Italien: Dem Menschenhandel nicht gleichgültig gegenüberstehen

ItalienSchon bevor Jorge Mario Bergoglio zum Papst gewählt wurde, war ihm der Kampf gegen den Menschenhandel wichtig: Als Erzbischof von Buenos Aires feierte er immer am 23. August, dem Tag zur Erinnerung an den Sklavenhandel, eine Messe in für die Opfer dieses grausigen Geschäfts. Dass er sein Engagement auf diesem Gebiet auch als Papst fortsetzt, wundert Schwester Eugenia Bonetti deshalb nicht. Die Consolata-Missionarin kämpft seit Jahren gegen den Handel mit Frauen. Im Gespräch mit Radio Vatikan sagt sie:

„Wir haben sofort gemerkt, dass ihm daran immer noch viel liegt. Schon in seiner Osterbotschaft hat er ja beispielsweise über den Menschenhandel als ,neue Form der Sklaverei in diesem Jahrhundert’ gesprochen. Das hat er zwei Mal wiederholt. Das war für uns ein erstes Signal, dass sich der Papst über diesen furchtbaren Handel bewusst ist, der das Leben vieler unschuldiger Menschen zerstört. Sie brauchen Hilfe, denn sie befinden sich im Netz dieser Händler."

Schwester Eugenia erinnert auch daran, dass Franziskus auch immer das große Geschäft, das mit dem Handel von Menschen gemacht wird, gesehen und kritisiert habe. So sagte er beispielsweise, jeder, der sich auf diese Art und Weise bereichere, solle vor sich selbst und vor Gott dieses Handeln prüfen. Dass Franziskus nun für diesen November ein Treffen im Vatikan geplant hat, bei dem Strategien im Kampf gegen den Menschenhandel erarbeitet werden sollen, ist für Schwester Eugenia ein deutliches Zeichen:

„Diese Nachricht hat unser Herz mit Freude erfüllt: Wir sehen darin einen großen Einsatz auf der Ebene der Kirche und im Vatikan, der sich in besonderer Weise konkretisiert. Es stimmt zwar, dass das Problem auch durch Gesetze gelöst werden muss, wichtig sind in diesem Zusammenhang aber auch die Sensibilisierung der Leute und Aufklärung. Das Problem des Menschenhandels muss unter verschiedenen Aspekten gesehen werden. Wir alle haben da eine große Verantwortung und wir sind alle in der Lage einige Ringe dieser Kette zu zerstören."

Vielleicht fragt sich nun der ein oder andere, was er selbst denn tun kann, um Sklaven- und Menschenhandel zu verhindern. Schwester Eugenia dazu:

„Ich sage immer: Durch unsere Gleichgültigkeit machen wir uns schon schuldig. Grade als Christen sind wir gefordert, die Gleichgültigkeit der anderen nicht zu akzeptieren. Es geht hier um Millionen von Menschen, die – auch hier bei uns in Italien – ausgenutzt werden, nicht nur im Bereich der Arbeit, sondern besonders beim Menschenhandel im Zusammenhang mit sexueller Ausbeutung. Hier sind vor allem Frauen betroffen und ein Großteil von ihnen, nämlich etwa 80 Prozent, ist auch noch minderjährig." (rv)

Haiti: Voodoo und der Krieg der Religionen

Dass im Januar in Haiti die Erde gebebt hat, daran ist Voodoo schuld. Sagen viele US-Protestanten, etwa der Fernsehprediger Robertson. Wohl noch nicht einmal der Islam hat einen so üblen Ruf im Westen wie Voodoo, die Religion Haitis. Was ist davon zu halten? Das erklärt uns Dimitri Bechack, ein Anthropologe und Ethnologe aus Paris

„Voodoo ist eine Religion, die ursprünglich aus dem afrikanischen Benin kommt und die mit dem Sklavenhandel dann nach Haiti kam, also nach Santo Domingo. Die haitianische Geschichte behauptet, dass es beim Sklavenaufstand von Haiti im August 1791 eine Voodoo-Zeremonie gegeben hat. Voodoo gehört also zur Geschichte Haitis und zum Aufbau dieses Landes. Heute heißt es, dass in Haiti die Hälfte der Bevölkerung katholisch ist; zwischen zwanzig und dreißig Prozent sind Protestanten – und die Voodoo-Anhänger sind 100 Prozent! Das bedeutet: Das ist eine Bewegung, die die Religionsgrenze sozusagen sprengt – manche sagen: Es ist die Matrix der haitianischen Kultur. Heute findet sich diese Religion überall, wo es Immigranten aus Haiti gibt, und seit 1986 hat sie sich strukturell verändert.

Das war der Abgang von Duvalier; der Diktator Francois Duvalier hatte eine ganze Reihe von Voodoo-Elementen mit seiner Herrschaft verknüpft. Als er dann 1986 ins Exil musste, haben die Menschen gegen viele Symbole seiner Herrschaft revoltiert, und darunter vor allem gegen die Voodoo-Tempel. Es dauerte dann ein Jahr, bis die Verfassung Voodoo-Praktiken nicht mehr unter Strafe stellte. Seit damals beobachten wir die Gründung vieler Voodoo-Gruppen und –Zirkel. 2008 wurde dann ein Oberer Voodoo-Führer gewählt.

