Analyse: Bestimmt die LGBT-Debatte die Jugendsynode?

VATIKAN – Die fünfzehnte ordentliche Generalversammlung der Bischofssynode in Rom geht dem Ende zu. Es wird erwartet, dass der vorgeschlagene Text des Schlussdokuments in Kürze vorliegt.

Die Synode hat sich eigentlich „Jugend, Glaube und Berufungsentscheidung“ zum Thema gemacht.

Im Lauf der Synode wurde immer wieder darüber diskutiert, ob das Abschlussdokument eine „neue Sprache“ für den Umgang von Menschen enthalten wird, die sich zum gleichen Geschlecht hingezogen fühlen, wie es das Arbeitsdokument der Synode, auch bekannt als Instrumentum Laboris, tut.

Wenn eine „neue Sprache“ im Abschlussdokument enthalten ist, wird sie nach der Veröffentlichung des Dokuments wahrscheinlich zum Mittelpunkt der Aufmerksamkeit der katholischen wie weltlichen Medien werden.

Unabhängig von der Fülle oder Tiefe des endgültigen Synodentextes kann für viele die gesamte Versammlung in vier Buchstaben zusammengefasst werden – oder auch nicht: LGBT.

Eine Umfrage zur Berichterstattung zeigt, dass die Frage der LGBT-Begrifflichkeiten bereits die Aufmerksamkeit der Medien und die öffentlichen Überlegungen vieler Teilnehmer dominiert hat. Und es laufen eindeutig Lobbykampagnen, um diese Sprache einzubeziehen.

Eine Frage des Respekts?

Die Verwendung des Begriffs „LGBT“ im Arbeitsdokument der Synode hat in diesem Frühjahr einen Sturm ausgelöst. Kardinal Lorenzo Baldisseri, Generalsekretär der Synode, sagte zunächst, dass die Sprache aus einem prä-synodalen Dokument stamme, das von jungen Menschen während eines Vorbereitungstreffens in Rom am 19. und 24. März erstellt wurde.

Tatsächlich tauchte das Akronym im Vor-Synodendokument jedoch nicht auf.

Obwohl die Einbeziehung der „LGBT“-Terminologie viel Aufmerksamkeit erregt hat: Nur eine kleine Minderheit der Synodenteilnehmern hat dies öffentlich unterstützt.

Während einer Pressekonferenz letzte Woche schien Kardinal John Ribat aus Papua-Neuguinea diese Unterstützung zusammenzufassen. Er sagte, dass die Kirche zu den Jugendlichen „in der Sprache, die sie benutzt“ sprechen sollte.

Die Jugendlichen wollen, dass die Kirche „uns so nennt und anspricht, weil wir das sind, was wir sind“, sagte der Kardinal wörtlich.

Ribat wiederholte Argumente von Klerikern und anderen, denen zufolge die Achtung vor Katholiken, die gleichgeschlechtliche Neigungen haben, es erfordere, sie so als solche zu bezeichnen, wenn sie sich selbst auch so nennen.

Diese Argumente gehen über die Verwendung eines bestimmten Akronyms hinaus. Sie gelten auch für die Synodendiskussionen darüber, ob Begriffe wie „Familie“ und „Ehe“ auf eine Weise verwendet werden können und sollten, wie sie die zeitgenössische westliche Kultur neu definiert.

Einige Katholiken, und viele außerhalb der Kirche, fragen sich, was die ganze Aufregung darüber denn eigentlich soll.

Aber für viele Bischöfe bringt eine oft als „respektvolle“ oder „inklusive“ Sprache bezeichnete Begrifflichkeit eine ganze Reihe von Problemen mit sich – egal ob diese gewollt sind oder nicht.

Das erste Problem ist die Gleichsetzung aller jungen Menschen mit denen, die sich mit der „LGBT“-Bewegung identifizieren, wie Kardinal Ribat zeigt. Es gibt sehr viele junge Katholiken, darunter viele, die gleichgeschlechtliche Neigungen haben, die sich der politischen und kulturellen Kampagne für „sexuelle Identität“ widersetzen.

Abgesehen von einigen Ausreißern, die vom Sekretariat der Synode besonders hervorgehoben wurden, ist es in der Tat schwer zu erkennen, dass die Einführung einer „neuen Sprache“ wirklich breite Unterstützung findet.

Zudem sagen Kritiker, dass die Verwendung der LGBT-Sprache mit dem Versuch einhergeht, die Identity Politics des Westens in das Denken und die Sprache der Kirche zu importieren.

