Nachgefragt: Wie geht es Benedikt XVI.?

Papst (Emeritus) Benedikt XVI.Es ist tatsächlich still geworden um Benedikt XVI. – so wie er das vor seinem Rückzug Anfang 2013 ja angekündigt hatte. Wie geht es dem emeritierten Papst? Das fragte Stefan Kempis bei einer Begegnung zwischen Tür und Angel Benedikts Sekretär, Kurienerzbischof Georg Gänswein.

„Papst Benedikt ist ein alter, wacher Herr, dessen Gehwerkzeuge ein bisschen schwach geworden sind, darum benutzt er auch einen Rollator. Aber es geht ihm geistig sehr gut, er ist hellwach! Und mit seiner Wachsamkeit verfolgt er sowohl vatikanisches Terrain als auch deutsche Politik.“

Deutsche Politik?

„Ja natürlich! Er ist in seinem Herzen ein Bayer, er ist ein Bayer geblieben, und es ist ganz klar, dass auch mit bayerischem Herzen das Heimatland wach verfolgt wird in Bezug auf politische Entwicklungen.“

Schreibt Benedikt auch noch?

„Er hat eine große, persönliche Korrespondenz, aber wissenschaftlich will er nichts mehr schreiben.“ (rv)

Brüderlicher Besuch in Limburg

LajoloZu einem „brüderlichen Besuch" ist Kurienkardinal Giovanni Lajolo in das Bistum Limburg gereist. Die Visite des früheren Nuntius in Deutschland ist, wie der Vatikan präzisiert, ausdrücklich keine „Apostolische Visitation", sondern ein so genannter „brüderlicher Besuch". Eine Unterscheidung von Stefan Kempis.

Apostolische Visitationen sind offizielle Untersuchungen, die im Auftrag des Papstes in Bistümern, bei Ordensgemeinschaften oder in kirchlichen Einrichtungen durchgeführt werden. Zuständig für ihre Ausführung ist im Vatikan die Bischofskongregation. Das Kirchenrecht definiert den Papst als obersten Richter, der persönlich oder durch Delegierte in allen Streitfällen oder Streitfragen eingreifen und sie auch entscheiden kann. „Der Papst hat kraft seines Amtes nicht nur Gewalt in Hinblick auf die Gesamtkirche, sondern besitzt auch über alle Teilkirchen und deren Verbände einen Vorrang ordentlicher Gewalt" (Kodex des kirchlichen Rechts CIC, Can. 333 Paragraph 1). Zur Bandbreite möglicher Verfahren, mit denen der Papst das Geschehen in der Weltkirche steuert, gehören neben den Visitationen auch das Entsenden von Beauftragten und die ad limina-Besuche, die Bischöfe einer Ortskirche regelmäßig in Rom abstatten. Führt der Vatikan offiziell eine Apostolische Visitation durch, dann reagiert er damit in der Regel auf schwere Krisen in einer Ortskirche. Berühmte Vatikan-Untersuchungen dieser Art betrafen in jüngerer Vergangenheit zum Beispiel die irische Kirche nach den Missbrauchsskandalen und den Dachverband von US-Frauenorden.

Im Fall Limburg hat sich der Vatikan aber ausdrücklich nicht für eine Apostolische Visitation entschieden; damit soll jeder Eindruck einer Strafaktion gegen Bischof Tebartz-van Elst vermieden werden. Der Heilige Stuhl habe „volles Vertrauen" in die Amtsführung des Limburger Bischofs, erklärte der Präfekt der Bischofskongregation, Kardinal Marc Ouellet. Lajolos Auftrag ist niedriger angesiedelt: eben als „brüderlicher Besuch". Der Begriff kommt in Buch VI und VII des „Codex iuris canonicis", soweit ich sehe, gar nicht vor. Gemeint ist eine Art „fact-finding mission" für Rom: Lajolo soll sich für den Vatikan ein Bild von der Lage machen. Die Amtsgewalt des Limburger Bischofs bleibt auch während des Besuchs aus Rom unverändert – anders als das bei einer Visitation der Fall wäre. Weder der Bischof noch seine Kritiker können die Tatsache, dass der Vatikan einen Kardinal schickt, als Sieg für ihre Seite verbuchen. Der „brüderliche Besuch" von Lajolo richtet sich deshalb an alle im Bistum. (rv)

