der Menschen und der Völker anzunehmen bedeutet, das Gedächtnis und die Hoffnung zu bewahren; es bedeutet, die Gegenwart in ihrer nebensächlichsten und am meisten beängstigenden Situation auf sich zu nehmen und fähig zu sein, sie mit Würde zu salben. (Vgl. Evangelii gaudium, 209.)

Wie kann man also der Zukunft wieder Hoffnung verleihen, so dass – angefangen bei den jungen Generationen – das Vertrauen wiedergewonnen wird, das große Ideal eines vereinten und friedvollen, kreativen und unternehmungsfreudigen Europas zu verfolgen, das die Rechte achtet und sich der eigenen Pflichten bewusst ist?

Um diese Frage zu beantworten, gestatten Sie mir, auf ein Bild zurückzugreifen. Eine der berühmtesten Fresken Raffaels im Vatikan stellt die sogenannte Schule von Athen dar. In ihrem Mittelpunkt stehen Platon und Aristoteles. Der erste deutet mit dem Finger nach oben, zur Welt der Ideen, zum Himmel, könnten wir sagen; der zweite streckt die Hand nach vorne, auf den Betrachter zu, zur Erde, der konkreten Wirklichkeit. Das scheint mir ein Bild zu sein, das Europa und seine Geschichte gut beschreibt, die aus der fortwährenden Begegnung zwischen Himmel und Erde besteht, wobei der Himmel die Öffnung zum Transzendenten, zu Gott beschreibt, die den europäischen Menschen immer gekennzeichnet hat, und die Erde seine praktische und konkrete Fähigkeit darstellt, die Situationen und Probleme anzugehen.

Die Zukunft Europas hängt von der Wiederentdeckung der lebendigen und untrennbaren Verknüpfung dieser beiden Elemente ab. Ein Europa, das nicht mehr fähig ist, sich der transzendenten Dimension des Lebens zu öffnen, ist ein Europa, das in Gefahr gerät, allmählich seine Seele zu verlieren und auch jenen „humanistischen Geist“, den es doch liebt und verteidigt.

Gerade ausgehend von der Notwendigkeit einer Öffnung zum Transzendenten möchte ich die Zentralität des Menschen bekräftigen, der andernfalls zum Spielball der Moden und der jeweiligen Mächte wird. In diesem Sinne halte ich nicht nur das Erbe, welches das Christentum in der Vergangenheit der soziokulturellen Gestaltung des Kontinentes überlassen hat, für grundlegend, sondern vor allem den Beitrag, den es heute und in der Zukunft zu dessen Wachstum zu leisten gedenkt. Dieser Beitrag stellt nicht eine Gefahr für die Laizität der Staaten und für die Unabhängigkeit der Einrichtungen der Union dar, sondern eine Bereicherung. Das zeigen uns die Ideale, die Europa von Anfang an geformt haben, wie der Friede, die Subsidiarität und die wechselseitige Solidarität – ein Humanismus, in dessen Zentrum die Achtung der Würde der Person steht.

Darum möchte ich erneut die Bereitschaft des Heiligen Stuhls und der katholischen Kirche betonen, durch die Kommission der Europäischen Bischofskonferenzen (COMECE) einen gewinnbringenden, offenen und transparenten Dialog mit den Institutionen der Europäischen Union zu pflegen. Ebenso bin ich überzeugt, dass ein Europa, das fähig ist, sich die eigenen religiösen Wurzeln zunutze zu machen, indem es ihren Reichtum und ihre inneren Möglichkeiten zu ergreifen versteht, auch leichter immun sein kann gegen die vielen Extremismen, die sich in der heutigen Welt verbreiten – auch aufgrund des großen ideellen Vakuums, das wir im sogenannten Westen erleben, denn „es ist gerade die Gottvergessenheit und nicht seine Verherrlichung, die Gewalt erzeugt“. (Benedikt XVI., Ansprache an die Mitglieder des Diplomatischen Korps, 7. Januar 2013.)

Wir können hier die zahlreichen Ungerechtigkeiten und Verfolgungen nicht unerwähnt lassen, die täglich die religiösen und besonders die christlichen Minderheiten in verschiedenen Teilen der Welt treffen. Gemeinschaften und Einzelne, die sich barbarischer Gewalt ausgesetzt sehen: aus ihren Häusern und ihrer Heimat vertrieben; als Sklaven verkauft; getötet, enthauptet, gekreuzigt und lebendig verbrannt – unter dem beschämenden und begünstigenden Schweigen vieler.

