Christus kam nur bis Pennsylvania

Warum die aktuelle Missbrauchskrise in den Vereinigten Staaten nicht nur Kardinäle betrifft, sondern auch den Papst in Rom.

Am 14. August präsentierte der Generalstaatsanwalt von Pennsylvania den Grand Jury-Bericht über die sexuellen Vergehen katholischer Priester in sechs Diözesen über einen Zeitraum von siebzig Jahren. Kurz darauf erhob CNN, dass nur noch etwa die Hälfte aller Amerikaner den Papst positiv einschätzen, während es im Vorjahr noch zwei Drittel waren. Was war passiert?

Der Untersuchungsbericht der Grand Jury war wohl nicht das Problem, denn der John Jay College of Criminal Justice Report von 2004 hatte bereits Missbrauchsfälle in ganz Amerika von 1950 bis 2002 untersucht. Das Spektrum der Verbrechen gegen Kinder und das Fehlverhalten seitens der Bischöfe sind in Amerika seither Allgemeinwissen, von anfänglicher Naivität, über unfassbare Inkompetenz bis hin zum vorsätzlichen Vertuschen.

Aus dem John Jay Report war zu erkennen, dass die Zahl der Fälle in den späten sechziger Jahren anstieg und in den Siebzigern den Höhepunkt erreichte. In den Achtzigern nahmen die Fälle weiter stetig ab und sanken in den Neunzigern wieder auf das Niveau der fünfziger Jahre. In den Neunzigern gingen zwar die meisten Missbrauchsmeldungen ein, aber der Großteil bezog sich auf Vorfälle aus den Dekaden zuvor. Der Höhepunkt öffentlicher Entrüstung hingegen wurde viel später, im Laufe der Enthüllungen durch den Boston Globe in 2002 erreicht. Kardinal Bernard Law, der die Empfehlungen der Bischofskonferenz für einen konsequenten und transparenten Umgang mit Vorwürfen nicht befolgt hatte, trat von der Leitung der Diözese Boston zurück. Die Bischöfe Amerikas adoptieren offiziell eine „Null Toleranz“-Politik, Täter durften nicht wieder als Seelsorger eingesetzt werden, auch nicht nach einer „Behandlung“.

Der Pennsylvania Jury Report bestätigte nun einen deutlichen Rückgang von Missbrauchsfällen, seit den 2002 implementierten Leitlinien. Aus der ersten Welle der Entrüstung hatte die amerikanische Kirchenhierarchie grundsätzliches Krisenmanagement gelernt: Dass seitens der Institution nur Reue, Zerknirschung und die Bitte um Vergebung artikuliert werden kann und verzerrende Nebeneffekte der Medienkampagne nur mit respektvollem Zeitabstand und von scheinbar unbeteiligten Beobachtern analysiert werden dürfen. Dass es sich bei etwa neunzig Prozent der zitierten Fälle nicht strikt um Pädophilie, also um Übergriffe auf vorpubertäre Kinder, handelte. Dass, trotz der erschreckenden Zahlen, sexueller Missbrauch Minderjähriger beim katholischen Klerus statistisch unter dem Durchschnitt der Gesamtbevölkerung liegt.

Obwohl die sexuellen Übergriffe katholischer Priester in den Medien am besten dokumentierten sind, haben die in der englischsprachigen Welt bekannt gewordenen Fälle von Fernsehstars, Politikern und Popsängern in der öffentlichen Meinung mittlerweile den Eindruck abgebaut, es sei vor allem der Zölibat, der die Pädophilie fördere. Die Zahlen widerlegen ohnehin den Mythos, dass zölibatäres Leben Kindesmissbrauch begünstige: pädophile Straftäter leben überwiegend in Partnerschaften.

In einem Punkt unterscheiden sich die katholischen Priester Amerikas statistisch dramatisch vom Rest der männlichen Bevölkerung: Während Männer im Allgemeinen wesentlich mehr weibliche Opfer missbrauchen, haben sich katholische Priester bisher an wesentlich mehr männlichen Opfern vergangen. Die Tatsache dass es sich bei den Missbrauchsfällen durch Priester im John Jay Report zu achtzig Prozent um homosexuelle Übergriffe auf männliche Teens handelte, beschäftigte bereits 2004 die Öffentlichkeit.

In Diskussionen um die Frage nach den Ursachen der Missbrauchskrise geht es also erneut um die Rolle von Homosexualität. Schenkt man den in katholischen Medien verbreiteten Einteilungen Glauben, dann halten „ultrakonservative Homophobe“ Homosexualität für das Hauptproblem, während Liberale wissen, dass der „Klerikalismus“ Schuld daran ist. Doch ganz so simpel lassen sich die Perspektiven nicht zuordnen, denn auch viele liberale Katholiken in den Vereinigten Staaten stimmen mit dem Soziologen Richard Snipes darin überein, dass die Zahlen es unmöglich machen, homosexuelle Neigung als Faktor in der Missbrauchskrise auszuschließen. Der leichtere Zugriff auf Jungen mag vor allem für Fälle in der Vergangenheit eine Rolle gespielt haben, aber auch in jüngerer Zeit scheint sich an der Proportion nichts geändert zu haben. Wichtig bleibt dabei, dass homosexuelle Neigung in den Fällen von genuiner Pädophilie, die fünf bis zehn Prozent der Missbrauchsfälle in den beiden Berichten ausmachen, gerade keine besondere Rolle spielt. Dass Homosexualität nicht zu Pädophilie führt, kann nicht oft genug gesagt werden, aber von einer Krise gleichgeschlechtlichen Missbrauchs an Teenagern zu sprechen, muss weder „homophob“ noch „ultrakonservativ“ sein, sondern ist zunächst einmal nur eine Artikulation der Zahlen in Worten. Dass die Pressekonferenz zum Jury Report auf dem Podium dennoch eine Gruppe überwiegend weiblicher Opfer zeigte, entging Beobachtern natürlich nicht.