Die Befürworter der Aufnahme des Akronyms LGBT in das offizielle Vokabular der Kirche behaupten dagegen, dass dies keine Änderung in der Lehre der Kirche darstelle, sondern lediglich eine Haltung des Dialogs und der Achtung sei.

Was macht uns aus?

Die Synodenbischöfe scheinen alle daran interessiert zu sein, die Frage zu thematisieren, wie die Sexuallehre der Kirche jungen Menschen vermittelt werden kann, die in einer Kultur aufgewachsen sind, die durch Identity Politics definiert ist, welche Themen wie die gleichgeschlechtliche Ehe als Fragen der „Menschenrechte“ einordnet.

Aber der Konsens bricht um Vorschläge, die die zeitgenössische Sprache der Sexualität als Sprache der Identität zu übernehmen scheinen.

Erzbischof Charles Chaput von Philadelphia nutzte eine seiner Interventionen während der Synode, um deutlich zu machen, was er als Trugschluss hinter dem Label „LGBT“ sieht.

„Es gibt keine ‚LGBTQ-Katholiken‘ oder ‚Transgender-Katholiken‘ oder ‚heterosexuelle Katholiken'“ – so Chaput gegenüber den Synodenvätern – „als ob unser sexueller Appetit definiert, wer wir sind; als ob diese Bezeichnungen eigene Gemeinschaften unterschiedlicher, aber gleicher Integrität innerhalb der realen kirchlichen Gemeinschaft, des Leibes Jesu Christi, beschreiben würden“.

Wie viele westliche Länder in den letzten Jahren am eigenen Leib lernen mussten, führt die Zersplitterung einer gemeinsamen Identität in kleinere zu einem direkten Verlust der Einheit für das Ganze. Im Kontext der Kirche argumentieren einige Bischöfe, dass die Sprache der „sexuellen Identität“ keine Frage der Ein- oder Ausgrenzung ist, sondern eine Frage der Ekklesiologie und der Menschenwürde.

Einige der leidenschaftlichsten Vertreter der LGBT-Sprache in der Kirche sind der Meinung, dass die Übernahme dieses Vokabulars ein wesentlicher Bestandteil der Wahrung der „Würde“ gleichgeschlechtlich orientierter Katholiken sei. Pater James Martin, ein Jesuitenpater und prominenter Verteter dieser Meinung, hat gesagt: „Die Menschen haben das Recht, sich so zu nennen, wie sie wollen, und [LGBT] ist die Bezeichnung, die sie gewählt haben.“

Andere, wie Kardinal Wilfrid Napier von Durban, Afrikas prominentester Kardinal und eine der unverblümtesten Stimmen der Synode, betreiten diese These. Napier hat darauf hingewiesen, dass diese Art von Sprache etwas zu einem bestimmenden Merkmal einer Person macht, was die Kirche als ungeordnete Neigung definiert.

„Warum definieren Menschen sich und andere über ihre sexuelle Neigung oder Präferenz oder Praxis? Besonders, wenn es der Natur, dem Gesetz, der Tradition und der Lehre der Kirche zuwiderläuft?“ fragte Napier öffentlich auf Twitter.

Napier und andere argumentieren dagegen, dass die Kirche den Menschen nicht so anerkennt, wie er sich selbst definiert, sondern als ein Geschöpf nach dem Vorbild Gottes. Die Taufe definiert den Christen als ein Kind Gottes und ein Glied des Leibes Christi in der Kirche, sagen sie weiter.

Diese Bischöfe argumentieren, dass die Sprache der „Selbstidentifikation“, obwohl sie für das liberale Denken nach der Aufklärung von zentraler Bedeutung ist, schlecht mit der katholischen Theologie vereinbar ist. Wer mit „Selbstidentifikation“ arbeitet, wie es auch bei Identity Politics der Fall ist, der besteht der , dass der Mensch durch seine Wünsche und nicht durch die Tatsache definiert wird, dass er ein Geschöpf nach dem Vorbild seines Schöpfers ist.

Die LGBT-Terminologie, so sagen sie, befördert die Idee einer „Würde der Differenz“, die in einem bestimmten sexuellen Begehren verwurzelt ist, und nicht einer gemeinsamen Würde, die sich aus der allen gemeinsamen Einheit ergibt, dass der Mensch ein Ebenbild Gottes ist.

Ein Sturm im Wassserglas?

Auch wenn die Debatte über vier Buchstaben wie ein Sturm im Wassglas wirken mag: Viele Bischöfe sagen, dass diese vier Buchstaben eine Weltanschauung ausdrücken, in welcher der Mensch sich zwar in Bezug auf sich selbst und andere definiert, aber nicht auf Gott.