Das Motto der Europäischen Union ist Einheit in der Verschiedenheit, doch Einheit bedeutet nicht politische, wirtschaftliche, kulturelle oder gedankliche Uniformität. In Wirklichkeit lebt jede authentische Einheit vom Reichtum der Verschiedenheiten, die sie bilden: wie eine Familie, die umso einiger ist, je mehr jedes ihrer Mitglieder ohne Furcht bis zum Grund es selbst sein kann. In diesem Sinn meine ich, dass Europa eine Familie von Völkern ist, welche die Institutionen der Union als nah empfinden können, falls diese es verstehen, das ersehnte Ideal der Einheit weise mit der je verschiedenen Eigenart eines jeden zu verbinden, indem sie die einzelnen Traditionen zur Geltung bringen, sich der Geschichte und der Wurzeln dieses Kontinents bewusst werden und sich von vielen Manipulationen und Ängsten befreien. Den Menschen ins Zentrum zu setzen bedeutet vor allem zuzulassen, dass er frei sein eigenes Gesicht und seine eigene Kreativität ausdrückt, sowohl auf der Ebene des Einzelnen als auch auf der des Volkes.

Andererseits bilden die Eigenarten eines jeden in dem Maß, wie sie in den Dienst aller gestellt werden, einen echten Reichtum. Man muss sich immer an die besondere Struktur der Europäischen Union erinnern, die auf den Prinzipien der Solidarität und der Subsidiarität gründet, so dass die gegenseitige Hilfe vorherrscht und man, beseelt von gegenseitigem Vertrauen, vorangehen kann.

In dieser Dynamik von Einheit und Eigenart ist Ihnen, meine Damen und Herren Europaabgeordnete, auch die Verantwortung übertragen, die Demokratie der Völker Europas lebendig zu erhalten. Es ist kein Geheimnis, dass eine vereinheitlichende Auffassung der Globalität der Vitalität des demokratischen Systems schadet, indem es dem reichen fruchtbaren und konstruktiven Gegensatz der Organisationen und der politischen Parteien untereinander seine Kraft nimmt. So läuft man Gefahr, im Reich der Idee, des bloßem Wortes, des Bildes, des Sophismus zu leben… und schließlich die Wirklichkeit der Demokratie mit einem neuen politischen Nominalismus zu verwechseln. Die Demokratie in Europa lebendig zu erhalten erfordert, viele „Globalisierungsarten“ zu vermeiden, die die Wirklichkeit verwässern: die engelhaften Purismen, die Totalitarismen des Relativen, die geschichtswidrigen Fundamentalismen, die Ethizismen ohne Güte, die Intellektualismen ohne Weisheit. (Vgl. Evangelii gaudium, 231.)

Die Wirklichkeit der Demokratien lebendig zu erhalten ist eine Herausforderung dieses geschichtlichen Momentes: zu vermeiden, dass ihre reale Kraft – die politische Ausdruckskraft der Völker – verdrängt wird angesichts des Drucks multinationaler nicht universaler Interessen, die sie schwächen und in vereinheitlichende Systeme finanzieller Macht im Dienst von unbekannten Imperien verwandeln. Das ist eine Herausforderung, die Ihnen die Geschichte heute stellt.

Europa Hoffnung geben bedeutet nicht nur die Zentralität des Menschen anzuerkennen, sondern schließt auch ein, seine Begabungen zu fördern. Es geht deshalb darum, in ihn und in die Bereiche zu investieren, in denen seine Talente sich entwickeln und Frucht bringen. Der erste Bereich ist gewiss der der Erziehung, angefangen von der Familie, welche die grundlegende Zelle und ein kostbarer Bestandteil jeder Gesellschaft ist. Die geeinte, fruchtbare und unauflösliche Familie bringt die fundamentalen Elemente mit sich, um Zukunftshoffnung zu geben. Ohne diese Festigkeit baut man letztlich auf Sand, mit schweren gesellschaftlichen Folgen. Andererseits dient die Betonung der Bedeutung der Familie nicht nur dazu, den neuen Generationen Aussichten und Hoffnung zu vermitteln, sondern auch den zahlreichen alten Menschen, die oft gezwungen sind, in Situationen der Einsamkeit und der Verlassenheit zu leben, weil es nicht mehr die Wärme einer häuslichen Gemeinschaft gibt, die imstande ist, sie zu begleiten und zu unterstützen.

Neben der Familie gibt es das Erziehungswesen: Schulen und Universitäten. Die Erziehung darf sich nicht darauf beschränken, eine Ansammlung von technischen Kenntnissen zu vermitteln, sondern muss den äußerst komplexen Wachstumsprozess des Menschen in seiner Ganzheit fördern. Die Jugendlichen von heute verlangen, eine angemessene und vollständige Ausbildung erhalten zu können, um mit Hoffnung in die Zukunft zu schauen und nicht mit Enttäuschung. Zahlreich sind zudem die kreativen Möglichkeiten Europas auf verschiedenen Gebieten der wissenschaftlichen Forschung, von denen einige noch nicht ganz erkundet sind. Man denke beispielsweise nur an die alternativen Energiequellen, deren Entwicklung dem Umweltschutz von großem Nutzen wäre.