Was nun aus dem Jury Report letztendlich Sprengstoff machte und eine kleine Popularitätskrise für den Papst verursachte, waren weder Enthüllungen noch Grundsatzdebatten, sondern das Timing seines Erscheinens. Erst kurz zuvor, Ende Juni, hatte die New York Times berichtet, dass es eine glaubwürdige Anschuldigung gegen Kardinal McCarrick von Washington gebe, er habe einen Minderjährigen sexuell missbraucht. Aus den Reaktionen auf diese Nachricht ging hervor, dass Kardinal McCarrick längst für seine homosexuellen Affären bekannt war und als „Uncle Ted“ ganze Reihen von Seminaristen und jungen Priestern belästigt hatte.

Diese Nachricht schlug nicht nur in der katholischen Kirche Amerikas kräftig ein, denn die Fallhöhe Kardinal McCarricks hatte sich über dessen Bischofssitz in der Hauptstadt Washington hinaus durch seine besondere Nähe zu Papst Franziskus nochmals gesteigert. Ende Juli trat McCarrick als Kardinal zurück. Anfang August löste der Papst mit der Änderung des Paragrafen zur Todesstrafe im Katechismus eine Debatte aus, die, wie vorauszusehen, vor allem Amerikas konservative Katholiken intensiv beschäftigte. Die McCarrick story schien damit gekappt.

Doch das Erscheinen des Jury Report machte auch McCarrick erneut zum Thema und Diskussionen um seine Rolle in Amerikas Kirche wurden spezifischer.

Aus manchem Kuriengeflüster war längst bekannt, dass die Kardinäle Blase Joseph Cupich und Joseph William Tobin nie auf den Listen der Bischofskongregation standen, sondern jeweils über McCarricks Empfehlung und auf direkte Anweisung des Papstes ernannt und umgehend zu Kardinälen gemacht worden waren. War dies nun endlich ein konkretes Beispiel jenes korrupten Netzwerkes, das Papst Franziskus eigentlich bekämpfen wollte?

Eine Woche später behauptete Erzbischof Carlo Maria Viganò, der ehemalige Nuntius in Amerika, Papst Franziskus habe mindestens seit 2013 gewusst, dass McCarrick serienmäßig Seminaristen belästigt habe. McCarrick sei trotzdem zum wichtigsten amerikanischen Berater des Papstes avanciert und tatsächlich für die Ernennungen von Cupich und Tobin verantwortlich gewesen.

Kardinal Cupich erklärte daraufhin, es sei nicht gut, den Vorwürfen Viganòs nachzugehen, der Papst habe von McCarricks sexuellen Übergriffen auf Seminaristen und Priester gewusst: „Der Papst hat eine wichtigere Agenda, er muss sich um andere Dinge kümmern, über die Umwelt sprechen, den Schutz der Migranten, und die Arbeit der Kirche weiter führen. Wir werden uns in dieser Sache nicht in die Ecke treiben lassen.“

Auch Kardinal Donald Wuerl, der Nachfolger McCarricks als Erzbischof von Washington, versuchte in einem Fernsehinterview mit dem englischsprachigen Vatikansprecher Thomas Rosica die Behauptungen Viganos herunterzuspielen: „Ich glaube nicht, dass wir hier eine riesige, riesige Krise haben.“

Der iranische Konvertit zum Katholizismus Sohrab Ahmari beanstandete in der New York Post, dass Kardinal Wuerl die Missbrauchskrise lediglich als Imageproblem behandele. „Barmherzigkeit“ ohne Wahrheit und Buße sei nicht mehr als Public Relations.

Wuerl hatte eine Webseite „The Wuerl Record“ einrichten lassen, die zeigen sollte, dass er keinen Missbrauch habe durchgehen lassen. Sie wurde umgehend wieder gelöscht und die Washington Post brachte unter dem Titel „Ein Blender im Kardinalshut“ detaillierte Hinweise darauf, dass der Kardinal Missbrauchstäter lediglich versetzte, einen Informanten für sein Schweigen bezahlte und einen Ring von Kinderpornos produzierenden Priestern geschützt habe.

So wurde der Jury Report zum Anlass für eine neue Diskussion über die Strukturen, Missbrauch zu verheimlichen. Das Phänomen, dass Vorgesetzte in Priesterseminaren und Diözesankurien den Nachwuchs rekrutieren und fördern, der ihre sexuellen Präferenzen teilt, ist in den Vereinigten Staaten gut dokumentiert und wird nun im Zusammenhang mit McCarrick und Wuerl offen diskutiert. Beide Kardinäle waren die Protegés homosexuell aktiver Mentoren, McCarrick wurde selbst zum Täter, Wuerl war immerhin in Missbrauchsvertuschung involviert. Die These Sipes scheint sich zu bewahrheiten, dass der Versuch, das eigene Fehlverhalten zu verbergen, zu einer Verheimlichungskultur unter sexuell aktiven Klerikern führe, in der keiner den ersten Stein werfen wolle, im Extremfall selbst dann, wenn ein Verdacht auf Vergehen gegen Minderjährigen bestehe.

Ob und wann der Papst über McCarricks homosexuelle Affären mit Seminaristen und Priestern informiert war oder sogar über die in der Diözese New York 2016 eingegangene Anklage, er habe einen Minderjährigen missbraucht, steht weiterhin offen. Der Papst erklärte, er werde darüber schweigen und umgehend zirkulierten Zitate aus seiner Predigt am Palmsonntag, als er den Jugendlichen zurief: „Ihr habt es in Euch, laut zu rufen“, während „ältere Leute, Personen in Führungspositionen, sehr oft die korrupten, lieber schweigen!“

Die Reaktionen einiger der engsten Alliierten des Papstes, wie Kardinal Oscar Rodriguez Maradiaga, oder auch die seines englischen Biographen, des Publizisten Austin Ivereigh, waren unmusikalisch robust: Wieso die Aufregung, mit der Ausnahme der neuesten Vorwürfe sei es bei McCarrick schließlich nur um einvernehmliche Affären mit Volljährigen gegangen. „Oder habe ich hier was verpasst?“, fragte Ivereigh auf Twitter.