Es geht um das christliche Menschenbild.

„It’s the antropology stupid!“ – „Es ist die Anthropologie, Dummkopf!“. So brachte es ein Synodenbeobachter gegenüber CNA kurz und bündig auf den Punkt.

(Eine Anspielung auf „It’s the economy stupid“ – der Spruch, mit dem Wahlstratege James Carvill 1992 die Wahl Bill Clintons zum US-Präsidenten gewann.)

Die Frage nach dem richtigen Menschenbild ist nicht der einzige Grund, warum Bischöfe die LGBT-Debatte kritisieren: Es geht auch um das Risiko einer Engführung der gesamten Synode.

Mehrere Bischöfe haben betont, dass die Jugendsynode nicht auf eine Debatte über eine bestimmte Begrifflichkeit reduziert werden darf.

Angesichts des Synodenverlaufs, und mit Blick auf ihren Abschlusstext, herrscht bei vielen Synodenvätern das Gefühl, dass die Frage der LGBT-Terminologie nur von einer kleinen Minderheit der Teilnehmer befeuert wird – und von einer viel größeren Kraft außerhalb des Synodensaals.

Der südafrikanische Kardinal Napier brachte es auf den Punkt.

Als der Jesuitenpater James Martin behauptete, die Verwendung der LGBT-Terminologie sei eine zentrale der Synode, antwortete Napier, er wisse nicht von welcher Synode Pater Martin rede.

Seines Wissens sei die Frage bei der Synode nur zwei- oder dreimal angesprochen worden – und „einmal war es eine vehemente Ablehnung der Verwendung des Begriffs in kirchlichen Schreiben“, so Napier wörtlich.

Dennoch sagen einige Bischöfe, dass „LGBT“-Begriffe im Abschlussdokument der Jugendsynode auftauchen werden, auch wenn es dafür keine klare Unterstützung geben wird, weder von den Synodenvätern noch von jungen Katholiken.

Ein junger Synodenbeobachter sagte gegenüber CNA, dass der eigentliche „Dialog“ zu diesem Thema einseitig sei, und verglich die kleine Gruppe, die sich für die Aufnahme der LGBT-Sprache einsetzt, mit einem „Trommelkreis in einem öffentlichen Park“.

„Da wird eine Menge Lärm gemacht, von einer kleinen Anzahl von Leuten. Sie reden viel darüber, dich einzuladen, es gibt eine Menge unaufhörlicher Wiederholungen, und letztlich scheinen sie nicht daran interessiert zu sein, etwas anderes zu hören als den eigenen Lärm.“

Dennoch sagte Kardinal Luis Tagle auf einer Pressekonferenz am 23. Oktober, er ahne, dass LGBT-Begriffe im Abschlussdokument verwendet werden.

„Es ist keine Synode, die vorgibt, alle Lösungen und alle Antworten zu haben, klare Lösungen und klare Antworten zu geben“, fügte Tagle wörtlich hinzu. „Das Leben ist nicht klar, und das Leben der jungen Leute ist jetzt wirklich nicht klar.“

Im Gegensatz dazu scheinen andere Bischöfe anzudeuten, das Dokument werde eine ehere traditionelle Anthropologie vertreten.

Erzbischof Peter Comensoli aus Melbourne, Mitglied des Redaktionskomitees für das Abschlussdokument, sagte vergangene Woche: Bei der Vermittlung der kirchlichen Lehre über Sexualität gehe es darum, dass jeder Mensch ein Sünder ist und jeder von Gott gefunden werden muss, um seine Liebe zu empfangen.

„Wir sind auch jene Sünder, die dazu berufen sind, in unserem eigenen Leben am Fuße des Kreuzes zu stehen. Im Sinne der Aufnahme, des Empfangens und des Eintretens in die Freundschaft Christi bringen wir also auch unser Leben, auch mein Leben, zum Fuß des Kreuzes. Und das ist jeder einzelne Mensch“, sagte er.

Eine Diskussionsgruppe unter der Leitung von Kardinal Oswald Gracias stellte fest, dass eine „Verkündigung der Keuschheit als erreichbar und gut für unsere Jugendlichen“ auffallend abwesend im Instrumentum Laboris war – mit anderen Worten: Die Keuschheit sollte eigentlich Schwerpunkt jeder Diskussion über Sexualität sein.

Eine weitere Gruppe, unter der Leitung von Kardinal Daniel DiNardo, verwies auf die „ideologische Kolonisierung“ durch westliche Länder, die wirtschaftliche und medizinische Hilfe und Entwicklungsarbiet mit der Erwartung verknüpfen, dass „westliche moralischer Werte in Bezug auf Sexualität und Ehe“ ebenfalls importiert werden. Kardinal Souraphiel von Äthiopien hat diese Warnung kürzlich ebenfalls wiederholt.