Europa hat in einem lobenswerten Einsatz zugunsten der Ökologie immer in der vordersten Reihe gestanden. Diese unsere Erde braucht tatsächlich eine ständige Pflege und Aufmerksamkeit, und jeder trägt eine persönliche Verantwortung in der Bewahrung der Schöpfung, dieses kostbaren Geschenkes, das Gott in die Hände der Menschen gelegt hat. Das bedeutet einerseits, dass die Natur uns zur Verfügung steht, wir uns an ihr freuen und sie in rechter Weise gebrauchen können. Andererseits bedeutet es jedoch, dass wir nicht ihre Herren sind. Hüter, aber nicht Herren. Wir müssen sie deshalb lieben und achten, stattdessen sind wir „oft vom Hochmut des Herrschens, des Besitzens, des Manipulierens, des Ausbeutens geleitet; wir ‚hüten’ sie nicht, wir achten sie nicht, wir betrachten sie nicht als unentgeltliches Geschenk, für das wir Sorge tragen müssen.“ (Papst Franziskus, Generalaudienz, 5. Juni 2013.) Die Umwelt achten bedeutet aber nicht nur, sich darauf zu beschränken, sie nicht zu verderben, sondern auch, sie für das Gute zu nutzen. Ich denke vor allem an den landwirtschaftlichen Sektor, der berufen ist, dem Menschen Unterstützung und Nahrung zu liefern. Es ist nicht tolerierbar, dass Millionen von Menschen in der Welt den Hungertod sterben, während jeden Tag Tonnen von Lebensmitteln von unseren Tischen weggeworfen werden. Außerdem erinnert uns die Achtung gegenüber der Natur daran, dass der Mensch selbst ein grundlegender Teil von ihr ist. Neben der Ökologie der Umwelt bedarf es daher jener Ökologie des Menschen, die in der Achtung der Person besteht, die ich heute in meinen Worten an Sie ins Gedächtnis rufen wollte.

Der zweite Bereich, in dem die Talente des Menschen zur Blüte kommen, ist die Arbeit. Es ist Zeit, die Beschäftigungspolitik zu fördern, vor allem aber ist es notwendig, der Arbeit wieder Würde zu verleihen, indem man auch angemessene Bedingungen für ihre Ausübung gewährleistet. Das schließt einerseits ein, neue Methoden zu finden, um die Flexibilität des Marktes mit der Notwendigkeit von Stabilität und Sicherheit der Arbeitsperspektiven zu verbinden, die für die menschliche Entwicklung der Arbeiter unerlässlich sind. Andererseits bedeutet es, einen angemessenen sozialen Kontext zu begünstigen, der nicht auf die Ausbeutung der Menschen ausgerichtet ist, sondern durch die Arbeit die Möglichkeit garantiert, eine Familie aufzubauen und die Kinder zu erziehen.

Gleichermaßen ist es notwendig, gemeinsam das Migrationsproblem anzugehen. Man kann nicht hinnehmen, dass das Mittelmeer zu einem großen Friedhof wird! Auf den Kähnen, die täglich an den europäischen Küsten landen, sind Männer und Frauen, die Aufnahme und Hilfe brauchen. Das Fehlen gegenseitiger Unterstützung innerhalb der Europäischen Union läuft Gefahr, partikularistische Lösungen des Problems anzuregen, welche die Menschenwürde der Einwanderer nicht berücksichtigen und Sklavenarbeit sowie ständige soziale Spannungen begünstigen. Europa wird imstande sein, die mit der Einwanderung verbundenen Problemkreise zu bewältigen, wenn es versteht, in aller Klarheit die eigene kulturelle Identität vorzulegen und geeignete Gesetze in die Tat umzusetzen, die fähig sind, die Rechte der europäischen Bürger zu schützen und zugleich die Aufnahme der Migranten zu garantieren; wenn es korrekte, mutige und konkrete politische Maßnahmen zu ergreifen versteht, die den Herkunftsländern der Migranten bei der sozio-politischen Entwicklung und bei der Überwindung der internen Konflikte – dem Hauptgrund dieses Phänomens – helfen, anstatt Politik der Eigeninteressen zu betreiben, die diese Konflikte steigert und nährt. Es ist notwendig, auf die Ursachen einzuwirken und nicht nur auf die Folgen.