Ein Fingerspitzengefühl für das Empfinden der amerikanischen Öffentlichkeit fehlte hier. Vor allem seit der durch Harvey Weinsteins casting couch ausgelösten #metoo-Kampagne überzeugt das „Einvernehmen” zwischen Bischöfen und Seminaristen so wenig wie die zwischen Filmmogulen und Schauspielschülerinnen, Firmenchefs und Praktikanten.

Der Journalist und Papstbiograph Phil Lawler fasst am besten zusammen, was Amerikas Katholiken seither verunsichert: Auch wenn der Papst nichts vom 2016 erstmals erhobenen Vorwurf des Missbrauchs Minderjähriger wusste, ist es denkbar, dass der Papst homosexuelle Affären mit Seminaristen nicht als Disqualifikation für Schlüsselpositionen in der Kirche hält?

Präzedenzfälle, meint Lawler, zeigen, dass diese Frage mit ja beantwortet werden muss, denn der Papst ernannte auch den von Skandalen geplagten Prälaten Battista Ricca zu seinem Vertrauensmann beim vatikanischen Geldinstitut IOR. Der meistzitierte Satz des Pontifikates, „Wer bin ich, darüber zu urteilen?“, fiel in der Antwort des Papstes auf die Journalistenfrage bei einer „fliegenden Pressekonferenz, ob Riccas homosexuelle Affären ihn nicht ungeeignet machten. Der Papst betonte damals, dass er die Grenze dort ziehe, wo es um Kriminalität gehe, denn Missbrauch von Kindern sei ein Verbrechen.

„Kann es sein, dass der Vikar Christi auf Erden einem Kardinal, der Seminaristen verführte, nicht nur verzeiht. sondern auch als vertrauten Berater zu Rate zieht?“ Lawler meint, es gebe keinen Grund, diese Vermutung zurückzuweisen. Auch im Fall des belgischen Kardinals Danneels, der einen befreundeten Missbrauchstäter schützte, schien der Papst das nicht weiter übel zu nehmen und berief ihn zur Familiensynode.

Außer Zweifel steht, dass der von Papst Benedikt marginalisierte McCarrick im Pontifikat von Franziskus zum einflussreichsten amerikanischen Kirchenmann wurde. Noch 2016 reiste er als inoffizieller Mittelsmann nach China, er setzte sich in US-Medien für einen Kompromiss mit der chinesischen Regierung ein, der mittlerweile trotz erneuter Repressalien gegen Katholiken in China zustande gekommen ist. Als Patenonkel des gerade unterzeichneten China-Deals bereitete er den Weg für die Legitimierung regierungsnaher Bischöfe, die wegen ihres Lebenswandels bisher nicht als geeignete Hirten galten. Dass er bei seinen Besuchen in Priesterseminaren der offiziellen Kirche abstieg, verleiht dem China-Abkommen im Blick auf die Vorwürfe gegen McCarrick eine peinliche Fußnote.

Die alte Regel, private Sünden nicht publik zu machen, solange kein Verbrechen vorliegt, war bis zu einem gewissen Punkt nachvollziehbar, doch in der Diskussion um Kindesmissbrauch verschiebt sich die Gewichtung der Kriterien. Dass kompromittierte Bischöfe weniger bereit sind, Missbrauch aufzudecken, ist kein irrationaler Verdacht, sondern geht aus den Erfahrungen der Vergangenheit hervor. Generationen systemischer Korruption haben hier unermesslichen Schaden angerichtet, und es ist unmöglich zu leugnen, dass Homosexualität dabei eine Rolle spielte. Nicht wegen einer Fixierung auf sexuelle Orientierung, sondern um der Opfer dieser Korruption willen sind die privaten Sünden des Kardinal McCarrick nun von Interesse.

Die Vermutung des in den Vereinigten Staaten lebenden Publizisten Andrew Sullivans, dass es die Unterdrückung von Homosexualität sei, die im katholischen Milieu zu Missbrauch führe, beruht auf einem hydraulischen Modell der Sexualität, das in der Freudschen Folklore seinen Platz hat, wissenschaftlich allerdings schwer zu belegen ist. Sullivan selbst ist bekennender Katholik und lebt in einer gleichgeschlechtlichen Lebensgemeinschaft. Kernpunkt seiner persönlichen Reaktion auf die Missbrauchsskandale ist die Annahme, dass keiner dieser Priester, die sich wiederholt an Kindern oder Minderjährigen vergehen, an das Evangelium glaube. Das gleiche gelte vermutlich für Bischöfe, die solche Männer schützen. Und damit setzt Sullivan alles auf eine Karte: Die Missbrauchskrise sei im Grunde eine Glaubenskrise.

Richtig ist sicher, dass der, der an Christus und seine Kirche und damit an die Heiligkeit und Wirksamkeit der Sakramente glaubt, im Krisenfall oft und aufrichtig beichtet und damit dauerhaft kein moralisches Doppelleben führen wird. Mit Zynismus und Heuchelei können wir dem Leib Christi, der Kirche, Wunden zufügen, die sie bis zur Unkenntlichkeit entstellen. Nur wer glaubt, kann sich dann noch sicher sein, dass es dennoch Christus ist, der seine Kirche nicht verlassen wird, bis ans Ende der Tage.

Zuerst erschienen im VATICAN-Magazin, Ausgabe 10 / 2018. Veröffentlicht bei CNA Deutsch mit freundlicher Genehmigung. (CNA Deutsch)

Der Papstbrief ist eine gutgemeinter Anfang

Ein Gastkommentar zum Brief des Pontifex über die Missbrauch- und Vertuschungskrise der Kirche.

Mit einem Brief an alle Katholiken hat Papst Franziskus auf die Krise reagiert, die Missbrauch- und Vertuschungsskandale sowie weiteres Fehlverhalten von Priestern, Bischöfen und Kardinälen ausgelöst haben.

CNA Deutsch veröffentlicht mit freundlicher Genehmigung des Portals „kath.net“ den Kommentar von Petra Lorleberg.