Presseschau zum Papstbesuch: Enthusiasmus und Aufhorchen

Wie wird der Papstbesuch in Norditalien von der italienischen Presse aufgenommen? Enthusiasmus und Aufhorchen über Papst Benedikts Forderung nach mehr Verantwortung in der italienischen Politik – diese beiden Aspekte tauchen in den Berichten der italienischen Blattmacher immer wieder auf. Hier die Presseschau von unserem Korrespondenten Stefan von Kempis.
Mehr als neunzig Prozent der Menschen im italienischen Nordosten glauben an Gott – aber nur einer von dreien ist auch davon überzeugt, dass es eine Auferstehung gibt. Dieses Umfrage-Ergebnis bringt die Zeitung „Il Gazzettino" in ihrer Ausgabe von diesem Sonntag. Die Zahlen unterlegen dem Papstbesuch eine ernste Note: So gibt es heute in der Region nur noch halb so viele Priester wie 1970, die geistlichen Berufungen scheinen auszusterben; immerhin sind noch neun von zehn Menschen im „Nordest" getauft. Auf diesem Hintergrund erklärt sich, warum Benedikt XVI. schon in seiner ersten großen Rede am Samstag in Aquileia auf das Thema Neuevangelisierung zu sprechen kam.
Die Medien allerdings – wir sind ja hier in Italien – stürzen sich vor allem auf einen Satz Benedikts, der gar nicht so zentral war in seiner Rede: „Papst fordert eine neue politische Klasse." Das war auch in den diversen lokalen und nationalen Fernsehnachrichten die Haupt-Schlagzeile. Dabei gehen die Medien automatisch davon aus, dass dieser Papst-Satz nicht auf den (immer mehr von der umstrittenen „Lega Nord" geprägten) Nordosten zielt, sondern auf Rom: auf Berlusconi. Benedikts Ruf nach jüngeren, verantwortlichen und christlichen Politikern wird direkt in die von einem wilden Hin und Her gekennzeichnete innenpolitische Debatte eingespeist. Allerdings ist der Satz von Aquileia auch wieder nicht explizit genug, um darauf jetzt eine Neuorientierung des katholischen Wählerblocks aufzubauen; die katholischen Stimmen könnten das Zünglein an der Waage sein, sie sind derzeit noch trotz gewisser Bauchschmerzen mehrheitlich auf Berlusconis Partei PdL konzentriert.
Die großen Zeitungen („Corriere della Sera" und „Repubblica") informieren erst auf den mittleren Seiten über die Papstreise; die Regionalzeitungen dagegen bringen, wie sich das gehört, viele Farbseiten mit einer Fülle von Artikeln. Der feierliche Einzug des Papstes auf dem Markusplatz („der Piazza der Welt") wird als „historisch" gewertet, sein Lob für die Weltoffenheit Venedigs gerühmt – der Tenor der Berichterstattung ist ausgesprochen freundlich, ja enthusiastisch. Sorgsam vermerkt „La Nuova di Venezia e Mestre", dass Venedigs Bürgermeister die Stadt in seinem Gruß an den Papst als „zugleich säkular und christlich" beschrieben hat. Dem gegenüber stehen Artikel über die Proteste eines Atheisten-Verbands, der Unterschriften gegen die öffentlichen Subventionen für den Besuch sammelt, unter dem Motto: „In Italien gibt es einen Notstand beim Säkularen" (emergenza laica).
Hörbar ist in den Medien das Grummeln der Händler aus Venedigs Innenstadt: „Auf dem Markusplatz sind doch mehr Carabinieri als Touristen! Wenn der Papst hier solche Unsicherheit schafft, dann wäre es besser, er bliebe im Vatikan." Die Sicherheitsmaßnahmen, die den Besuch begleiten, werden von den Leuten nach Angaben der Presse allgemein als übertrieben empfunden: „Bei anderen Papstbesuchen gab es mehr Spontanität", „Da waren die Kontrollen nicht so streng."
(rv)