Herr Präsident, Exzellenzen, meine Damen und Herren Abgeordnete,

das Bewusstsein der eigenen Identität ist auch notwendig, um konstruktiv mit den Staaten zu verhandeln, die gebeten haben, in Zukunft der Union beizutreten. Ich denke vor allem an jene aus dem balkanischen Raum, für die der Eintritt in die Europäische Union dem Friedensideal entsprechen kann, in einer Region, die unter den Konflikten der Vergangenheit so sehr gelitten hat. Und schließlich ist das Bewusstsein der eigenen Identität unerlässlich in den Beziehungen zu den anderen Nachbarländern, besonders zu denen, die ans Mittelmeer grenzen, von denen viele aufgrund innerer Konflikte und unter dem Druck des religiösen Fundamentalismus und des internationalen Terrorismus leiden.

Ihnen, verehrte Mitglieder des Parlaments, kommt als gesetzgebende Instanz die Aufgabe zu, die europäische Identität zu bewahren und wachsen zu lassen, damit die Bürger wieder Vertrauen in die Institutionen der Union und in den Plan des Friedens und der Freundschaft gewinnen, der das Fundament der Union ist. „Je mehr […] die Macht der Menschen wächst, desto mehr weitet sich ihre Verantwortung, sowohl die der Einzelnen wie die der Gemeinschaften.“ (Zweites Vatikanisches Konzil, Past. Konst. Gaudium et spes, 34.) In diesem Wissen appelliere ich daher an Sie, daran zu arbeiten, dass Europa seine gute Seele wiederentdeckt.

Ein anonymer Autor des 2. Jahrhunderts schrieb, dass „die Christen in der Welt das sind, was die Seele im Leib ist“. (Vgl. Brief an Diognet, 6.) Die Aufgabe der Seele ist es, den Leib aufrecht zu erhalten, sein Gewissen und sein geschichtliches Gedächtnis zu sein. Und eine zweitausendjährige Geschichte verbindet Europa mit dem Christentum. Eine Geschichte, die nicht frei von Konflikten und Fehlern, immer aber beseelt war von dem Wunsch, am Guten zu bauen. Das sehen wir an der Schönheit unserer Städte und mehr noch an der Schönheit der vielfältigen Werke der Liebe und des gemeinschaftlichen Aufbaus, die den Kontinent überziehen. Diese Geschichte ist zum großen Teil erst noch zu schreiben. Sie ist unsere Gegenwart und auch unsere Zukunft. Sie ist unsere Identität. Und Europa hat es dringend nötig, sein Gesicht wiederzuentdecken, um – nach dem Geist seiner Gründungsväter – im Frieden und in der Eintracht zu wachsen, denn es selbst ist noch nicht frei von Konflikten.

Liebe Europaabgeordnete, die Stunde ist gekommen, gemeinsam das Europa aufzubauen, das sich nicht um die Wirtschaft dreht, sondern um die Heiligkeit der menschlichen Person, der unveräußerlichen Werte; das Europa, das mutig seine Vergangenheit umfasst und vertrauensvoll in die Zukunft blickt, um in Fülle und voll Hoffnung seine Gegenwart zu leben. Es ist der Moment gekommen, den Gedanken eines verängstigten und in sich selbst verkrümmten Europas fallen zu lassen, um ein Europa zu erwecken und zu fördern, das ein Protagonist ist und Träger von Wissenschaft, Kunst, Musik, menschlichen Werten und auch Träger des Glaubens ist. Das Europa, das den Himmel betrachtet und Ideale verfolgt; das Europa, das auf den Menschen schaut, ihn verteidigt und schützt; das Europa, das auf sicherem, festem Boden voranschreitet, ein kostbarer Bezugspunkt für die gesamte Menschheit!

Danke. (rv)

Zwei neue heilige Päpste: „Mitarbeiter des Heiligen Geistes“

Papst Johannes Paul II.  Papst Johannes XXIII.Die Weltkirche hat zwei neue heilige Päpste: Franziskus hat an diesem Sonntag seine Vorgänger Papst Johannes Paul II. und Johannes XXIII. zur höchsten Ehre der Altäre erhoben. Rund 800.000 Pilger aus aller Welt feierten die feierliche Heiligsprechung in Rom mit dem argentinischen Papst, davon befanden sich allein 500.000 auf und um den Petersplatz. Auch Benedikt XVI. nahm an der Zeremonie teil.

Heiligsprechung „mit vier Päpsten“
Begleitet vom Gesang der Heiligenlitanei zieht Papst Franziskus mit den Konzelebranten auf den Petersplatz ein. An der Fassade des Petersdomes hängen bereits die Bildnisse der beiden Päpste Johannes Paul II. und Johannes XXIII., trotz des Nieselregens haben sich hunderttausende Pilger auf dem Petersplatz und der Via della Conciliazione versammelt. Papst Franziskus lässt es sich nicht nehmen, vor dem Akt der Heiligsprechung seinen Vorgänger Benedikt XVI. herzlich zu umarmen; kurz nach Auszug aus dem Petersdom hatte er Benedikt schon die Hand geschüttelt. Der argentinische Papst ist ernst und still, Benedikt lächelt.

