„Fanatiker gefährden Ägyptens Zukunft" und „In Kairo brennen wieder die Kirchen". So lauten die Überschriften über Berichte in den internationalen Medien über die Vorkommnisse in Kairo am vergangenen Wochenende. Zehn Menschen seien bei gewaltsamen Angriffen auf Kopten und ihre Kirchen getötet worden, so heißt es.
Der Auslöser war ein Gerücht: Eine 26jährige Frau sei gezwungen worden, Christin zu werden, um einen Christen heiraten zu können. Hunderte von Muslimen der radikalen Bewegung der Salafisten versammelten sich vor der Kirche und forderten ihre Freilassung, die Kopten stellten sich schützend vor ihre Kirche. Das Ergebnis: Zehn Tote, fast 200 Verletzte, vier abgebrannte christliche Kirchen, Militäreinsatz, Eskalation. Radio Vatikan hat mit dem Pfarrer der deutschsprachigen Gemeinde in Kairo, Joachim Schrödel, gesprochen.
„Man muss natürlich den Hintergrund etwas genauer kennen. Der Stadtbezirk, in dem sich die Unruhen entfaltet haben ist der Bezirk Imbaba und wenn man etwas in die Geschichte hineingeht, dann weiß man, dass Imbaba schon in den 90er Jahren eine islamistische Ecke war. Darauf hatte dann der Staat reagiert um dieses absolut überbevölkerte Gebiet mit etwa einer Million Menschen etwas auf einen höheren Standard zu heben. Das ist der eigentliche Grund, dort ist eine so gespannte Situation und es kann jederzeit immer wieder etwas explodieren. Und die Ägypter sind alle entsetzt, die Situation ist ärgerlich – gerade für die, die mitarbeiten wollen an einem guten neuen Ägypten – desaströs."
Eine ganz ähnliche Situation hat es zu Beginn des Jahres gegeben, noch vor den politischen Unruhen und Umstürzen. Hat das eine mit dem anderen zu tun?
„Ich sehe das nicht so. Ich sehe auch keinen zugespitzten Kampf der Religionen oder so ähnlich, Die Muslime gegen Die Christen, wie man das gerne formuliert. Man muss ganz genau mit dem Vergrößerungsglas hinschauen, was sich da abspielt und in welcher Situation die Menschen leben. Immer wieder sind es die Krisenherde, oder, wie wir sagen würden, die sozialen Brennpunkte, an denen sich etwas entfacht, was sich leider oftmals zwischen Christen und Muslimen abspielt. Ich warne aber davor, auch von westlicher Seite aus zu sagen, dass jetzt die Muslime die Macht ergreifen wollten. Es handelt sich nach wie vor um singuläre Ereignisse."
Wohin geht es als Nächstes? Was sind mögliche Schritte in die Zukunft?
„Zunächst einmal muss, egal ob es Christen oder Muslime betrifft, die soziale Situation gehoben werden. Und zweitens dann die Bildungssituation. Die soziale Situation ist ja immer noch so, vielleicht sogar noch schlimmer als vor dem Sturz von Mubarak, dass die Menschen gar nicht das zum Leben Notwendigste haben. Und dann passieren eben Zusammenstöße zwischen den Religionen. Noch einmal: Ich glaube nicht, dass das ein Hauptgrund ist, sondern dass die Armut der Menschen von einigen sehr wenigen radikalen Elementen – und das sind nicht die Muslimbrüder, wie sich herausstellt, sondern das sind die Salafiten, also eine Gruppe, von denen der Großmufti gestern gesagt hat, dass sie keine Muslime seien, wie sie sich gebärdeten – Die Situation muss sich aber ändern. Es müssen Strukturen geschaffen werden, es müssen Arbeitsplätze geschaffen werden und das ist eine riesige Aufgabe und das bedeutet die Änderung der sozialen Situation und das Aufbauen eines Miteinanders. Ich formuliere manchmal: Wir brauchen keine Demokratie in Ägypten, wir brauchen eine ‚Demodoulie’, wenn man das Wort denn prägen kann, also dass das Volk dient, und zwar einander, und nicht gegeneinander arbeitet."
Ein Blick über Ägypten hinaus: Syrien. Viele Menschen, auch Bischöfe, sagen, dass das Regime dort Christen schütze. Andere, unter anderem auch Sie, sagen, dass sich Christen am Protest gegen Assad beteiligen. Die Rückmeldungen hier bei uns im Radio kommen ebenfalls von beiden Seiten. Wie ist denn das einzuschätzen? Unterstützen Christen Assad? Sind sie sich uneins? Regiert die Angst, dass dasselbe passieren könnte, was jetzt in Ägypten passiert?
„Wir hatten in Ägypten ja auch eine interessante Bewegung der lokalen Christenheit. Zunächst einmal hatte Papst Shenuda sehr eindringlich gewarnt und seine Christen aufgerufen, sich nicht an den Demonstrationen zu beteiligen. Ähnlich verhalten sich nun wohl auch die Christen in Syrien. Sie verhielten sich jedenfalls so, abwartend, denn es ging ihnen gut. Weil es kein explizit islamischer Staat ist, waren sie gut in die Bevölkerungsstruktur integriert. Ich glaube allerdings nicht, dass es jetzt eine stärkere Gruppierung innerhalb der christlichen Minderheiten gebe, die jetzt noch das Regime Assad explizit oder implizit unterstützen würden. Man merkt inzwischen schon, dass der große Druck nicht nur von einer bestimmten Seite kommt, der Druck auf das Regime kommt von allen Seiten. Das Dramatische ist natürlich, dass, ganz anders als in Ägypten, Syrien mit harter Gewalt reagiert." (rv)