Paris: Gespräche mit Atheisten

Vor dem Fest von Notre Dame standen am Freitag die ersten akademischen Debatten des „Vorhofs der Völker": Die neue Dialogstiftung des Heiligen Stuhls gastierte an den beiden glänzendsten Adressen des intellektuellen Paris, nämlich an der „Académie Francaise" und im Großen Auditorium der Sorbonne-Universität. Ein Tag des Ringens um Gott und den Menschen – Stefan Kempis war dabei.
 „Das war eher über die Köpfe der Anwesenden hinweg; es gab, glaube ich, vielleicht zehn Spezialisten im Saal, die dem folgen konnten."
Ein etwas harsches Urteil, das Franz Kronreif da über die Sitzung des „Vorhofs der Völker" an der Sorbonne fällt. Der Wiener ist selbst ein Spezialist im Gespräch zwischen Glaubenden und Nichtglaubenden: Er engagiert sich auf diesem Feld schon seit vielen Jahren, von Seiten der katholischen Fokolarbewegung. Die Debatten der Professoren an der Sorbonne schienen ihm ohne Praxisbezug.
„Außerdem ist in diesem Dialog bisher kaum etwas von der aktuellen Weltlage eingeflossen: In Japan geht der Reaktor hoch, in Libyen wird gekämpft, und es gibt eine Reihe von anderen Problemen (Wirtschaftskrise usw.) – das wurde nicht im geringsten angesprochen. Aus meiner Sicht hätte das stärker mit einbezogen werden müssen. Nur kann man natürlich auch nicht alles an einem Tag machen."
Und dennoch: Insgesamt ist Kronreif beeindruckt vom Start des „Vorhofs der Völker". Er staunt nicht nur über die Ressorcen, die der Vatikan da aus dem Stand mobilisieren konnte. Sondern auch darüber, dass der Päpstliche Kulturrat gleich auf Augenhöhe mit dem intellektuellen Paris ein solches Gespräch in Gang bringt. „Wir sollten bei unserem Dialog versuchen, wieder die richtigen Fragen zu stellen", meinte der Professor Jean-Luc Marion in der Sorbonne:
„Glaubende wie Nichtglaubende haben doch oft ein ähnliches Gottesbild – sie glauben beide, dass Gott in seinem Wesen unaussagbar ist. Beide schauen doch, wenn es um Gott geht, in die gleiche Richtung – unabhängig davon, ob sie an ihn glauben."
„Also, ich bin einerseits sehr beeindruckt von der Ernsthaftigkeit und der Intensität der Bemühung, zu einem Dialog wichtiger weltanschaulicher Strömungen der Jetztzeit zu kommen."
Das sagt Walter Baier: Der frühere Vorsitzende der Kommunistischen Partei Österreichs gibt heute eine Zeitschrift heraus und sieht sich selbst als einen gelassenen Agnostiker.
„Es ist ja schon fast trivial, jetzt auf die Katastrophe in Japan Bezug zu nehmen, aber was diese Ereignisfolge zeigt, ist einerseits die Zerbrechlichkeit der menschlichen Existenz und zweitens das hohe Ausmaß der Verantwortung, die der Mensch für seine Mitwelt (die Schöpfung, wenn Sie so wollen) zu übernehmen hat. Und das kann man sich doch eigentlich nur vorstellen durch das Zusammenwirken von sehr unterschiedlichen Kräften."
Diese Zusammenarbeit von Glaubenden wie Nichtglaubenden für eine humanere Welt wurde am Freitag vor allem in der „Académie Francaise" beschworen, im Tempel der so genannten „Unsterblichen" direkt am Ufer der Seine.
„Ich stimme der Grundhypothese zu, dass das nur ein Dialog ohne Exklusivität, ohne Synkretismus sein kann und dass die gemeinsame Basis die gemeinsame Humanität ist. Ich glaube, das ist aktuell, und es ist politisch, kulturell und zivilisatorisch ein Gebot der Zeit."
Dass der Papst mit seiner Initiative etwas sehr Wichtiges in Gang bringt, findet auch Rémi Brague: Der katholische Intellektuelle ist – wie übrigens auch Benedikt XVI. – Mitglied der Pariser „Akademie für moralische und politische Wissenschaften". Wenn er dem Papst einen Rat geben könnte, dann wäre es dieser:
„Die Vernunft – halten Sie an der Vernunft fest, denn damit haben Sie einen wichtigen Ansatzpunkt gefunden. Geben Sie nicht der Versuchung nach, die Vernunft durch irgendwelche Sentimentalitäten zu ersetzen… aber diese Gefahr sehe ich beim heutigen Papst ohnehin nicht so gegeben."
Immer wieder wurde am Freitag von katholischer Seite aus die Gottesfrage beschworen; auch der Papst selbst sprach sie in seiner Videobotschaft am Abend an. Wer Gott suche, finde den Menschen, so Benedikt. Doch so mancher Agnostiker wie etwa Baier mochte sich im „Vorhof der Völker" nicht darauf einlassen:
„Ich weiß nicht, ob ich mir einen solchen Zynismus erlauben kann – aber ich glaube schon, dass der Papst die Gottesfrage überschätzt."
Auch solcher Freimut gehört zu einem echten Gespräch, draußen im „Vorhof der Völker". (rv)

