Wir sprachen mit Prof. Eberhard Schockenhoff, Moraltheologe in Freiburg.
Wissenschaftler um den amerikanischen Biochemiker und Genomforscher Craig Venter haben ein vollständig künstliches Genom in eine biologische Mutterzelle eingepflanzt und damit erstmals ein lebensfähiges künstliches Bakterium erschaffen – soweit die vermeintliche Sensationsmeldung aus den USA. Was ist da, vielleicht etwas vereinfachter ausgedrückt, genau passiert?
„Zunächst ist es tatsächlich eine kleine Sensation, dass es gelungen ist, ein Genom, also die Formation eines Lebewesens, künstlich herzustellen. Wobei man sofort fragen muss: Was bedeutet „künstlich"? Das heißt nicht, dass etwas gleichsam aus Nichts hergestellt wurde, so wie es die Kirche vom göttlichen Schöpfungsakt sagt. Craig Venter ist also nicht Gott und er spielt auch nicht Gott. Sondern, er imitiert natürliche Vorbilder, um neue genetische Muster zu reproduzieren. Dass das technisch möglich ist, verlangt große Brillanz, das muss man anerkennen. Aber die Frage ist, ob das wirklich künstliches Leben ist! Leben kann man ja nicht reduzieren auf seine genetische Information. Aber es ist doch ein erheblicher Schritt, der gelungen ist, den es so bislang nicht gegeben hat."
Also ist der Forschungserfolg Ihrer Meinung nach moraltheologisch unbedenklich?
„Wenn man das in ethischer Hinsicht betrachtet, muss man, wie bei jedem Verfahren, drei Kriterien anlegen. Lassen sich die Ziele rechtfertigen? Welche Mittel werden angewandt? Und kann man die Folgen verantworten? Das Ziel, Medikamente oder Biosprit herzustellen, ist in diesem Fall ohne Zweifel eine wichtige Aufgabe. Auf dieser Ebene gibt es also ethisch keine Bedenken. Auch das Mittel, die Natur zu imitieren, um etwas Neues zu kombinieren, ist grundsätzlich nicht verwerflich. Zwar ist das eine neue Qualität der Künstlichkeit, Grenzen sehe ich da aber nicht übertreten. Die Folgen müssen freilich wissenschaftsethisch verantwortbar bleiben. Aber im Augenblick ist hier nichts Gegenteiliges abzusehen. Deshalb ist aus ethischer Sicht kein grundsätzliches Bedenken anzumelden…"
Kein „grundsätzliches Bedenken" also, die Ethik behält den Sachverhalt aber doch im Auge?
„Natürlich muss man vermerken, dass der Naturbezug des Menschen dabei schon in einem höheren Maße verdinglicht und versachlicht wird. Aber da ist es schwer, eine kategorische Grenze anzugeben: Der Mensch greift in die Natur ein, das macht er seit der Erfindung des Faustkeils, er bedient sich der Natur, um seine Daseinsmöglichkeiten zu verbessern, zum Beispiel, um Krankheiten zu bekämpfen. Hier gibt es keine kategorische Grenze, wie dort, wo etwa die Menschenwürde verletzt ist. Deshalb kann man immer nur im Nachhinein sagen, ob eine Grenze überschritten ist. Im Augenblick scheint mir das aber nicht der Fall zu sein, man muss wohl eher sagen: Respekt vor dieser wissenschaftlichen Leistung. Wenn es in Zukunft möglich sein wird, davon zu profitieren, etwa in der Gewinnung alternativer Energiequellen, dann ist das eine für die Menschheit wirklich gute Errungenschaft gewesen." (rv)