Das Wort „Bischof“ kommt im „Schreiben von Papst Franziskus an das Volk Gottes“ zum Thema innerkirchlicher Missbrauch vom 20.8.2018 nicht vor. Das Wort „Kardinal“ kommt zweimal vor (einmal wird „Kardinal Ratzinger“ mit der Karfreitagsmeditation 2005 erwähnt, ein weiteres Mal wird in einer Fußnote ein Schreiben an einen Kardinal als Quelle genannt). Das Wort „Priester“ kommt viermal vor. Das zentrale Wort zur Beschreibung von Tätern und von stärker Tatverdächtigen ist „Kleriker“.

Eine suboptimale Terminologie, denn es handelt sich nicht zuletzt um einen Bischofs- und Kardinalsskandal. In Chile sind bisher fünf Ortsbischöfe wegen des kirchlichen Missbrauchsskandals zurückgetreten, weitere Rücktritte scheinen nicht unwahrscheinlich. Gegen zwei chilenische Kardinäle laufen starke polizeiliche Ermittlungen. Die Büros der chilenischen Bischofskonferenz wurden in einer Razzia durchsucht. Im US-Bundesstaat Pennsylvania stehen in sechs von acht Diözesen rund 300 Kleriker und Ordensleute namentlich unter Verdacht, außerdem sind klare Vertuschungsstrukturen zu erkennen. Kardinal Theodore Kardinal McCarrick, emeritierter Erzbischof von Washington D.C., wurde vom Vatikan Mitte Juni 2018 gemaßregelt und darf sein Amt nicht länger öffentlich ausüben. Gegen ihn liegen Behauptungen vor, dass er in größerem Umfang Seminaristen in sein Bett geholt habe und ihnen dann leichteren Zugang zu kirchlichen Karrieremöglichkeiten verschafft habe. Ein Aufbau eines entsprechenden Netzwerkes durch Opfer, die dann Nutznießer wurden, ist nicht völlig auszuschließen.

Auch bezüglich der Missbrauchsopfer ist die Terminologie suboptimal. Schon der zweite Satz des Papstschreibens greift zu kurz, da hier nur Missbrauch an „Minderjährigen“ beschrieben wird: „das Leiden …, das viele Minderjährige wegen sexuellem wie Macht- und Gewissensmissbrauch seitens einer beträchtlichen Zahl von Klerikern und Ordensleuten erfahren haben“. Wir wissen aber von vielen Angriffen auf die Keuschheit von Priesteramtskandidaten in den Priesterseminaren – hier handelt es sich keineswegs um „Minderjährige“. Auch wird nicht nach heterosexuellen und homosexuellen Missbrauchstaten unterschieden, im Gegenteil wird dieses Thema komplett vermieden.

Der allererste Fokus unserer Kirche muss natürlich auf den Missbrauchsopfern und ihrem Leiden liegen. Sie haben schwerste Schäden davongetragen, viele von ihnen bleiben ein Leben lang von ihren Missbrauchserfahrungen gezeichnet und entstellt, manche haben infolge der Vorgänge sogar ihr Leben verloren.

Der zweite Fokus muss aber auf der Entfernung aller Missbrauchstäter sowie Missbrauchs- und Vertuschungsstrukturen aus unserer Kirche liegen. Wenn ein Kleriker unter den begründeten Verdacht gerät, Missbrauch begangen oder vertuscht zu haben, muss er von seinem Dienst völlig suspendiert werden, solange, bis seine Schuld oder Unschuld auch rechtsstaatlich geklärt ist. Das gilt auch für Bischöfe und Kardinäle. Dass dem allerdings nicht so ist, mag der Fall von Kardinal Ricardo Ezzati Andrello, Erzbischof von Santiago de Chile, belegen. Trotz starker staatlicher Ermittlungen ist er uneingeschränkt als Erzbischof und Kardinal im Amt. Weder ist er bisher suspendiert noch hat er für sein Erzbistum einen Koadjutor an die Seite gestellt bekommen. Weitere Namen von Kardinälen könnte man hier nennen, deren Suspendierung überfällig wäre. Die katholische Kirche ist hierarchisch strukturiert, es ist Aufgabe der Leitung, Suspendierung, Maßregelung und Amtsenthebungen durchzuführen. Sprich: das genau ist Aufgabe des Papstes und der Vatikanbehörden. Bisher geschah hier deutlich zu wenig. Und wenn überhaupt etwas geschah, dann musste vorher ein unglaublich starker Aufschrei durch die Medien gehen.

Angesichts der skandalösen Vergehen katholischer Geistlicher ruft Papst Franziskus zu Fasten, Buße und Gebet auf, tatsächlich ein altbewährtes spirituelles Heilmittel der Kirche. Doch mag sich der eine oder die andere fragen: Wer genau wird fasten, büßen, beten? Jene Geistlichen, die ins Kreuzfeuer von Missbrauchs- und Vertuschungsvorwürfen geraten sind? Werden wir echt zerknirschte, womöglich öffentliche Buße von ihnen erleben, werden wir am Bildmaterial sehen, dass sie tatsächlich auch körperlich fasten? Oder werden manche der Täter weiterhin wie Maden im Speck in ihren kirchlichen Privilegien leben und die kleinen Gläubigen werden für sie fasten und büßen? Wäre dies aber nicht genau jener „Klerikalismus“, den Papst Franziskus in seinem Schreiben eigentlich anprangert?

Wir hatten in den letzten Jahrzehnten in unserer Kirche einen Graben zwischen konservativen und progressiven Katholiken, unter dem gläubige Katholiken beiderseits dieses Grabens sehr gelitten haben, wie mir Freunde und Vertraute aus beiden Lagern immer wieder erzählt haben. Wir müssen in der Kirche nun aufpassen, dass wir nicht einen noch weitaus schmerzhafteren und gefährlicheren Graben eröffnen: jenen zwischen den Klerikern und den Laienchristen. Denn derzeit sind Laienkatholiken aus beiden kirchlichen Lagern in großer Gefahr, das grundsätzliche Vertrauen in die kirchliche Leitung zu verlieren. Was aber DIES für unsere Kirche bedeuten würde, möge sich jeder selbst beantworten.

