Er war Botschafter Ihrer Majestät beim Heiligen Stuhl – und ist jetzt Vizekanzler von St. Mary’s University Twickenham, London. Aber das Thema Vatikan hat Francis Campbell nicht losgelassen: An der Londoner Uni half er mit, ein Benedikt-XVI.-Institut aus der Taufe zu heben. Es soll den Dialog der Zivilisationen sozusagen von innen her erneuern, ganz im Geist Joseph Ratzingers.
Vor ein paar Tagen wurde das „Benedict XVI Centre for Religion and Society”, also ein „Studienzentrum für Religion und Gesellschaft“, offiziell lanciert – übrigens in demselben Saal, in dem der damalige Papst Benedikt während seines Besuchs in Großbritannien 2010 eine Rede gehalten hatte. Campbell hatte die Reise mitorganisiert.
„Für mich war es ein Highlight dieser Reise, als Benedikt XVI. an einem Freitagnachmittag in der Westminster Hall an genau der Stelle stand, an der einst Thomas Morus zum Tod verurteilt wurde. Er hielt eine Rede an die britische Gesellschaft, aber da ging es um ein Thema, mit dem er sich in seinem ganzen intellektuellen Leben beschäftigt hatte und das in der ganzen Geschichte des Christentums eine wichtige Rolle gespielt hat, nämlich um die Beziehung des Einzelnen zum Staat, um den Platz des Glaubens im größeren Kontext der Gesellschaft. Ich saß an diesem Abend seitlich und konnte während der Rede den Papst, aber auch jeden einzelnen der noch lebenden Ex-Ministerpräsidenten sehen, die ihm zuhörten. Auch Frau Thatcher war, ein letztes Mal, noch dabei. Und für mich war diese Szene sehr sprechend: In einem Land, das keineswegs eine katholische Bevölkerungsmehrheit hat, waren alle früheren Ministerpräsidenten gekommen, um ihn in Westminster Hall sprechen zu hören!“
Der historische Moment überwältigte den Botschafter gewissermaßen; noch heute hält er die Londoner Rede für „eine der zwei bedeutendsten, die er während seines Pontifikats gehalten hat“. (Leider haben wir vergessen, nachzufragen, welche die andere Rede war.) „Darum ist es sehr angemessen für uns, darauf aufzubauen und hier in St Mary’s ein Studienzentrum für Religion und Gesellschaft zu eröffnen. Und dieser Saal, in dem das Zentrum lanciert wurde, ist genau die Stelle, wo Benedikt 2010 zwischen dem Oberrabbiner und dem ersten weiblichen muslimischen Kabinettsmitglied einmal mehr über die Rolle von Religion in der Gesellschaft sprach. Wir wollen, sechs Jahre nach diesem Augenblick, dieses Engagement fortführen und dabei interdisziplinär alle Ressourcen der Universität einsetzen.“
Francis Campbell hebt hervor, dass der emeritierte Papst einen ganz spezifischen Blick auf das Thema Religion und Gesellschaft habe. Andere Religionsführer oder Gelehrte bezögen sich in der Regel auf eine Vergangenheit, die aus ihrer Sicht „einfacher oder besser“ gewesen sei. „Joseph Ratzinger hingegen erinnerte uns in seinen Veröffentlichungen als Kardinal und später dann als Papst daran, dass es um die Zukunft der westlichen Zivilisation geht und dass das Christentum gerade bei dieser Erneuerung eine Rolle zu spielen hat. Und das ist besonders gültig für das Vereinte Königreich.“
Der frühere Botschafter würdigt auch einen zweiten Ansatz Benedikts, der ihm besonders wichtig scheint: die sogenannten „kreativen Minderheiten“. „Für ihn war das Christentum eine kreative Minderheit, die sich engagiert auf die Zivilisation – die westliche Zivilisation – einlässt und sie herausfordert, aber auch dazu beiträgt, sie von innen her zu erneuern. Dieser Begriff der „kreativen Minderheit“ ist allerdings gar nicht von ihm, sondern er bezieht sich da auf einen britischen Denker: Arnold Toynbee. Da geht es um die berühmte Debatte zwischen Spengler und Toynbee zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts, ob die westliche Zivilisation wie alle anderen bisherigen irgendwann einmal einfach an ein Ende kommen wird – das war Spenglers Sicht. Toynbee hingegen sagte: Nein, die westliche Zivilisation ist anders. Und sie ist anders wegen der erneuernden Rolle des Christentums, das im Kern unserer Zivilisation ist. Das ist es, was Benedikt XVI. neu hervorgebracht hat: Er erinnerte Glaubensgruppen an ihren Beitrag zur westlichen Zivilisation und Gesellschaft.“
Das neue Institut ist an der Schnittstelle zwischen Religion und Sozialwissenschaften angesiedelt. In Zusammenarbeit mit dem University College London, Queen’s University Belfast und Coventry University wird es bis Dezember eine erste Studie über nichtreligiöses Glauben vorlegen. Auch eine Konferenz über den fünfzigsten Jahrestag der Enzyklika Humanae Vitae von Papst Paul VI. ist in der Planung. Der bekannte Wirtschaftswissenschaftler Philip Booth wird am Institut eine Vorlesungsreihe über die katholische Soziallehre halten. (rv)