Man muss erst katholisch getauft sein, um in Voodoo eingeführt zu werden. Eine Voodoo-Zeremonie hat als erstes das Ziel, die Geister zu ernähren. Die Geister sind die Mittler zwischen den Menschen und dem guten Gott; Voodoo-Anhänger glauben an Gott, an einen Gott. Aber um in Verbindung mit ihm zu treten, braucht man die Geister. Die Voodoo-Zeremonien stimmen also diese Geister gnädig, geben ihnen zu essen, durch Opfer zum Beispiel oder durch Trance: Solche Trance zeigt an, dass die Geister herabgestiegen sind zu den Menschen. Es ist eine ziemlich komplexe Religion mit zahlreichen Riten, und je nach Region in Haiti sehr unterschiedlich. Übrigens gibt es noch eine starke Übereinstimmung zwischen Voodoo und dem katholischen Glauben: Die Voodoo-Geister werden nämlich durch Bildnisse der katholischen Heiligen verehrt. Schon in der Sklavenzeit nutzten ja die Sklaven die Heiligenbildchen, um Gott zu verehren; sobald sie in der Kolonie Santo Domingo ankamen, wurden sie getauft. Und alle Voodoo-Riten beginnen mit katholischen Gebeten.

Heute hat Voodoo in Haiti Konkurrenz – und zwar vor allem von protestantischer Seite. Am 23. Februar – nach dem verheerenden Erdbeben – haben wir erlebt, dass eine evangelikale Gruppe in Cité-Soleil eine Voodoo-Zeremonie überfallen und mit Steinen beworfen hat. Die katholische Kirche hat Voodoo immer rigoros bekämpft, vor allem gegen Ende des 19. Jahrhunderts und dann wieder 1941-42: Damals führte sie eine Kampagne gegen Voodoo durch und zerstörte dabei zahlreiche Tempel. Auch der Staat in Haiti hat Voodoo lange entschieden bekämpft – bis zu Duvalier. Dieser hat Voodoo in seine Machtstruktur miteingebaut. Was wir nach dem Erdbeben vom Januar erleben, ist ein Kampf der Protestanten gegen Voodoo. Das hat mit der Rolle zu tun, die Voodoo während und nach der Staatsgründung von Haiti gespielt hat: Weil Voodoo von Anfang an bestimmend war für die Herausbildung Haitis nach dem Sklavenaufstand, assoziieren viele Protestanten alle Übel Haitis mit Voodoo. In dieser Hinsicht hat das Erdbeben Spannungen verstärkt, die es vorher schon gab. Voodoo versucht nicht, andere zu seiner Religion zu bekehren. Die Protestanten hingegen versuchen, Voodoo auszurotten und die Gläubigen für sich zu gewinnen.

Das gelingt ihnen auch bis zu einem gewissen Punkt; es gibt viele Übertritte von Voodoo-Anhängern zum Protestantismus – und zwar, weil viele Voodoo-Adepten sich der Verwünschungspraktiken nicht mehr zu erwehren wissen. Ich habe eine ganze Reihe früherer Voodoo-Anhänger getroffen, die wegen solcher Verwünschungspraktiken zum Protestantismus übergetreten sind. Seit 2003 ist Voodoo per Dekret als Nationalreligion anerkannt – seitdem gibt es eine noch stärkere Konkurrenz unter den Religionen in Haiti. Eigentlich würde man sich vom Staat eine eher neutrale Haltung erwarten, etwa wie im laizistischen Frankreich; aber in Haiti hängen einige staatliche Organismen eng mit Voodoo zusammen. Dafür sind dann aber auch wieder wichtige Vertreter des Protestantismus in den politischen Instanzen vertreten und die Voodoo-Leute nicht. Voodoo fordert im Moment zum Beispiel einen Platz im nationalen Wahlrat. Sie versuchen, mehr Platz in der Politik zu bekommen.

Das Erdbeben hat eigentlich nur die religiösen Überzeugungen verstärkt, die schon da waren. Für die Protestanten ist Voodoo daran schuld, dass es das Erdbeben gegeben hat. Schon vor dem Erdbeben wurde Voodoo für alle Übel in Haiti verantwortlich gemacht. Ich glaube nicht, dass es zwischen den Protestanten und Voodoo zu einem – wie der oberste Voodoo-Führer angekündigt hat – „offenen Krieg" kommen wird; daran haben eigentlich beide Seiten kein Interesse. Voodoo ist eher auf dem Rückzug, im Moment. Allerdings muss man diese Eskalation schon im Auge behalten: Der Angriff von Evangelikalen auf eine Voodoo-Zeremonie am 23. Februar war das erste Mal, vorher war die Gewalt nur verbal gewesen, in der Presse vor allem. Im wesentlichen sind die Voodoo-Anhänger aber daran gewöhnt, immer in der Defensive zu sein: Oft hat man, wenn es Probleme oder Katastrophen in Haiti gegeben hat, die Voodoo-Anhänger und Voodoo-Tempel angegriffen." (rv)