Für das Papstschreiben insgesamt möchte ich positiv sagen: Es ist immerhin ein guter Anfang, Heiliger Vater. Nun müssen Taten folgen, unbedingt auch von Ihnen! Denn wir sind bekanntermaßen keine demokratisch organisierte Gemeinschaft, sondern hierarchisch organisiert – das Gesetz des Handelns liegt also beim Vatikan. Bitte suspendieren Sie schnell, wo Kardinäle und Bischöfe unter ernstzunehmenden Missbrauchs- oder Vertuschungsverdacht geraten sind. Zuallererst zugunsten der Opfer – aber Sie haben Verantwortung auch gegenüber uns Laienchristen, denen sonst das Vertrauen in die kirchliche Hierarchie verloren geht. (CNA Deutsch)

Kardinal Wuerl sagt Teilnahme am Weltfamilientreffen ab

DUBLIN – Der Erzbischof von Washington hat seine geplante Teilnahme am Weltfamilientreffen in Irland abgesagt.

Wuerl wird seit einer Woche durch massive Vorwürfe belastet, was die Art und Weise betrifft, wie er mit Priester umging, die während seiner Amtszeit als Bischof von Pittsburgh von 1988 bis 2006 beschuldigt wurden, sexuellen Missbrauch verübt zu haben.

Am 14. August veröffentlichte eine Grand Jury aus Pennsylvania ihren Bericht über eine 18-monatige Untersuchung von sieben Jahrzehnten in sechs Diözesen in Pennsylvania, einschließlich Pittsburgh. Der Bericht dokumentiert tausendfachen Missbrauch durch rund 300 Kleriker, aber auch systematische Vertuschung durch Bischöfe. Unter anderem wirft der Untersuchungsbericht ernste Fragen über Wuerls Umgang mit Missbrauchsfällen auf, darunter einen, in dem Wuerl die Versetzung und weiteren Dienst eines Priesters genehmigte, der Jahre zuvor des sexuellen Missbrauchs beschuldigt worden war.

Kardinal Wuerl hat bestritten, von den Vorwürfen zum Zeitpunkt der Genehmigung der Verlegung Kenntnis gehabt zu haben, aber es bleiben noch Fragen offen, die sein Management dieses Falles und weiterer betreffen.

Der Kardinal hat sich auch vor kurzem Fragen gestellt, die sich auf das beziehen, was er über das Verhalten seines Vorgängers als Erzbischof von Washington wusste, des ehemaligen Kardinals Theodore McCarrick. Diesem wird unter anderem vorgeworfen, Buben und junge Männer, darunter Seminaristen und junge Priester über Jahrzehnte sexuell genötigt und missbraucht zu haben.

Wuerl, der 2006 die Nachfolge von McCarrick als Erzbischof von Washington antrat, berichtet, dass er keine Kenntnis bezüglich McCarrick hatte. Dieser lebte nach seiner Pensionierung weiterhin in der Erzdiözese Washington.

In den vergangenen Tagen wurde Kardinal Wuerl mehrfach zum Rücktritt aufgefordert. Tatsächlich hat der Kardinal im November 2015 altersbedingt ein Rücktrittsgesuch an Papst Franziskus gerichtet, als er 75 Jahre alt wurde – das Alter, in dem die Bischöfe üblicherweise Rücktrittsgesuche an den Papst richten.

Während viele Insider erwartet hatten, dass Wuerl bis zum Alter von 80 Jahren in seinem Amt bleibt, scheint es nun wahrscheinlich, dass sein Rücktritt früher akzeptiert wird.

Es gibt keine Hinweise aus dem Vatikan, wann Franziskus nun Wuerls Rücktritt akzeptiere könnte. Jedoch spekulieren Quellen aus dem Umfeld des Kardinals, dass er lange genug in seiner Position bleiben könnte, um an den ersten Diskussionen unter den US-Bischöfen teilzunehmen, während sie beginnen, die Folgen der monumentalen Krise des sexuellen Missbrauchs, mit der die Kirche jetzt konfrontiert ist, anzugehen.

Auch Kardinal Sean O’Malley aus Boston hat diese Woche seine Teilnahme am World Meeting of Families abgesagt. O’Malley zog sich von der Veranstaltung zurück, nachdem er eine Untersuchung der Vorwürfe sexueller Unregelmäßigkeiten in der Erzdiözese von Boston angekündigt hatte.

Das Weltfamilientreffen wird vom Vatikanischen „Dikasterium für Laien, Familie und Leben“ organisiert, das von Kardinal Kevin Farrell geleitet wird, dem ehemaligen Bischof von Dallas.

Farrell war Weihbischof unter McCarrick in der Erzdiözese Washington.

Das Welttreffen der Familien findet vom 21. bis 26. August statt. Papst Franziskus wird am 26. August eine Open-Air-Messe im Phoenix Park in Dublin feiern. (CNA Deutsch)

US-Bischöfe bitten Vatikan, den McCarrick-Skandal und weitere Fälle formal zu untersuchen

Apostolische Visitation soll auch weitere Zusammenhänge von Missbrauch, Vertuschung klären und Kriterien für den Umgang mit Bischöfen erarbeiten helfen.

WASHINGTON, D.C. – Die US-Bischofskonferenz möchte, dass der Vatikan die Vorwürfe sexuellen Missbrauchs und Vertuschung gegen Erzbischof Theodore McCarrick untersucht und neue Verfahren zur Meldung von Missbrauch sowie eine stärkere Einbeziehung von Laien bei der Bearbeitung von Missbrauchsfällen erarbeiten hilft.

„Wir befinden uns in einer geistlichen Krise, die nicht nur eine geistliche Bekehrung erfordert, sondern auch praktische Veränderungen, um die Sünden und Misserfolge der Vergangenheit zu vermeiden, die im jüngsten Bericht so offensichtlich sind“, sagte Kardinal Daniel DiNardo von Galveston-Houston, Vorsitzender der US-Bischofskonferenz, in einer Erklärung am 16. August.