Einige Bischöfe scheinen die ganze Angelegenheit als wenig hilfreiche Ablenkung zu betrachten. Wie Chaput in seiner Intervention festgestellt hat, geht es darum „Jesus Christus zu predigen, ohne Zögern und ohne Ausreden für jede Generation, besonders für die Jugend“.

Nun, da sich die Synode ihrem Ende nähert, bleibt abzuwarten, ob sich der Druck auf die LGBT-Sprache im Schlussdokument bemerkbar machen wird. Aber trotz der Medienaufmerksamkeit scheint klar zu sein: Eine Mehrheit der Synodenbischöfe – vielleicht sogar eine „moralische Einheit“ – will eigentlich weniger Gerede über LGBT und mehr über INRI.

(CNA Deutsch)

Übersetzung: Synodentext zu Wiederverheirateten

Bischofssynode 2015Hier lesen Sie zur Vertiefung einen Auszug aus dem Schlussdokument der Bischofssynode, das am Samstagabend veröffentlicht wurde, in einer nichtoffiziellen Arbeitsübersetzung.

Unterscheidung und Integration

84. Die Getauften, die geschieden sind und standesamtlich wiedergeheiratet haben, müssen mehr in die christlichen Gemeinden integriert werden – in der je möglichen Art und Weise, unter Vermeidung jeden Anlasses zum Skandal. Die Logik der Integration ist der Schlüssel ihrer seelsorglichen Begleitung, damit sie nicht nur wissen, dass sie zum Leib Christi – d.h. der Kirche – gehören, sondern das auch auf freudige und fruchtbare Weise erleben. Sie sind Getaufte, sind Brüder und Schwestern, der Heilige Geist schüttet über sie zum Wohle aller Gaben und Charismen aus. Ihre Teilnahme kann sich in verschiedenen kirchlichen Diensten ausdrücken; es gilt daher zu unterscheiden, welche der verschiedenen Formen des Ausschlusses, die derzeit in liturgischem, pastoralem, schulischem und institutionellem Bereich bestehen, überwunden werden können. Sie sollen sich nicht nur nicht exkommuniziert fühlen, sondern können als lebendige Glieder der Kirche leben und reifen und die Kirche dabei als eine Mutter wahrnehmen, die sie immer aufnimmt, sich voller Zuneigung um sie kümmert und sie ermuntert auf dem Weg des Lebens und des Evangeliums. Diese Integration ist auch für die Sorge und die christliche Erziehung ihrer Kinder nötig, sie müssen an erster Stelle stehen. Für die christliche Gemeinschaft bedeutet das Sich-Kümmern um diese Menschen keine Schwächung des eigenen Glaubens und des Zeugnisses für die Unauflöslichkeit der Ehe – im Gegenteil, die Kirche drückt gerade dadurch ihre Nächstenliebe aus.

85. Der heilige Johannes Paul II. hat einen umfassenden Kriterienkatalog zusammengestellt, der die Grundlage für die Einschätzung solcher Situationen bleibt: „Die Hirten mögen beherzigen, dass sie um der Liebe willen zur Wahrheit verpflichtet sind, die verschiedenen Situationen gut zu unterscheiden. Es ist ein Unterschied, ob jemand trotz aufrichtigen Bemühens, die frühere Ehe zu retten, völlig zu Unrecht verlassen wurde oder ob jemand eine kirchlich gültige Ehe durch eigene schwere Schuld zerstört hat. Wieder andere sind eine neue Verbindung eingegangen im Hinblick auf die Erziehung der Kinder und haben manchmal die subjektive Gewissensüberzeugung, dass die frühere, unheilbar zerstörte Ehe niemals gültig war“ (Familiaris Consortio, Nr. 84).

So ist es Aufgabe der Priester, die betroffenen Menschen auf dem Weg der Unterscheidung zu begleiten, gemäß der Lehre der Kirche und den Vorgaben des Bischofs. In diesem Prozess wird es hilfreich sein, eine Gewissenserforschung mittels Momenten der Reflexion und der Buße vorzunehmen. Die wiederverheirateten Geschiedenen sollten sich fragen, wie sie mit ihren Kindern umgegangen sind, als die eheliche Gemeinschaft in die Krise geriet; ob es Versuche der Versöhnung gab; wie die Situation des verlassenen Partners ist; wie sich die neue Partnerschaft auf die weitere Familie und die Gemeinschaft der Gläubigen auswirkt; welches Beispiel den Jüngeren gegeben wird, die sich auf die Ehe vorbereiten sollen. Eine ehrliche Besinnung kann das Vertrauen in die Barmherzigkeit Gottes stärken, die niemandem verweigert wird.