Paris: Vorhof will Herz der Kultur erreichen

In der „Unesco" in Paris wird an diesem Donnerstag Nachmittag die Vatikan-Stiftung „Vorhof der Völker" feierlich eröffnet. Der Päpstliche Kulturrat erweckt mit dieser Initiative zum Dialog mit Atheisten in gewisser Weise das frühere Vatikan-Sekretariat für die Nichtglaubenden zum Leben, das in den neunziger Jahren im Kulturrat „aufgegangen" war. Stefan Kempis berichtet aus Paris.
Dass das Gespräch mit den Nichtglaubenden in der Pariser Unesco begonnen wird, macht klar: Der Vatikan zielt von Anfang an hoch. Er will das Herz der zeitgenössischen Kultur erreichen, für das die Kultur- und Wissenschaftsorganisation der Vereinten Nationen steht. Auch die weiteren Stationen des Gesprächs am Freitag, nämlich Sorbonne-Universität und „Académie francaise", zeigen, dass der Heilige Stuhl sich mit der Gottesfrage direkt an die intellektuelle Szene von Paris wendet, die noch von altem Ruhm aus den Zeiten Sartres zehrt. Innerkirchlich wirkt es schlau, dass das „Centre des Bernardins", an dem auch schon der Papst zu Besuch war, von Anfang an mit eingebunden ist: Diese Einrichtung versucht nämlich im Herzen von Paris täglich den Brückenschlag des Katholischen hinüber in die akademische und intellektuelle Stadt, sie könnte das Anliegen des „Vorhofs der Völker" hier verstetigen.
Aufhorchen lässt, dass die Planer noch nicht einmal ein Grußwort des Ortsbischofs, also Kardinal André Vingt-Trois, vorgesehen haben – kein Affront, denn das „Institut Catholique de Paris" macht ja mit in diesen Tagen, aber doch ein kleines Signal. Den Vorwurf, der Vatikan rede mit Atheisten und Agnostikern, ohne in ausreichender Weise die Ortskirche zu beteiligen, gab es schon in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts: Damals führte Kardinal Franz König das Päpstliche Sekretariat für den Dialog mit den Nichtglaubenden und suchte das Gespräch mit marxistischen Herrschern und Denkern hinter dem Eisernen Vorhang. Auch die islamischen und jüdischen Institutionen oder die Kirchen der Reformation sind beim Start des „Vorhofs der Völker" nur Zuschauer. (rv)

„Orientalisch-heitere Atmosphäre“: Gespräch mit Patriarch Gregorios

Er spricht selbst ganz unverblümt aus, dass die Synode seine Idee gewesen sei: der melkitische Patriarch von Damaskus, Gregorios III. Laham. In der Synodenaula des Vatikans warnte er an diesem Dienstag eindringlich vor einem „Zusammenstoß der Religionen", wenn das Christentum aus dem Nahen Osten verschwände. In einem Interview sagte er unserem Synodenbeobachter Stefan Kempis:
„Wir sind langsam hineingewachsen, und es ist interessant zu sehen, dass diese Bischöfe so etwas zum ersten Mal erleben: Die meisten Bischöfe sind neu auf einer Synode, aber sie haben sich wohlgefühlt. Ich danke Gott für die richtig orientalisch-heitere Atmosphäre auf dieser Synode: Hier war Freude, Humor und Enthusiasmus."
Es war stellenweise eine lebhafte Diskussion, bei der auch viele Probleme auf den Tisch kamen, z.B. die Emigration vieler Christen aus dem Nahen Osten.
„Ja, die Emigration – und die Gefahr der Emigration, dass der Nahe Osten leer wird und der Pluralismus verlorengeht. Dann wird es zu mehr Zusammenstößen kommen zwischen Islam und Christentum! Und dann kam auch das schwere Problem des Dialogs mit dem Islam zur Sprache. Durch Fundamentalismus, Terrorismus und Terrorakte hat man das Gefühl: Wie können wir weitermachen angesichts so vieler Anschläge? Aber die meisten haben gesagt: Das ist unsere Rolle, den Nahen Osten zu prägen und langsam auch verschiedene Werte des Christentums hineinbringen in die Gesellschaft der Araber, die mehrheitlich Moslems sind."
((Was waren die interessantesten Ideen und Bemerkungen, die Sie bisher auf der Synode gehört haben?
„Zum Beispiel den Vorschlag vieler, dass man so eine Synode im Nahen Osten hält – auf einer lokalen Ebene. Dann gab es auch den Wunsch, alles zu tun, um den israelisch-palästinensischen Konflikt zu beenden: Denn dieser Konflikt ist für die meisten der Hauptgrund vieler, vieler Krisen und Kriege, die die Emigration von Christen verursacht haben.))" (rv)