Transparenz und Rechenschaftspflicht

„Stärkere Schutzmaßnahmen gegen Täter in der Kirche und jeden, der deren Verbrechen vertuschen würde“, sagte DiNardo.

Der Vorsitzende weiter: Es gehe um Schutzmaßnahmen, „die Bischöfe zu höchsten Standards der Transparenz und Rechenschaftspflicht verpflichten“.

Die Bischöfe laden den Vatikan formal zu einer offiziellen Apostolischen Visitation in den Vereinigten Staaten ein, um Fragen rund um Erzbischof McCarrick zu klären, in Absprache mit den Laien des Nationalen Prüfungsausschusses, betonte DiNardo.

In er Vergangenheit hätten die US-amerikanischen Bischöfe nicht „klargestellt, welchen Weg die Opfer selbst einschlagen sollten, wenn sie Missbrauch oder anderes sexuelles Fehlverhalten durch Bischöfe melden“, räumte DiNardo ein, der die Entwicklung von „zuverlässigen Mechanismen zur Berichterstattung durch Dritte“ forderte.

Zu den Zielen der Bischöfe gehöre es, die kirchenrechtlichen Verfahren für Beschwerden gegen Bischöfe „schneller, gerechter und transparenter“ zu gestalten und „festzulegen, welche Auflagen den Bischöfen in jeder Phase dieses Prozesses gemacht werden können“.

Kriterien für Umgang mit Bischöfen

DiNardo skizzierte drei Kriterien für den Umgang der Bischöfe mit vergangenem und zukünftigem Missbrauch: Unabhängigkeit von Voreingenommenheit oder unzulässiger Einflussnahme durch einen Bischof, substanzielle Beteiligung der Laien und Respekt vor der eigenen Autorität in der Kirche.

„Weil nur der Papst befugt ist, Bischöfe zu disziplinieren oder zu entfernen, werden wir sicherstellen, dass unsere Maßnahmen diese Autorität respektieren und die Schwachen vor dem Missbrauch der kirchlichen Macht schützen“, fügte die Erklärung hinzu.

Laien mit Fachkenntnissen in den Bereichen Strafverfolgung, Psychologie, Investigation und anderen relevanten Disziplinen sollen ebenfalls einbezogen werden.

In einer Sitzung Anfang dieser Woche skizzierte das Exekutivkomitee der US-Bischöfe „diese notwendigen Änderungen“ und sagte, dass sie ihre Ziele dem Vatikan und allen US-Bischöfen während der Herbsttagung der USCCB im November vorstellen werden.

DiNardo beendete die Erklärung der Bischöfe mit einer Entschuldigung:

„Ich entschuldige mich und bitte Sie demütig um Vergebung für das, was mein Bruder Bischöfe und ich getan haben und nicht getan haben. Was auch immer sich in Bezug auf Erzbischof McCarrick oder die vielen Missbräuche in Pennsylvania (oder anderswo) herausstellen mag: Wir wissen bereits, dass eine der Hauptursachen das Scheitern der bischöflichen Führung ist. Das Ergebnis war, dass viele geliebte Kinder Gottes zumindest einem Machtmissbrauch ausgesetzt wurden. Das ist eine moralische Katastrophe. Es ist auch Teil dieser Katastrophe, dass so viele treue Priester, die nach Heiligkeit streben und mit Integrität dienen, von diesem Scheitern befleckt werden.“

DiNardo weiter: „Wir sind fest entschlossen, es mit Hilfe der Gnade Gottes niemals zu wiederholen. Ich mache mir keine Illusionen darüber, wie sehr das Vertrauen in die Bischöfe durch diese vergangenen Sünden und Misserfolge beschädigt wurde. Es braucht Arbeit, um dieses Vertrauen wiederherzustellen. Was ich hier skizziert habe, ist nur der Anfang; weitere Schritte werden folgen.“

Übersetzt und redigiert aus dem Englischen von AC Wimmer. (CNA Deutsch)

Kardinal Burke: Wir befinden uns in einer schweren Krise, die das Herz der Kirche trifft

WASHINGTON, D.C. – Kardinal Raymond Burke hat gesagt, dass sich die katholische Kirche aufgrund des „schweren Versagens“ einiger Bischöfe in einer „sehr schweren Krise“ befindet.

Die Skandale um sexuellen Missbrauch und Vertuschung durch Priester und Bischöfe sind „ein schwerer Vertrauensverlust in unsere Hirten“, so Burke weiter.

„Wir befinden uns in einer sehr schweren Krise, die das Herz der Kirche trifft, denn Unser Lieber Herrgott handelt im Namen der Herde durch jene Hirten, die dazu bestimmt sind, in Seiner Person zu handeln, zu lehren, die Sakramente zu feiern und die Kirche zu leiten“, sagte Burke in einem Interview mit Raymond Arroyo in der EWTN-Sendung „World Over“ am 16. August.

Kardinal Burke, 70, ist unter anderem emeritierter Präfekt der Apostolischen Signatur und kehrte kürzlich nach einem fast einmonatigen Besuch in den Vereinigten Staaten nach Rom zurück. Er habe „noch nie so viel Wut, so viel Enttäuschung, so viel Frustration von guten, katholischen Gläubigen“ gehört wie während dieses Besuchs in den USA, so Burke.

„Wir haben es hier mit schwersten Sünden zu tun. Wir müssen unsere Aufmerksamkeit darauf lenken und das tun, was für alle Beteiligten gerecht ist.“

Der Kirchenrechtler und Kardinal betonte: „Für den Bischof, der in diesem Bereich schmerzlich versagt hat, sind die Strafrechtsmittel der Kirche auch Sühnemittel für sein Wohl“. Als Hirte sei das Wohl der Herde seine Verantwortung.

Burke weiter: „Dass ein Bischof die Herde ausnutzt und Todsünden begeht: Das ist einfach inakzeptabel und muss aufhören“.