Überdies kann man nicht in Abrede stellen, dass unter einigen Umständen aufgrund verschiedener Einflüsse„die Schuldfähigkeit und die Verantwortung für eine Handlung gemindert oder aufgehoben sein können“. Infolgedessen kann das Urteil über eine objektive Situation nicht zu einem Urteil über die „subjektive Schuldfähigkeit“ führen (Päpstlicher Rat für die Interpretation der Gesetzestexte, Erklärung vom 24. Juni 2000, 2a). In bestimmten Umständen stoßen die Menschen auf große Schwierigkeiten, sich anders zu verhalten. Deshalb ist es – auch wenn man die allgemeine Norm aufrecht erhält – nötig zu erkennen, dass die Verantwortung bezüglich bestimmter Handlungen oder Entscheidungen nicht in allen Fällen dieselbe ist. Die pastorale Unterscheidung muss sich auch unter Einbeziehung des recht gebildeten Gewissens der Menschen dieser Situationen annehmen. Auch die Folgen der begangenen Akte sind nicht notwendigerweise in allen Fällen dieselben.

86. Der Weg des Begleitens und der Unterscheidung führt diese Gläubigen zur Gewissensentscheidung über ihre Lage vor Gott. Das Gespräch mit dem Priester, im Forum Internum, trägt zur Herausbildung eines gerechten Urteils bei über das, was die Möglichkeit einer volleren Teilnahme am Leben der Kirche ermöglicht, und über die Schritte, die dazu beitragen und sie reifen lassen können. Da es im Gesetz selbst keine Gradualität gibt (s. FC, Nr. 34), kann diese Unterscheidung niemals von den Erfordernissen der Wahrheit und der Nächstenliebe des Evangeliums absehen, wie die Kirche sie vorgibt. Damit dies geschehe, sollen die nötigen Bedingungen der Demut, Vertraulichkeit, Liebe zur Kirche und ihrer Lehre garantiert werden, in der aufrichtigen Suche nach dem Willen Gottes und im Wunsch, zu einer vollkommeneren Antwort auf dieselbe zu gelangen. (rv)

Das Schlussdokument der Synode – Unterscheidung der Geister

Bischofssynode 2015Noch einmal sind 248 Änderungsvorschläge eingearbeitet worden, am Samstag war er fertig, der Abschlusstext der Bischofssynode. Er wurde in der Versammlung per Abstimmung angenommen. Alle Abschnitte bekamen eine Zweidrittelmehrheit. Danach: die Übergabe an den Papst, der mit diesem Text den letzten Schritt des synodalen Prozesses zum Thema Familie gehen wird. Eine Zusammenfassung von P. Bernd Hagenkord:

Der Sakramentenzugang für wiederverheiratete Geschiedene kommt direkt nicht vor. Auch die mit dem Namen von Kardinal Walter Kasper verbundene Idee einer „via poenitentialis“ zurück zu den Sakramenten, die im Vorfeld so heftig debattiert wurde, taucht im Abschlussdokument nicht auf. Überhaupt sind die 94 Paragrafen des Abschlusstextes der Bischofssynode nicht das, was sich die meisten erwartet haben. An diesem Samstag wurde der Text den Synodenteilnehmern vorgelesen – und für alle Nichtitaliener auch simultan übersetzt. Danach stimmten die Synodenväter über ihn ab. Knapp 50 Seiten sind es geworden, 94 Paragrafen, drei große Teile mit je vier Kapiteln.

Aber neben den außerhalb der Synode am meisten diskutierten Themen sind auch andere Dinge nicht im Text. So spricht das Dokument nicht von einem „objektiven Stand der Sünde“, wenn es um wiederverheiratete Geschiedene geht, und vermeidet eine rigoristische Sprache oder die Perspektive des Richters.

Der erste Satz des ersten Kapitels nimmt seinen Anfang bei der Schöpfung Gottes und spricht über das Staunen über diese Schöpfung. Die Synode verankert ihr Denken in einer theologischen Vision, beginnend mit dem Handeln Gottes.

Die Redaktion hat die drei Schritte beibehalten, die bereits in der vergangenen Bischofssynode im Oktober 2014 das Arbeiten strukturiert haben: Sehen, Urteilen, Handeln. Daraus waren im Arbeitsdokument drei Textteile und in der Synode drei Arbeitsteile geworden. Das findet sich nun auch im Abschlusstext wieder.