Bartholomaios in Moskau: Die Orthodoxen rücken zusammen

Ein Quantensprung für die orthodoxen Kirchen: Konstantinopel und Moskau, also sozusagen das zweite und das dritte Rom, gehen aufeinander zu. Patriarch Bartholomaios von Konstantinopel war in den letzten Tagen in Moskau. Das könnte der Anfang von umwälzenden Entwicklungen in den orthodoxen Kirchen sein. Eine Einschätzung von Thomas Bremer, Ökumene-Experte aus Münster im Gespräch mit Stefan Kempis.
„Die Beziehungen zwischen dem Ökumenischen Patriarchat von Konstantinopel und der russischen orthodoxen Kirche sind in den letzten Jahren einigermaßen belastet gewesen; das hängt zusammen mit strittigen Fragen um die Zuerkennung von Autokephalie, also von Selbständigkeit. Die kirchliche Situation in der Ukraine ist davon besonders betroffen und auch einige andere Fragen… Insofern ist es nach einem Treffen des Ökumenischen Patriarchen mit dem verstorbenen Patriarchen Alexei und einem ersten Besuch des neuen russischen Patriarchen Kyrill in Konstantinopel jetzt ein Zeichen für eine langsame Verbesserung der Beziehungen, dass Patriarch Bartholomaios Moskau und Russland besucht. Und es ist auch interessant, dass er relativ lange bleibt: Es ist ein Besuch von einer Woche gewesen."
Was steckt denn hinter dieser Verbesserung? Warum kommt die jetzt?
„Das ist natürlich von außen schwer zu sagen – aber es hängt wie oft in solchen Fällen sicher auch mit den konkreten Personen zusammen. Und vielleicht auch mit der Einsicht, dass die Kirche, die kanonisch an erster Stelle steht (nämlich die von Konstantinopel), und die Kirche, die mit Abstand die größte orthodoxe Kirche ist (nämlich die russische orthodoxe Kirche) nicht auf die Dauer in einem Spannungszustand sein können. Beide Seiten verstehen, dass sie die Beziehungen verbessern müssen."
Bedeutet denn das engere Zusammenrücken von Moskau und Konstantinopel jetzt auch etwas Gutes für den Dialog der orthodoxen mit der katholischen Kirche?
„Das würde ich nicht so direkt in Zusammenhang bringen. Die Orthodoxie bemüht sich trotz der Spannungen, die es in Ravenna gegeben hat, im Prinzip darum, immer gegenüber der katholischen Kirche (wie auch gegenüber anderen Kirchen) als die Orthodoxie und als die orthodoxe Kirche – also im Singular – aufzutreten. Die Spannungen, von denen ich gerade gesprochen habe und von denen man weiß, dass es sie gibt, sind innerorthodoxe Spannungen. Die katholische Kirche war bisher immer gut beraten (das hat sie ja zum Glück so gemacht), nicht zu versuchen, diese Spannungen irgendwie für eigene Zwecke auszunutzen. Kardinal Kasper hat zum Beispiel sehr deutlich erklärt, dass das Problem, das damals in Ravenna zwischen der russischen Delegation und der Delegation aus Konstantinopel aufgetreten ist, ein Problem sei, das die Orthodoxie in sich lösen muss – und nicht etwas, wozu die katholische Kirche etwas beitragen kann."
Letzte Frage: Ist jetzt der Weg frei für ein erstes orthodoxes Großkonzil (oder eine Großsynode) seit etwa tausend Jahren?
„Das so genannte Pan-orthodoxe Konzil wird seit ca. fünfzig Jahren vorbereitet. Nach einer langen Phase der Stagnation hat dieser Prozess in den letzten Jahren einen gewissen Fortschritt gemacht, und es ist sicher so: Wenn der Besuch erfolgreich verläuft und wenn man diese Dinge besprochen hat, dann ist das ein weiterer Schritt auf dem Weg zu dieser Pan-orthodoxen Synode, diesem Pan-orthodoxen Konzil." (rv)