Der einzige Weg, wie dieses Vertrauen wiederhergestellt werden kann, sei „der ganzen Sache auf den Grund zu gehen und für die Zukunft sicherzustellen, dass dies nicht geschieht“, unterstrich Burke: „Dies fällt in die Verantwortung des Heiligen Vaters“.

Rolle des Papstes

Dem Papst sei aufgetragen, Anschuldigungen gegen einen Bischof entgegenzunehmen und diese zu untersuchen, betonte er. Dafür sei nicht die Bischofskonferenz verantwortlich, so der Kardinal.

Der Kanoniker erinnerte daran, dass im Kirchenrecht seit Jahrhunderten bereits Instrumente für den Umgang mit diesen Fällen zur Verfügung stünden.

Das Problem? „Sie sind einfach, besonders in jüngster Zeit, nicht bekannt und wurden nicht befolgt“, so Burke.

„Die katholische Kirche in den Vereinigten Staaten befindet sich möglicherweise in einer der schlimmsten Krisen, die sie je erlebt hat“, sagte Burke. „Es muss anerkannt werden, und es muss in einer gründlichen Weise damit umgegangen werden, die dem moralischen Gesetz der Kirche, der Kirche selbst und dem Amt der Bischöfe treu ist.“

Burke sagte auch, daß der Untersuchungsbericht der Grand Jury in Pennsylvania sehr sorgfältig ausgewertet werden müsse.

„Es ist einfach eine Angelegenheit, die vernünftig und wahrheitsgetreu angepackt werden muss. Wenn wir feststellen, dass entsprechende Maßnahmen nicht ergriffen wurden, muss der jeweilige Bischof korrigiert werden“.

Wo sich herausstelle, dass ein Bischof „sehr schwer gescheitert“ sei, so Burke, müsse dieser „einfach entfernt werden“.

„Was wir jetzt in der Kirche sehen, zum schweren Schaden so vieler Seelen und wirklich auch zum Skandal der Welt im Allgemeinen, ist, dass die Kirche, die ein Leuchtfeuer des Lichts sein sollte, in eine solche Krise verwickelt ist“.

Kardinal Burke sprach auch über die Frage, welche Rolle die Apostasie – der Abfall vom Glauben – letztlich aus Ursache für den Missbrauch spielt, aber auch weit darüber hinaus.

„Ich denke, wir müssen einen Abfall vom Glauben konstatieren. Ich glaube, dass es einen praktischen Apostasie in Bezug auf alle Fragen der menschlichen Sexualität gegeben hat; diese beginnt vor allem mit der Vorstellung, dass es legitime sexuelle Aktivitäten außerhalb der Ehe geben kann, was natürlich falsch, völlig falsch ist“.

Seines Erachtens sei der Teufel sehr aktiv, so Kardinal Burke, „nicht nur mit Blick auf diese Krise, über die wir hier sprechen, sondern auch mit Blick auf eine Reihe anderer Situationen in der Kirche“.

Nun gehe es darum, wirklich alles zu tun, um der Wahrheit auf den Grund zu kommen und Gerechtigkeit in der Kirche wieder herzustellen – „aber gleichzeitig müssen wir alle immer inniger für die Kirche beten, und fasten, und andere Opfer zum Wohle der Kirche bringen. Wir brauchen wirklich ernsthafte Wiedergutmachungen für das Leid, das den Gläubigen, der Herde unseres Herrn, zugefügt wurde, und das ist unsere Verantwortung“, so Burke.

„Ich kann jeden nur auffordern, sich Unserem Lieben Herrgott, der uns führt und leitet, anzuvertrauen. Er wird uns nie im Stich lassen.“

Übersetzt aus dem Englischen von AC Wimmer. (CNA Deutsch)

„Scham und Trauer“: Stellungnahme des Vatikans zum Missbrauch- und Vertuschungsskandal

VATIKANSTADT – Mit einer Stellungnahme hat der Vatikan am heutigen Donnerstag auf den massiven Skandal reagiert, den der Untersuchungsbericht über tausendfachen, jahrzehntelangen Missbrauch durch etwa 300 Priester in Pennsylvania ausgelöst hat.

In Bezug auf den Bericht gebe es „zwei Wörter, die
die Gefühle angesichts dieser schrecklichen Verbrechen zum Ausdruck bringen: Scham und Trauer“, so die Mitteilung in italienischer Sprache, die auch in englischer und spanischer Arbeitsübersetzung erschien.

Weiter heißt es:

„Der Heilige Stuhl behandelt mit großer Ernsthaftigkeit die Arbeit der Untersuchungs-Grand Jury von Pennsylvania und den ausführlichen Zwischenbericht. Der Heilige Stuhl verurteilt unmissverständlich den sexuellen Missbrauch von Minderjährigen. Die im Bericht beschriebenen Missbräuche sind Straftaten und moralisch verwerflich. Das waren Vertrauensbrüche, der die Opfer ihrer Würde und ihres Glaubens beraubte“.

Die Kirche muss aus ihrer Vergangenheit „harte Lektionen“ lernen, so die Mitteilung des Vatikans weiter, und sowohl Täter wie jene, die deren Missbrauch zuließen, müssten zur Verantwortung gezogen werden.

Missbrauch aus 1960er-1980er Jahren

Mit Blick auf die Tatsache, dass der Bericht vor allem Missbrauch in den 1960er bis 1980er Jahren dokumentiere, heißt es in der Mitteilung des Vatikans weiter:

„Die meisten Diskussionen im Bericht beziehen sich auf Missbräuche vor den 2000er Jahren. Insofern man fast keine Fälle nach 2002 verzeichnet, stimmen die Schlussfolgerungen der Grand Jury mit früheren Studien überein, die zeigen, dass die Reformen der katholischen Kirche in den Vereinigten Staaten das Vorkommen von kirchlichem Kindesmissbrauch drastisch reduziert haben.“

Der Heilige Stuhl ermutige zu kontinuierlicher Reform und Wachsamkeit auf allen Ebenen der katholischen Kirche, um zu helfen, den Schutz von Minderjährigen und schutzbedürftigen Erwachsenen zu gewährleisten, so die Mitteilung weiter.