Diese drei großen Teile haben jeweils ein eigenes Vorwort bekommen, wie auch der Text insgesamt. Diese Texte geben dem ganzen Duktus eine mehr positive Richtung: Die Kirche sieht nicht nur Probleme überall, sondern hat etwas positiv beizutragen, sie bekennt ihren Glauben. Insgesamt ist das Dokument neu geordnet und systematisiert, viel besser als vorher, wie viele Synodenteilnehmer bemerkten. Es gibt klarere Zuordnungen und eine erkennbare innere Logik.

Ein Thema sticht heraus, und hier hatte es auch im Vorfeld den meisten Redebedarf gegeben: die Frage des Gewissens (vor allem in den Punkten 84 ff. entwickelt). Das Gespräch mit dem Beichtvater, die Einbeziehung der Umstände und inneren Verfassung. Klargestellt wird die Tatsache, dass aus allgemeinen Regeln nicht einfach konkrete Handlungsanweisungen folgen können, und dazu der Wunsch, zu einer volleren Teilhabe am Leben der Kirche zu kommen.

Die Pastoral und auch die Entscheidungen müssen der Wirklichkeit entsprechen, um die sie sich kümmern. Zuerst taucht dieser Gedanke bei den Flüchtlingen auf, dann aber immer wieder, unter anderem im Kapitel zur kirchlichen Lehre zur Unauflöslichkeit (51). Was zuerst selbstverständlich klingt, war in seiner Formulierung nicht unumstritten. Der Katechismus (zitiert wird § 1735) sieht vor, dass moralische Normen kein Deduzieren von korrekten Antworten in allen Fällen erlaubten. Die Frage bleibt, wie dann die Normen gelten. Oder noch genereller: Wie gelten dann die Gebote? Nur in Anwendung oder auch als solche, so dass sich die Wirklichkeit dem beugen müsste? Es sind abstrakte Fragen, die im Hintergrund dieser harmlos daher kommenden Überlegungen erscheinen. Und in diesem Licht wird man den Text lesen müssen, in diesem Licht wird Papst Franziskus ihn auch entgegengenommen haben, weiter bearbeiten und eventuell zu einem eigenen Schreiben umformulieren.

Die Teile im Einzelnen

Teil 1: Blick auf die Wirklichkeit der Familien – ohne Idealisierungen

Teil 1 beginnt mit dem realistischen Blick auf Familien heute. „Paare und das Eheleben sind keine abstrakten Wirklichkeiten, sie bleiben unvollkommen und verletzlich“ – deutlich setzt sich der Text gleich zu Beginn von Idealisierungen ab. Sozio-kulturelle Bedingungen werden erwogen, Stützen wie auch Herausforderungen und Gefährdungen. Es geht um Flucht und Vertreibung. Es geht um Einstellungen zum Menschsein, individuelle und politische, zur Frage des Individualismus. Es geht um Politik und die Frage, ob Ideologien dem gesellschaftlichen Leben übergestülpt werden sollen. Insgesamt sei die Vorstellung von Familie kulturübergreifend prägend und werde als selbstverständlich verstanden. Trotzdem gebe es Konflikte und Spannungen, über die man sprechen müsse.

Ein Kapitel befasst sich mit den wirtschaftlichen Fragen und mit Armut und Ausschluss, mit Umweltfragen, mit der „Kultur des Wegwerfens“, mit modernen Phänomenen wie der Mobilität und mit Sozialpolitik. Stark ist der Paragraf zu Migranten, Flüchtlingen und Verfolgten (23 f.).

Die Katechesen des Papstes in diesem Jahr aufgreifend, spricht das Papier über die einzelnen Teile und Rollen in der Familie, über die Kinder, die Frau, den Mann, die Jugend. Gewalt gegen Frauen kommt dort vor, sexualisierte Gewalt gegen Kinder, aber auch die gegenseitige Unterstützung. Auch die Großeltern, ältere Menschen und Menschen mit Behinderung werden angesprochen und gewürdigt. Zum Schluss wird auf die pastoralen Herausforderungen eingegangen, hier ist auch das erste Mal von der „Dynamik der Barmherzigkeit“ die Rede (34).

Dieser erste Teil gibt einen allgemeinen Überblick über die Wirklichkeit von Familie in der Welt, wie sie in den vergangenen drei Wochen in der Synodenaula zusammengetragen wurde. Deutlich wird in den Formulierungen, dass man sich nicht auf die negativen Aspekte beschränken wollte, so schwierig sie in den einzelnen Weltgegenden auch wahrgenommen werden.