Die Paulusgrotte – Keimzelle des maltesischen Christentums

Die Paulusgrotte gilt den Maltesern als jener Ort, an dem der heilige Paulus drei Monate lang unter den Römern gefangen saß und gelehrt hat. Unser Kollege Stefan Kempis war schon vor dem Papstbesuch dort und beschreibt seine Eindrücke vor Ort:
La Valletta, Busbahnhof, gleich vor den festungsartigen Mauern der Hauptstadt, die im 16. Jahrhundert von den Malteserrittern angelegt wurde. Von hier fährt Bus Nummer 81 in einen noch älteren Teil der Geschichte von Malta: 25 Minuten Fahrt für einen Sprung ins Jahr 60, in die Zeit des Apostels Paulus. Wir fahren nach Rabat, zur Pauluskirche: In der alten Grotte darunter soll der Völkerapostel, wie die letzten Seiten der „Apostelgeschichte" erzählen, drei Monate lang gelebt und gelehrt haben, als Gefangener des Römischen Reichs. Der Bus fährt durch mehrere Städte und Dörfer, aber man merkt kaum die Übergänge, eher ist es, als fahre man durch immer neue Viertel immer der gleichen Stadt. Fernab der Küste ist Malta leicht hügelig, windig, trocken: Überall Kakteen, Palmen, gelblicher Stein.
Ankunft in Rabat: Das Städtchen, in dem auch Benedikt XVI. bei seinem Besuch übernachtet, liegt wie ein Adlernest auf einer Kuppe, beherrscht von der Silhouette der barocken Basilika, mit ihrer rotweißen Kuppel. Im Innern des Gotteshauses barocker Überschwang; Arbeiter legen letzte Hand an. Ein paar Stufen hinunter in die dunkle Krypta, dann öffnet sich ein Gittertor zu einer Art Höhle: Hier in diesem kleinen Raum schlug also die Stunde Null für Maltas Christentum.
„Paulus ist unser Vater", erklärt mit großer Selbstverständlichkeit Luis Suban, der Erzpriester der Basilika. „Er ist unser Vater im Glauben. Da ist es doch natürlich, dass der Papst 1.950 Jahre nach Paulus` Schiffbruch nach Malta kommt… Übrigens", so glaubt Suban, „hat der Papst ja sowieso ein Faible für Malta. Sein zweiter Sekretär kommt von hier und ein enger Mitarbeiter in der Glaubenskongregation, und wäre er nicht zum Papst gewählt worden, wäre er im Juni 2005 nach Malta gekommen – das war schon alles geplant. Ich hoffe, wir bereiten ihm einen schönen Empfang – der Besuch wurde ja im Februar angekündigt, und wir sind immer noch nicht fertig mit den Vorbereitungen…"
Die Grotte ist klein und eng; Besucher haben sie im Lauf der Jahrhunderte erweitert, indem sie Staub von den Wänden kratzten, galt dieser doch als wundertätig, als Heilmittel gegen Schlangengift.
„Da, wo die heutige Kirche liegt, war der Stadtrand des antiken Melite; hier, gleich vor den Toren der Stadt, war das römische Gefängnis. Und das hier ist eine Zelle dieses römischen Kerkers… Die Statue dort kommt aus der Schule des Bernini, sie wurde von einem Großmeister des Barock hier aufgestellt. Dann sieht man hier Bilder von Johannes Paul II., der ebenfalls 1990 diesen Ort besucht hat – er hat hier zwanzig Minuten lang alleine gebetet! -, und das hier sind Lampen, die die Johanniter und Malteserritter gestiftet haben. Hier schließlich sehen Sie vier Lampen, die Papst Paul VI. gestiftet hat. Und diese Treppen dort führen in die Katakomben…"
„Paulus-Katakomben" – am Eingang zu diesem Komplex kommen wir später vorbei, als wir wieder draußen sind an der frischen Luft. Der christliche Friedhof stammt aus dem vierten Jahrhundert – erster sicherer Nachweis für eine christliche Gemeinde auf der Insel, wenn man vom Zeugnis der „Apostelgeschichte" einmal absieht. Rabats Gassen sind eng, gewunden, orientalisch. In einem mit Büchern nur so vollgestopften Zimmer besuchen wir noch auf einen Sprung den wohl eminentesten Paulusforscher der Insel, den Priester John Azzopardi – er kommt aus einer der bekanntesten Familien von Malta.
„Ich habe immer in einem Paulus-Ambiente gelebt", sagt Azzopardi, „alle meine Forschungen kreisen darum. Paulus auf Malta – das ist eine eigene Kultur für sich. Er ist ein Symbol, er hat einen wichtigen Teil von Maltas Identität mitgeformt. Darüber habe ich übrigens gerade ein Buch geschrieben, das ich heute abend im Büro des Ministerpräsidenten vorstelle… Wir sind das einzige Volk der Welt zusammen mit Griechenland, das den von Paulus gebrachten Glauben bis heute bewahrt hat. Und wir sind die einzigen überhaupt, die ihn nicht nur Völkerapostel nennen, sondern unseren Vater! Genau das steht auch in einer schönen lateinischen Inschrift über der Paulusgrotte: Anderen ist er Lehrer, uns ist er Vater…"
Azzopardi kann beredt schildern, wie herzlich Paulus, obzwar Gefangener, von den Maltesern dereinst aufgenommen worden ist. Wenn Paulus allerdings heute Schiffbruch vor Malta erleiden würde – das weiß auch der Geistliche – dann würde er ohne große Umstände in ein Internierungslager für Immigranten geschafft.
„Wissen Sie, die Immigration bedeutet für uns große wirtschaftliche Probleme… Unmenschliche Bedingungen in den Lagern? Naja – vielleicht aus der Sicht unserer Bequemlichkeiten. Aber die Zahl der Ankömmlinge ist so groß und die Probleme so schwerwiegend… die Regierung gibt sich schon große Mühe."
Es wird Abend: Bus Nummer 81 schaukelt zurück nach La Valletta. An Bord auch einige Immigranten mit schwarzer Hautfarbe. Hinter uns zurück bleibt die beeindruckende Silhouette von Rabat. (rv)

