Benedikt XVI. sieht bei vielen Christen heute eine Selbstgenügsamkeit: die Illusion, ohne Gott auszukommen. „Sind wir – das Volk Gottes – nicht weithin zu einem Volk des Unglaubens und der Ferne von Gott geworden?" Das fragte er in seiner Predigt bei der Chrisammesse im Petersdom. Umgeben von Tausenden von Priestern, beklagte der Papst, „dass der Westen, die Kernlande der Christenheit ihres Glaubens müde sind". Doch gebe es auch heute leuchtende Beispiele des Glaubens, etwa Johannes Paul II., der in zehn Tagen selig gesprochen wird.
Weiß, die Farbe der Messgewänder, dominierte im Petersdom an diesem Gründonnerstag-Morgen: Mehrere tausend Priester nahmen mit Benedikt XVI. und den Mitarbeitern der Kurie an der Chrisam-Messe teil. Die Messe heißt so, weil in ihrem Verlauf die Salböle geweiht werden, die dann im übrigen Kirchenjahr bei verschiedenen Weihehandlungen benutzt werden – bei Taufe und Firmung beispielsweise. Der Gründonnerstag ist der Geburtstag der Eucharistie und darum für Priester ein besonderer Tag: Im Pontifikat von Johannes Paul II. gab es deswegen an jedem Gründonnerstag einen Brief des Papstes an die Priester, ein Brauch, den Benedikt XVI. allerdings nicht fortgeführt hat. In St. Peter wiederholten die Geistlichen an diesem Morgen das Versprechen, das sie bei ihrer Priesterweihe abgelegt hatten. Was den Papst betrifft: Der kann dieses Jahr sein 60. Weihejubiläum feiern.
„Bitten wir den Herrn, dass wir nicht nur Christen heißen, sondern es sind": Dieser Satz gab in der Predigt des Papstes den Ton vor. „Gott sucht nach mir – will ich ihn erkennen? Von ihm gekannt, von ihm gefunden werden?", fragte Benedikt XVI. Und weiter: „Die Unruhe nach Gott, das Unterwegssein nach ihm, um ihn besser zu kennen, um ihn besser zu lieben, darf in uns nicht erlöschen!" Der Papst erinnerte an das berühmte Diktum des heiligen Augustinus: „Unruhig ist unser Herz, bis es ruht in dir". Und er fragte:
„Ja, der Mensch ist unruhig, weil alles Endliche zu wenig ist. Aber sind wir wirklich unruhig auf ihn hin? Haben wir uns nicht mit seiner Abwesenheit abgefunden und suchen uns selbst zu genügen? Lassen wir solche Verkleinerungen unseres Menschseins nicht zu!"
Der Mensch sei von seinem Wesen her „ein Wesen in Beziehung", sinnierte der Papst weiter: Wenn aber die „Grundbeziehung, die Beziehung zu Gott" gestört sei, dann sei „auch alles andere mit gestört". „Wenn unser Verhältnis zu Gott gestört ist, wenn die grundlegende Richtung unseres Seins verfehlt ist, dann können wir auch nicht wirklich an Leib und Seele gesund werden!"
„Von Anfang an ist in der Kirche die Berufung des Heilens gereift, die sorgende Liebe um Menschen, die an Leib und Seele bedrängt sind. Dies ist auch der Anlass, einmal den Schwestern und Brüdern zu danken, die über die weite Welt hin heilende Liebe zu den Menschen bringen, ohne nach Stand oder Konfession zu fragen. Von Elisabeth von Thüringen, Vinzenz von Paul, Louise de Marillac, Camillus von Lellis bis zu Mutter Teresa – um nur einige Namen zu nennen – geht eine Lichtspur von Menschen durch die Welt, die von Jesu Liebe zu den Leidenden und Kranken herkommt. Dafür danken wir in dieser Stunde dem Herrn."
Die Christen seien, so fuhr Benedikt XVI. fort, ein „priesterliches Volk für die Welt". Sie sollten „für die Welt den lebendigen Gott sichtbar machen, ihn bezeugen, zu ihm hinführen". Aber wenn sie von diesem gemeinsamen Auftrag sprächen, den sie als Getaufte haben, „dann ist es kein Grund, uns zu rühmen", so der Papst. Dieser Auftrag sei nämlich nicht nur eine freudige, sondern auch eine „beunruhigende Frage an uns":
„Sind wir wirklich Gottes Heiligtum in der Welt und für die Welt? Öffnen wir den Menschen den Zugang zu Gott oder verbergen wir ihn eher? Sind wir – das Volk Gottes – nicht weithin zu einem Volk des Unglaubens und der Ferne von Gott geworden? Ist es nicht so, dass der Westen, die Kernlande der Christenheit ihres Glaubens müde sind und, ihrer eigenen Geschichte und Kultur überdrüssig, den Glauben an Jesus Christus nicht mehr kennen wollen? Wir haben Grund, in dieser Stunde zu Gott zu rufen: Lass uns nicht zu einem Nichtvolk werden! Lass uns dich neu erkennen!"
Bei „aller Scham ob unseres Versagens" dürfe man aber auch nicht vergessen, „dass es auch heute leuchtende Beispiele des Glaubens gibt", so der Papst wörtlich. Auch heute gebe es Menschen, die „durch ihr Glauben und ihre Liebe der Welt Hoffnung schenken".
„Wenn am kommenden 1. Mai Papst Johannes Paul II. seliggesprochen wird, denken wir voller Dankbarkeit an ihn als einen der großen Zeugen Gottes und Jesu Christi in unserer Zeit, als einen vom Heiligen Geist erfüllten Menschen. Mit ihm denken wir an die große Zahl derer, die er selig- und heiliggesprochen hat und die uns die Gewissheit schenken, dass Gottes Verheißung und sein Auftrag auch heute nicht ins Leere fallen."
Am späten Nachmittag beginnt das so genannte Österliche Triduum: die Feier der drei Tage von Leid und Auferstehung Jesu, Höhepunkt des Kirchenjahres. Benedikt XVI. feiert in seiner Bischofskirche, der römischen Basilika San Giovanni in Laterano, den so genannten Abendmahlsgottesdienst: „in coena domini", am Tisch des Herrn. Die Feier erinnert an das Letzte Abendmahl Jesu vor seiner Passion, an die Einsetzung der Eucharistie sowie an die Einsetzung des Priesteramts. Dabei wäscht der Papst zwölf Priestern die Füße. Wir werden diese und die kommenden Feiern in Rom live mit deutschem Kommentar übertragen – auch über Partnersender. Im Internet können Sie unsere Übertragung in sehr guter technischer Qualität auf unserer Homepage mitverfolgen. (rv)