Zwei neue Heilige für die Weltkirche
Lange müssen die Gläubigen ab diesem Zeitpunkt nicht mehr auf „ihre Heiligen“ warten; der Akt der Kanonisation, mit dem Franziskus Johannes Paul II. und Johannes XXIII. zur höchsten Ehre der Altäre erhebt, findet direkt zu Beginn der Heiligsprechungsfeierlichkeiten statt. Drei Mal ersucht Kardinal Angelo Amato, Präfekt der Kongregation für die Selig- und Heiligsprechungen, den Papst um die Heiligsprechung der beiden Päpste. Franziskus verliest die Heiligsprechungsformel auf Latein und schreibt seine beiden seligen Vorgänger damit gleichsam in das Verzeichnis der Heiligen ein. Die Pilger jubeln, es ist vollbracht, Johannes Paul II. und Johannes XXIII. können fortan als Heilige der Weltkirche verehrt werden. Es ist das erste Mal in der Kirchengeschichte, dass zwei Päpste gleichzeitig ins Heiligenregister eingeschrieben werden. In der Causa Johannes XXIII. hatte Papst Franziskus von dem für eine Heiligsprechung eigentlich notwendigen Wunder dispensiert. Das Heiligsprechungsverfahren von Johannes Paul II. durchlief alle sonst üblichen Etappen, es gilt jedoch als das kürzeste der Neuzeit.

Nach der offiziellen Erklärung durch Papst Franziskus werden Reliquiare der beiden heiligen Päpste vor den Altar gestellt. Getragen wird die Blutampulle von Johannes Paul II. durch die Costaricanerin Floribeth Mora Diaz, die auf dessen Fürbitte von einem unheilbaren Hirn-Aneurysma genesen war. Der Reliquienbehälter von Johannes XXIII. mit Hautpartikeln des neuen Heiligen wird von vier Neffen des Roncalli-Papstes gebracht.

Papstpredigt: Mitarbeiter des Heiligen Geistes
In seiner Predigt würdigt Franziskus die beiden neuen heiligen Päpste als mutige Glaubenszeugen des 20. Jahrhunderts und Erneuerer der Kirche. Johannes Paul II. und Johannes XXIII. hätten den Herausforderungen ihrer Zeit ins Auge gesehen und dabei die Kraft des christlichen Glaubens bezeugt. Franziskus:

„Sie waren Priester, Bischöfe und Päpste des 20. Jahrhunderts. Dessen Tragödien haben sie erfahren, sind davon aber nicht überwältigt worden. Stärker war in ihnen Gott; stärker war der Glaube an Jesus Christus, den Erlöser des Menschen und Herrn der Geschichte; stärker war in ihnen die Barmherzigkeit Gottes, die sich in diesen fünf Wunden offenbart; stärker war die mütterliche Liebe Marias.“

Johannes Paul II. und Johannes XXIII. hätten den Mut gehabt, „die Wundmale Jesu anzuschauen, seine verwundeten Hände und seine durchbohrte Seite zu berühren“, formuliert Franziskus. Er geht dabei von der Begegnung des ungläubigen Thomas mit Jesus aus, von der das Johannesevangelium erzählt.

„Sie haben sich der Leiblichkeit Christi nicht geschämt, haben an ihm, an seinem Kreuz keinen Anstoß genommen; sie haben die Leiblichkeit des Mitmenschen nicht gescheut (vgl. Jes 58,7), denn in jedem leidenden Menschen sahen sie Jesus. Sie waren zwei mutige Männer, erfüllt vom Freimut des Heiligen Geistes, und haben der Kirche und der Welt Zeugnis gegeben von der Güte Gottes und von seiner Barmherzigkeit.“

Die Wunden Jesu seien „Ärgernis für den Glauben“ und zugleich dessen „Nachweis“, fährt Franziskus fort. Für den Glauben an Gott seien sie „unerlässlich“, zeigten sie doch Gottes Liebe zum Menschen auf:

„Nicht um zu glauben, dass Gott existiert, sondern um zu glauben, dass Gott Liebe, Barmherzigkeit und Treue ist. Der heilige Petrus nimmt die Worte des Propheten Jesaja auf und schreibt an die Christen: ,Durch seine Wunden seid ihr geheilt (1 Petr 2,24; vgl. Jes 53,5).“

Johannes Paul II. und Johannes XXIII. stünden für die Kraft der christlichen Urgemeinde, in der „das Wesentliche des Evangeliums gelebt“ wird, nämlich „die Liebe und die Barmherzigkeit in Einfachheit und Brüderlichkeit“, führt Franziskus aus. Dieses Bild einer Kirche, die sich aus der Kraft der Urgemeinde speist, habe das Zweite Vatikanische Konzil geleitet, so der Papst, der den polnischen Papst und den Konzilspapst an dieser Stelle als Erneuerer der Kirche würdigt:

„Johannes XXIII. und Johannes Paul II. haben mit dem Heiligen Geist zusammengearbeitet, um die Kirche entsprechend ihrer ursprünglichen Gestalt wiederherzustellen und zu aktualisieren, entsprechend der Gestalt, die ihr im Laufe der Jahrhunderte die Heiligen verliehen haben. Vergessen wir nicht, dass es gerade die Heiligen sind, die die Kirche voranbringen und wachsen lassen. In der Einberufung des Konzils hat Johannes XXIII. eine feinfühlige Folgsamkeit gegenüber dem Heiligen Geist bewiesen, hat sich führen lassen und war für die Kirche ein Hirte, ein geführter Führer. Das war sein großer Dienst an der Kirche; er war der Papst der Folgsamkeit gegenüber dem Geist.“

Johannes Paul II. bezeichnet Franziskus als „Papst der Familie“ – so habe der polnische Papst erinnert werden wollen. Franziskus erbittet hier seine Fürsprache der beiden neuen Heiligen für die bevorstehende Weltbischofssynode zur Familienpastoral, die im Oktober im Vatikan stattfindet:

„Mögen diese beiden neuen heiligen Hirten des Gottesvolkes mit ihrer Fürsprache für die Kirche eintreten, damit sie in diesen zwei Jahren des Synodenweges fügsam sei gegenüber dem Heiligen Geist in ihrem pastoralen Dienst an der Familie. Mögen beide uns lehren, keinen Anstoß zu nehmen an den Wunden Christi und in das Geheimnis der göttlichen Barmherzigkeit einzudringen, die immer hofft und immer verzeiht, weil sie immer liebt.“ (rv)

 

Bodenkuss und Weltreisen: Medienpapst Johannes Paul II.

B_Johannes_Paul_IIBodenkuss, Papamobil, Weltreisen: Papst Johannes Paul II. gilt als der Papst, der wie keiner vor ihm die Medien und die Auftritte für seine Anliegen zu nutzen wusste. Petra Dorsch-Jungsberger hat sich wissenschaftlich mit dem Medienpapst auseinandergesetzt, sie ist emeritierte Kommunikationswissenschaftlerin an der Uni München. Das Interview haben wir anlässlich der Seligsprechung geführt, zur Heiligsprechung bieten wir noch einmal einen Blick auf „antäische Magie“ und den Wunsch des Papstes, nicht von oben auf die Menschen herab zu sprechen.
Was von Papst Johannes Paul II. am meisten in Erinnerung bleiben wird, das sind die Fernsehbilder: Der Papst in der Öffentlichkeit, der Papst auf seinen Reisen, der Papst und die Symbolkraft dessen, was er tut.

„Sehr vieles, denke ich, ist inszeniert. Dieses Bild von Mutter Teresa und dem Papst, das ja sehr verbreitet worden ist, das ist natürlich inszeniert, weil es eine feststehende Geste ist.
Der Bodenkuss dagegen, das ist seine eigene „Erfindung“. Keiner weiß, wie er darauf gekommen ist, den Bodenkuss zur Initialgeste eines jeden Besuches zu machen. An sich ist das ja eine ganz heidnische Szene. Die Geste enthält die antäische Magie; das entstammt dem Epos des Herkules, der sich als Gegener diesen Antäus ausgewählt hatte, weil er ihn um die Möglichkeit beneidete, seine körperlichen Kräfte jeweils dadurch zu aktivieren, dass er seine Mutter Gaia, die Erde, küsste. Ich habe mich immer darüber gewundert, dass er diese antäische Magie übernommen hat. Aber es ist ja sehr effektvoll, es ist ein großer Effekt.
Da schreitet jemand die Treppe in einem weißen Gewand herunter, dann ist da der rote Teppich, dann kniet er erst einmal nieder und küsst die Erde. Das ist eine sehr schöne Szene.“

Sie sprechen in ihren Überlegungen zum Papst von so genannten ‚Schemabildern’, sie ab- und aufgerufen werden. Was meinen sie damit?

„Schemabilder – oder zumindest ein Teil dieser Schemabilder – sind archetypische Bilder, wie zum Beispiel die Mutter Gottes mit dem Kind oder das Abendmahl. Die Schemabilder sind daraus abgeleitet. Wenn ein weiß gekleideter Mann oben auf einer Gangway steht, dann ist auch das schon ein Schemabild.
Schemabilder sind natürlich auch die Kommunikationsbilder, wenn der Papst Kindern das Haupt streichelt, dann haben wir hier einen Archetypos: Jugend und Alter, Reife und Werden, Gegenwart und Zukunft. So lassen sich noch viele andere Bilder mit Hilfe dieser Instrumente analysieren.“

Sie sprechen von Inszenieren, das ist ja auch eine Kommunikationsform, eine Art zu sprechen ohne Worte zu benutzen. Würden sie sagen, dass Johannes Paul die Bilder ganz bewusst als Kommunikation eingesetzt hat?