2. Teil: Die Berufung der Familie – Unterscheidung der Geister

Teil 2, der theologische Teil, stellt die Formulierung „Berufung der Familie“ an den Anfang und stellt sie damit anderen „Berufungen“ gleich. Normalerweise benutzt die Kirche dieses Wort nur für Priester und Ordensleute, hier erfolgt also eine deutliche Aufwertung. Diese Berufung der Familie – so der Text – empfängt ihre kirchliche Form durch die sakramentale Verbindung, welche die eheliche Beziehung als unauflöslich heiligt. Gegenseitige Hingabe und Offenheit für Kinder sind Zeichen der Gnade des Heiligen Geistes, lebendiges Zeichen für die Einheit Christi mit der Kirche, heißt es weiter (36).

Der Text betont die Zugehörigkeit zu den anderen Sakramenten: Man könne die Ehe nicht losgelöst betrachten, es gebe eine „göttliche Pädagogik“, Gott handle im Leben der Christen und führe zur Integration in seine Gemeinschaft (37). Der Teil schaut auf die Bibel als Quelle, auf die Lehren der Päpste von Paul VI. bis Franziskus und des Zweiten Vatikanums, und er fasst die Lehre der Kirche zu Sakramentalität, Zugehörigkeit zur Schöpfung, Offenheit für das Leben und Unauflöslichkeit zusammen. Dieses sakramentale Band zu brechen, sei gegen den Willen Gottes, so glaubt die Kirche. Gleich hier wird aber auch auf die „Komplexität der verschiedenen Situationen“ hingewiesen, welche eine „Unterscheidung“, also eine reflektierende Anwendung auf die einzelnen und unterschiedlichen Wirklichkeiten nötig mache (51). Hier erscheint – sowohl im Gedanken der Begleitung von Ehen in Schwierigkeiten als auch bei der Vorbereitung auf die Ehe – der Wegcharakter der Pastoral der Kirche (53 f).

3. Teil: Die missionarische Familie

Teil 3 verbindet das Sprechen von der Familie mit dem Sprechen von Dienst und „Mission“, also dem Auftrag der Kirche. Gemäß dem Leitprinzip dieses Teils – Handeln – geht es um praktische Bereiche. Nicht die Norm, sondern die Verkündigung der Gnade Gottes stehe im Vordergrund (56). Zunächst geht es um die Vorbereitung auf die Ehe, dann um die Feier und die weitere Begleitung; auch hier dominiert der Wegcharakter der Pastoral. Es geht um verantwortete Elternschaft, um Adoption, Schul- und Erziehungsfragen.

Kapitel 3 behandelt dann die „komplexen Situationen“ (69-86). Dieses Thema nimmt den breitesten Raum im Dokument ein. Prägend ist der „Weg“, der in pastoralen Situationen eingeschlagen wird; der Text denkt dynamisch, nicht in Festlegungen, es geht um das Gehen auf dem Weg zur „vollen Sakramentalität“, um einen „Weg des Wachsens“, etc. (69, 71). Der Text spricht vor allem von den konkreten Umständen, wie sie etwa von verschiedenen Kulturen geprägt werden.

Darauf müsse eine „differenzierte Pastoral“ antworten, es könne nicht eine einzige Antwort auf verschiedene Umstände geben (73). Auf dem Weg brauche es Begleitung, die wiederum von Barmherzigkeit geprägt sein müsse. Es gehe ums Zuhören und Versöhnung, aber auch um Gerechtigkeit im Fall einer gescheiterten Ehe, vor allem für die Kinder.

Im Abschnitt mit dem Titel „Unterscheidung und Integration“ (84-86, oben schon einmal angedeutet) geht der Text dann darauf ein, wie das geschehen kann: „Die Logik der Integration ist der Schlüssel für ihre pastorale Begleitung“, sagt er über die wiederverheirateten Geschiedenen. So gelte es darüber nachzudenken, wie praktizierte Formen des Ausschlusses in Pastoral, Liturgie, Erziehung oder auch in Beteiligung in den Institutionen überwunden werden können. Auf die Zulassung zu den Sakramenten geht der Text nicht ein. Er sagt aber, dass alle Beteiligten „verpflichtet sind, die Situation gut zu unterscheiden“, d.h. die Realität im Blick des Glaubens gut in den Blick zu nehmen. Diese Unterscheidung solle „nach der Lehre der Kirche und unter der Anleitung des Bischofs“ geschehen.