„Der Heilige Stuhl möchte auch die Notwendigkeit der Einhaltung des Zivilrechts unterstreichen, einschließlich der obligatorischen Meldung von Kindesmissbrauch“.

„Papst auf Seite der Opfer“

Die Mitteilung betont abschließend, dass der Papst „gut versteht, wie sehr diese Verbrechen den Glauben und den Geist der Gläubigen erschüttern können“.

Er wiederhole den Aufruf, alles zu tun, um ein sicheres Umfeld für Minderjährige zu schaffen, für schutzbedürftige Erwachsene in der Kirche und in der gesamten Gesellschaft.

Die Opfer sollten wissen, dass der Papst auf ihrer Seite stehe. „Diejenigen, die gelitten haben, sind seine Priorität, und die Kirche will ihnen zuhören um diesen tragischen Schrecken auszumerzen, der das Leben der Unschuldigen zerstört“. (CNA Deutsch)

Neuer Bericht: Tausende Fälle sexuellen Missbrauchs und systematischer Vertuschung in USA

Kardinal Wuerl spricht von „schrecklicher Tragödie“, ruft in erster Stellungnahme zu Reue auf.

WASHINGTON, D.C. – Es geht um Vorwürfe tausendfachen, oft schweren Missbrauchs durch hunderte Geistliche, der immer wieder systematisch vertuscht worden sein soll: Ein neuer Untersuchungsbericht, der Vorwürfe sexuellen Missbrauchs in Pennsylvania über mehrere Jahrzehnte dokumentiert, erschüttert Katholiken und Kirche.

Nach 18 Monaten Recherche hat eine Grand Jury festgehalten, wie Angehörige des Klerus in sechs Diözesen im US-Bundestaat Pennsylvania, darunter Pittsburgh, sexuelle Gewalt an Minderjährigen und Schutzbefohlenen verübt haben sollen.

Kardinal Donald Wuerl, Erzbischof von Washington, D.C., und ehemaliger Bischof von Pittsburgh, ist mehr als 200mal namentlich im Untersuchungsbericht erwähnt.

In einer ersten Erklärung unterstrich er, dass die Kirche Reue leisten müsse:

„Wie ich in meinen mehr als 30 Jahren als Bischof deutlich gemacht habe, ist der sexuelle Missbrauch von Kindern durch einige Mitglieder der katholischen Kirche eine schreckliche Tragödie, und die Kirche kann niemals genug unsere tiefe Trauer und Reue für den Missbrauch und für das Versäumnis, prompt und vollständig zu reagieren, zum Ausdruck bringen“.

Nach den Enthüllungen über Erzbischof Theodore McCarrick, der Vorgänger Wuerls in Washington war, sieht sich der Kardinal wiederholt pointierten Fragen ausgesetzt, bis hin zu der nach einem Rücktritt: Bereits vor Veröffentlichung des Untersuchungsberichts wurde er im TV-Sender CBS gezielt darauf angesprochen, ob er die Absicht habe, zurückzutreten.

FBI unterstützte Ermittlungen

Der am 14. August veröffentlichte Untersuchungsbericht beschreibt bis ins Detail, wie über sieben Jahrzehnte lang in den Bistümern Allentown, Erie, Greensburg, Harrisburg, Pittsburgh und Scranton systematisch Missbrauch verübt und vertuscht worden sein soll.

Etwa die Hälfte der rund 3 Millionen Katholiken Pennsylvanias lebt in diesen sechs Diözesen.

Der 884-seitige Bericht wurde von 23 Juroren verfasst, die eineinhalb Jahre lang recherchierten und dabei eine halbe Million Seiten an Dokumenten prüften. Das FBI unterstützte den Ermittlungsprozess der Grand Jury, die als Gremium des amerikanischen Strafprozessrechtsprüft, ob es zu einer öffentlichen Anklage-Erhebung kommt.

Der Bericht dokumentiert ein verheerendes Bild der Bemühungen kirchlicher Behörden, Anschuldigungen zu ignorieren, zu verschleiern oder zu vertuschen – entweder um beschuldigte Priester zu schützen oder Skandale zu vermeiden.

Der Bericht geht sogar so weit, eine Reihe von Vorgehensweisen zu identifizieren, anhand derer Verantwortliche in katholischen Diözesen immer wieder verheimlicht und vertuscht haben sollen, dass Täter sich an – meist männlichen – Minderjährigen vergingen.

Die Bandbreite der Vorwürfe reicht von „unangemessenem Verhalten“ bis hin zu Fällen brutaler Vergewaltigung und anderer Formen sexuellen Missbrauchs. Dem Bericht zufolge konnten einige der Priester ihre Opfer mit Alkohol und Pornografie manipulieren.

Eine strafrechtliche Verfolgung ist in den meisten Fällen aufgrund abgelaufener Verjährungsfristen nicht mehr möglich, auch wenn in zwei Fällen Anklage erhoben wurde. Bisher wurde nur ein Priester verurteilt: Er hatte Anfang der 90er Jahre einen Schüler sexuell genötigt.

Der Bericht der Grand Jury enthält die Namen von 301 Personen; einige wurden aufgrund bereits laufender Prozesse nicht veröffentlicht. Einzelheiten dieser mutmaßlichen Verbrechen wurden ebenfalls ausgespart.

Die Anzahl der Opfer wird auf Tausende geschätzt, aber ist nicht präzise feststellbar, so der Bericht. Die Mehrzahl der Opfer in den untersuchten Fällen war männlich; ihr Alter reichte von vorpubertären Kindern bis hin zu jungen Erwachsenen.

Die Grand Jury dokumentiert in ihrem Bericht sämtliche Vorwürfe des Missbrauchs in den vergangenen 70 Jahren – von 1947 bis 2017 – innerhalb der untersuchten Diözesen.

Dabei zeigt sich, dass die meisten Fälle aus den 1960er, 1970er und 1980er Jahren stammen.

Ed Condon und Christine Rousselle trug zur Berichterstattung bei. (CNA Deutsch)