„Ganz bestimmt hat er das. Schon die Auswahl der Bilder spricht dafür, dass er sie auch als ein Instrument seiner Öffentlichkeitsarbeit betrachtet hatte, insofern als er sich in ganz bestimmten Bildern bei den Betrachtern vertraut machen wollte. Er wollte sympathisch erscheinen. Mit den Ski-Bildern wollte er die Brücke zum normalen Alltag eines Ski-fahrenden Menschen schaffen. Mit den Wander-Bildern wollte er die Brücke schlagen zu all denen, die auch wandern.
So entsteht eine Art sozialer Interaktion allein über die Bilder, um die Schwellen, die dazwischen liegen, zu beseitigen.“

Also ist es nicht so, dass das Bild eine Oberfläche bietet, die man nicht durchdringen kann, sondern ein Beziehungsangebot, ein Gesprächsangebot.

„Genau. So sehe ich das. Vorher hatte es das ja nie gegeben. Haben Sie vorher schon einmal einen Papst in einem Ski-Outfit gesehen? Oder in Wanderkleidung?
Oder auch die Jugendbilder des Karol Wojtyla: Dieses wirklich sehr eindrucksvolle Bild, wo er als Minenarbeiter mit nacktem Oberkörper vollkommen lässig an irgendein Gerät gelehnt dasteht; nicht anders als James Dean seinerzeit, als Schema für die aufmüpfige Jugend, ein Bild, was bis heute kursiert. Ich denke, dass das Absicht war, das ist persönliche Bildpolitik gewesen. So wollte er erscheinen, so wollte er bekannt sein: Jemand, der Brücken schlägt.
Er wollte nicht, wie es in den vorhergehenden Pontifikaten überwiegend der Fall gewesen ist, von oben herab zu den Menschen sprechen, sondern er wollte ihnen das Zeichen geben, dass er sich in vieler Hinsicht auf ihrem Niveau bewegt und dass er sich mit ihnen in einen symbolischen Dialog begeben will. ‚Dialog’ war ein wichtiger Begriff, aber was darunter zu verstehen war, wurde eigentlich vom Papst bestimmt. Er bestimmte, was Dialog ist.“

Einer der Grundsätze der Kommunikationswissenschaft sagt, dass das Medium schon die Botschaft ist. Gehört das auch in die Kommunikation von Johannes Paul II., dass in dem Bild, in dem Auftritt, allein schon die Botschaft liegt?

„Das Fernsehen ist in diesem Fall sicher ein großer Teil der Botschaft, weil ohne das Fernsehen diese Veranstaltungen ganz anders ausfallen würden. Mit dem Fernsehen sind die Dimensionen in jedem Fall andere. Von da her ist das, was durch das Fernsehen passiert, medienspezifisch und medienlogisch. Um auf ihre Frage zurück zu kommen würde ich auch sagen, dass das Fernsehen ein Teil der Botschaft ist. Denn ohne Fernsehen könnten sie so ein Gemeinschaftsgefühl, wie es sich ja aus den vielen Übertragungen aus den entferntesten Orten der Welt ergeben hat, gar nicht erzeugen. Man hat es genossen und man hat sich als Teil der Besucher empfunden.“

Abgesehen von der Gemeinschaftsbildung: Was ist noch die Botschaft, die in den Bildern liegt?

„An erster Stelle symbolisiert er natürlich die Nachfolge Petri und den Stellvertreter Gottes auf Erden, den guten Hirten, aber natürlich auch den Lehrer. Er ist viele Rollen in einer Person. Je nach Situation wird dann die eine oder die andere Rolle verstärkt. Manchmal gibt es auch Rollen, die sich verbinden, zum Beispiel bei kirchlichen Gesten.
Man kann den transzendenten Hintergrund dieser Bilder, wenn man katholisch ist, wenn man gläubig ist, gar nicht beiseite schieben.“

Der Vatikan funktioniert ja schon seit Jahrhunderten durch die Wiederholung des Immergleichen, Johannes Paul hat seine Akzente aber unter anderem dadurch gesetzt, dass er sich nicht daran gehalten hat. Beginnend mit der Ansprache nach dem ersten Segen vom Balkon von Sankt Peter, wo er von „unserer gemeinsamen italienischen Sprache“ redet und die Worte „habt keine Angst“ findet. Er hält sich nicht an die Regeln. Er spielt mit dem Charme und scheint zu sagen, dass er dem Vatikan etwas Menschliches bringen will. Ist das etwas Faszinierendes gewesen, dass er die Mauern sozusagen durchlässig gemacht hat?