An einer Stelle wird es recht kompliziert: „Man kann nicht übersehen, dass es Situationen gibt, in denen Anrechenbarkeit einer Tat und Verantwortung für sie durch verschiedene Bedingungen vermindert, ja sogar aufgehoben“ sind (siehe Katechismus § 1735). Ein Urteil über eine objektive Situation muss deswegen nicht in den konkreten Umständen zu denselben Ergebnissen führen. „Die pastorale Unterscheidung, das recht gebildete Gewissen der Menschen einbeziehend, muss sich dieser Situationen annehmen. Auch die Konsequenzen der Handlungen sind nicht immer in allen Fällen dieselben.“

Wie soll das geschehen? „Im Gespräch mit dem Priester, im Forum Internum, geschieht das Bilden des rechten Urteils über das, was einer volleren Teilhabe am Leben der Kirche entgegensteht, und über die Schritte, welche diese wachsen lassen.“ Das nehme nichts weg von dem, was die Wahrheit und die Nächstenliebe des Evangeliums geböten.

Abschließend geht es um die Spiritualität der Familie, aufbauend auf der Trias „Entschuldigung, Danke, Bitte“, die Papst Franziskus immer wieder ins Zentrum des familiären Verhaltens setzt (87). Familien sollen Handelnde in der Pastoral der Kirche sein, nicht nur als Objekt der Pastoral behandelt werden. So wird die Familie das, was Papst Franziskus von der ganzen Kirche will: missionarisch.

Ein Gebet schließt das Dokument ab. (rv)

Erste Einzelheiten zur Bischofssynode 2015

Kardinal BaldisseriDie nächste Bischofssynode zum Thema Ehe und Familie wird vom 4. bis 25. Oktober 2015 im Vatikan stattfinden. Das kündigte der Generalsekretär der Bischofssynoden, Kardinal Lorenzo Baldisseri, am Montag an. Baldisseri sprach auf der derzeitigen Versammlung der Außerordentlichen Bischofssynode; sie beschäftigt sich ebenfalls mit Ehe und Familie und soll die – deutlich längere – Synode vom Herbst 2015 vorbereiten. Kardinal Baldisseri nannte auch das vom Papst gewählte Thema der Synode vom nächsten Jahr: „Berufung und Mission der Familie in der Kirche und der Welt von heute“.

Er hoffe, dass die Synodenväter bei ihren Beratungen in Arbeitsgruppen diese Woche schon an die Synode vom nächsten Jahr dächten, so der Kardinal. „In den Gruppen könnte man auch Themen vorschlagen, die noch nicht behandelt worden sind“, sagte er.

Gespräche in Arbeitsgruppen starten

An diesem Montag beginnen auf der Versammlung der Bischofssynode offiziell die Arbeiten in den Arbeitsgruppen. Nach Sprachen organisiert treffen sich alle Synodenteilnehmer, um die Relatio – das zusammenfassende Dokument, das am Montagmorgen von Kardinal Peter Erdö verlesen wurde – zu diskutieren. Drei Gruppen finden auf Italienisch statt, drei ebenfalls in Englisch, zwei jeweils in Spanisch und Französisch.

Am Donnerstagmorgen werden die in den Arbeitskreisen erarbeiteten Ergebnisse in der Vollversammlung vorgestellt, danach tritt wieder das Redaktionskommitee zusammen, um sie einzuarbeiten. Der so erstellte Text – die Relatio Sinodi – wird dann am Samstag verlesen und diskutiert, am Nachmittag wird auch darüber abgestimmt.

Bereits am Freitag wird aber auch ein weiterer Text besprochen: die Botschaft, die jede Synode an die Gläubigen richtet. Die endgültige Form dieser Botschaft – Nuntius genannt – wird ebenfalls am Samstag abgestimmt.

Papst stellt Schlussdokument auf breitere Basis

Derweil hat Papst Franziskus zum Wochenende das Redaktionskomitee für das Schlussdokument der laufenden Synodenversammlung verstärkt. Bisher waren Kardinal Baldisseri, Synoden-Relator Kardinal Peter Erdö (Ungarn) und der italienische Bischof Bruno Forte mit dem Erstellen des Dokuments betraut. Es soll am nächsten Sonntag fertig sein und die Arbeitsgrundlage für die Bischofssynode von 2015 darstellen. Franziskus benannte nun sechs weitere Synodale in den Redaktionskreis: Kurienkardinal Gianfranco Ravasi, US-Kardinal Donald Wuerl, Jesuitengeneral Adolfo Nicolás, den argentinischen Erzbischof Victor Manuel Fernández, den Präsidenten des Lateinamerikanischen Bischofsrates Erzbischof Carlos Aguiar Retes und den koreanischen Bischof Peter Kang U-il. (rv)