Benedikt XVI. hat als erster Papst in der neueren Kirchengeschichte von seinem Recht zurückzutreten Gebrauch gemacht. Das Kirchenrecht kennt diesen Schritt, und dennoch bleiben einige Fragen offen, etwa, welchen Status eigentlich ein zurückgetretener Papst in der Kirche hat. Dazu Pater Markus Graulich, Kirchenrechtler und Richter an der römischen Rota:
„Ich denke, er ist der zurückgetretene Papst, der emeritierte Bischof von Rom, aber wie tritt er noch auf? Das ist ungeklärt. Ich wurde gestern etwa gefragt: Bleibt er unfehlbar? Das bleibt er nicht, denn das ist eine Sache, die nicht an die Person gebunden ist, sondern an das Amt; das Amt hat er nicht mehr inne, und so hat er auch nicht mehr dieses Charisma, diese Geistesgabe.“
Bis zum 28. Februar, gut zwei Wochen noch, bleibt Benedikt im Amt. Es handelt sich dabei nicht um eine Art vorgezogene Sedisvakanz, erklärt Graulich.
„Der Papst könnte jetzt beispielsweise noch seine Enzyklika über den Glauben veröffentlichen, die ja, wie man hört, bereits fertig ist. Er wird bestimmt noch Ernennungen vornehmen, gestern ist ja auch eine erfolgt; er kann alle Akte des Pontifikates noch setzen, er wird natürlich noch die Exerzitien machen wie sie vorgesehen waren, da fällt eine Woche weg, aber: Er ist bis 28. Februar 20 Uhr, warum auch immer 20 Uhr, im Amt.“
Das größte Risiko im Fall eines Papstrücktritts ist eine mögliche Kirchenspaltung. Papst Paul VI., erinnert sich Graulich, fürchtete eine solche im Fall eines eventuellen Rücktritts und hätte aus diesem Grund sein Amt nur im alleräußersten Notfall niedergelegt.
„Natürlich ist es eine Frage, wie Papst Benedikt das gestalten wird und wie zurückgezogen er leben wird. Es funktioniert ja auch in den Diözesen, wo man akzeptiert, dass ein Altbischof hin und wieder einmal zu sehen ist, aber sich nicht einmischt. Ich könnte mir vorstellen, dass der Papst sich noch radikaler zurückzieht, dass er gar nicht mehr auftreten wird. Rechtlich ist es kein Problem, die Probleme sind eher emotionaler und nichtrationaler Natur. Es kommt auch darauf an, wie der Abschied gestaltet wird, ob es da noch eine Feier geben wird. Es könnte eine liturgische Feier geben, wo er die Insignien, die bei der Amtsübernahme überreicht wurden, auf den Altar legt und dann einfach weggeht. Es wird irgendeine Form noch geben müssen, die uns auch optisch verstehen lässt: Er ist jetzt nicht mehr Papst.“
Eigene kirchenrechtliche Verordnungen, um der Gefahr der Spaltung vorzubeugen, braucht es aus Graulichs Sicht aber nicht,
„weil sowohl das Kirchenrecht diesen Schritt in der Weise, wie er geschah, vorsieht: also frei und ungezwungen. Genauso sieht die Wahlkonstitution ,Universi Dominici Gregis‘ die Vakanz des Apostolischen Stuhles durch den Tod des Papstes oder seinen Rücktritt vor; jeder, der vernünftig denken kann, muss das hinnehmen und muss diesen Schritt akzeptieren, sosehr der Schritt zu bedauern ist.“
Mit seiner Entscheidung zum Rücktritt hat Papst Benedikt nach Graulichs Ansicht eine Bresche geschlagen: Jeder Papst, der nach ihm kommt, kann sich auf Benedikts Rücktritt berufen. Das hat Auswirkungen nicht nur auf das kommende Konklave, sondern auch auf alle zukünftigen, glaubt der Kirchenrechtler.
„Die Kardinäle können auch einen jüngeren zum Papst wählen und müssen nicht denken, den haben wir jetzt 30 Jahre. sondern der kann dann mit 75 oder mit 80 sagen, gut, jetzt ist es genug, nun lässt du, Herr, deinen Knecht in Frieden scheiden; er hat immer diesen Präzedenzfall der jüngeren Geschichte. Für einen Nachfolger hat er damit vieles leichter gemacht.“
Dass dadurch geradezu ein Druck auf alle folgenden Päpste entsteht, das Amt aus allerlei möglichen Gründen zurückzulegen, glaubt Graulich nicht.
„Ich denke, das ist in der heutigen Gesellschaft ein normaler Prozess, dass Menschen von ihren Ämtern zurücktreten.“ (rv)