„Das war das Allergrößte. Die vorhergehenden Päpste waren ja im Vergleich Statuen. Das Erfrischende war ja gerade, dass jetzt plötzlich ein Papst da war, der plötzlich ganz wichtige Dinge anders gemacht hat, der sich anders bewegt hat und der eine Mimik gezeigt hat, die jedem klar gemacht hat, dass da ein Mensch ist: Da lacht einer, da fabuliert jemand, da spielt jemand, da kommuniziert jemand mit allen möglichen Leuten, und zwar mit Händen und mit Ausdruck, mit immer wieder veränderten Kopfhaltungen, spitzbübisch oder auch traurig.
Es war dieser vielfältige menschliche Ausdruck, der sofort angesprochen hat. Er war ja auch gerichtet. Genau das ist dieses Charisma: Er strahlt etwas sehr menschliches aus. Das war ihm im Übermaß gegeben.
Das hat er sicher auch manchmal gezielt eingesetzt. Aber diese Ausstrahlung war etwas ganz Neues. Daran hat man sich gefreut und viele haben sich davon angesprochen gefühlt.“

Papstspezialisten und Journalisten sagen, Papst Benedikt sei ein Papst zum Hören und Johannes Paul sei ein Papst zum sehen gewesen, sie bedienten zwei völlig verschiedene Medien. Johannes Paul hat ja auch nicht wenige Texte hinterlassen, auch kraftvolle Texte, zum Beispiel in den Enzykliken. Sind die Bilder stärker als das, was er gesagt hat?

„Ich denke, was als Faszinosum dieses Papstes Johannes Paul II. bleibt, das ist eben das Charismatische. Das verdeckt auch vieles, was man an Kritik vorbringen könnte.
Was nun Benedikt XVI. anbetrifft, es ist ja nicht so ganz einfach, seine Texte zu verstehen. Man muss schon bereit sein, sich darauf einzulassen. Ich denke, wenn man ihn hört, dann ist auch das keine leichte Aufgabe, denn man muss wirklich sehr genau zuhören. Es gibt viele Gedankenkonstruktionen, die einem Laien nicht vertraut sind. Da würde ich mir im Moment noch kein Urteil erlauben, was Papst Benedikt kommunikativ gesehen am Besten beschreibt.“ (rv)

Briefmarken zur Heiligsprechung

Briefmarken_HSp_JPIIZur Heiligsprechung von Johannes XXIII. und Johannes Paul II. wird der Vatikan in Kooperation mit der polnischen und italienischen Post Sonderbriefmarken herausgeben. Bei einer Gesamtauflage von 2,2 Millionen Serien erscheinen verschiedene Editionen. Johannes Paul II. wird zunächst mit einer Auflage von 1,5 Millionen Briefmarken geehrt. Die 0,85-Euro Marke wird in Polen gedruckt. Sie zeige den lächelnden Papst mit Segensgestus und Heiligenschein. Außerdem gibt es einen Gedenkblock, der den polnischen Papst mit rotem Schultermantel abbildet.
Auch Johannes XXIII. wird zur Heiligsprechung eine Briefmarke gewidmet: Das Land Italien bringt gemeinsam mit der Vatikanpost eine 0,70-Euro Marke heraus. Johannes XXIII. sei darauf mit der dreifachen Krone, der sogenannten Tiara, abgebildet. Neben ihm sei ein Kreuz zu sehen, das aus den Anfangsworten seiner acht Enzykliken gebildet wird. Auch für Johannes XXIII. gibt es einen entsprechenden Gedenkblock, auf dem er mit rotem Schultermantel abgebildet ist.

Die Briefmarken werden bereits Ende März erhältlich sein.
Am 27. April werden Johannes Paul II. und Johannes XXIII. in Rom heiliggesprochen. (rv)

Johannes XXIII. und Johannes Paul II.: Heiligsprechungen am 27. April

Papst Johannes XXIII. Papst Johannes Paul II.Es ist der letzte Schritt zur Heiligsprechung: An diesem Montag hat ein Konsistorium – eine ordnungsgemäße Versammlung von Kardinälen – unter der Leitung von Papst Franziskus grünes Licht gegeben für die Heiligsprechung der beiden Päpste Johannes XXIII. und Johannes Paul II. Der Papst legte fest, dass das Ereignis am 27. April in Rom stattfinden wird, dem Sonntag nach Ostern (oder dem Sonntag der Göttlichen Barmherzigkeit, wie der Tag nach einer Entscheidung Johannes Pauls II. gefeiert wird). Das gab der Vatikan nach dem Konsistorium bekannt.

Um die gleichzeitige Heiligsprechung beider Päpste zu ermöglichen hatte Papst Franziskus Johannes XXIII. vom zweiten Wunder dispensiert. Der Prozess für Johannes Paul II. war dagegen zügig, aber vollständig abgelaufen. (rv)