Dossier: Papst und Missbrauch

Wiederholt sich die Geschichte einfach? Letztes Jahr stand der Papst wegen der Piusbrüder im Kreuzfeuer der Kritik – dieses Jahr sind es die Missbrauchsfälle. Und wieder ist ein großes Fremdeln zu spüren zwischen dem Vatikan und den westlichen Gesellschaften. Natürlich kann man mit dem Bewusstsein von heute kritisch darauf blicken, wie die Kirche in der Vergangenheit mit Missbrauchsfällen umgegangen ist. Aber eines muss man auch mal sehen: Benedikt XVI. hat es bei diesem Thema nie an Klarheit und Strenge fehlen lassen. Ein Dossier von Stefan Kempis.

„Tiefe Scham“, ein Gefühl des „Verrats“, Anerkennen der Schuld der Kirche, Strenge im Umgang mit den Tätern, Hilfe für die Opfer, moralische Erneuerung des Klerus und der Gesellschaft – das sind seit seinem Amtsantritt vor fünf Jahren die Kernpunkte im Denken Benedikts zum Thema Missbrauch. Immer wieder hat er Klartext gesprochen, wenn das Thema in einer Ortskirche aufkam: in Irland, den USA, Australien, Kanada. Nur eine Woche, nachdem der Skandal in diesem Frühjahr auch die deutsche Ortskirche erreicht hat, sagt der Papst am 8. Februar 2010 vor seinem Familienrat:

„Die Kirche hat sich, dem Beispiel Christi folgend, über Jahrhunderte hinweg dem Schutz der Würde und der Rechte Minderjähriger verpflichtet. Und auf vielfältige Art und Weise hat die Kirche für sie Sorge getragen. Leider gibt es verschiedene Fälle, wo einige Glieder der Kirche diese Rechte verletzt haben und damit entgegen dieser Verpflichtung handelten. Diese Handlungsweise missbilligt und verurteilt die Kirche. Und das wird sie zu jeder Zeit tun! Die Fürsorge und die Lehre Jesu, der die Kinder zu Vorbildern dafür erklärt hat, in das Reich Gottes zu gelangen, stehen uns als eindringlicher Appell vor Augen, Kindern mit größtem Respekt und aufmerksamer Zuvorkommenheit zu begegnen. Die scharfen Worte Jesu gegen diejenigen, die „einen dieser Kleinen zum Bösen verführen“ (Mk 9,42), lehren uns, von dem Weg der Liebe und des Respekts im Umgang mit Kindern niemals abzuweichen!“

Zurück an den Beginn des Pontifikats. Es ist der 28. Oktober 2006, als Benedikt den irischen Bischöfen ins Stammbuch schreibt:

„Es ist wichtig, die Wahrheit über das, was in der Vergangenheit geschehen ist, herauszufinden. Dann muss alles getan werden, damit sich so etwas in Zukunft keinesfalls wiederholt; alle Prinzipien der Gerechtigkeit müssen voll respektiert werden – und vor allem muss den Opfern und allen, die von diesen schrecklichen Verbrechen betroffen sind, Heilung vermittelt werden!“
Am 15. April 2008 bricht Benedikt XVI. zu einer Reise in die USA auf – zu einer Ortskirche, die von furchtbaren Missbrauchsskandalen erschüttert worden ist. Noch im Flugzeug sagt er zu Journalisten:

„Wir werden Pädophile rigoros aus dem Priesterstand ausschließen – das ist absolut miteianander unvereinbar. Wer pädophil ist, kann kein Priester sein! Auf diesem ersten Niveau können wir Gerechtigkeit herstellen und den Opfern helfen, die so schwer geprüft sind. Und dann ist da noch eine seelsorgliche Ebene: Die Opfer brauchen Heilung und Hilfe, Betreuung und Versöhnung.“

Einen Tag später trifft der Papst die Bischöfe der USA in Washington und spricht von „tiefer Scham“ angesichts der Skandale. Das „zutiefst unmoralische Verhalten vieler Priester“ bereite ihm „enormen Schmerz“, das nicht einfache Thema sei von der Kirche – so Benedikt wörtlich – „oft auf die schlechtestmögliche Weise gehandhabt worden“. Er drängt die Oberhirten, „Maßnahmen und Strategien“ zum Schutz der „Verletzlichsten“, nämlich der Kinder, zu ergreifen:

„Kinder verdienen es, mit einem gesunden Bild von Sexualität und ihrer Rolle in den menschlichen Beziehungen aufzuwachsen. Man sollte ihnen die degradierenden Bilder und die vulgäre Manipulation der Sexualität, die heute vorherrscht, ersparen; sie haben ein Recht darauf, zu den authentischen moralischen Werten erzogen zu werden, die in der Würde der menschlichen Person verwurzelt sind.“

Wieder einen Tag später kommt Benedikt auf das Thema zurück – bei der großen Messe im „Nationals Stadium“ der US-Hauptstadt:

„Mir fehlen die Worte, um den Schmerz und den Schaden zu beschreiben, den solcher Missbrauch anrichtet! Es ist wichtig, dass allen Betroffenen liebevolle pastorale Aufmerksamkeit geschenkt wird. Der Schaden, der im Innern der Kirche angerichtet ist, läßt sich kaum in Worte fassen. Aber es sind auch schon große Anstrengungen unternommen worden, um diese tragische Situation ehrlich und gerecht anzugehen. Es muss sichergestellt werden, dass die Kinder, die unseren größten Schatz ausmachen, in einem sicheren Umfeld aufwachsen!“
Noch am gleichen Tag empfängt der Papst in der Nuntiatur in Washington einige Missbrauchsopfer, hört ihnen zu, tröstet sie, spricht auch mit ihren Angehörigen. Es ist ein privater Moment, bei dem keine Kameras zuschauen. Drei Monate später dann ein ähnliches Bild – diesmal in Australien, wo Benedikt am Weltjugendtag teilnimmt. In Sydney trifft er sich am 21. Juli am Rand einer Messe mit einer Opfergruppe. Schon auf dem Hinflug hat er am 12. Juli erneut Pädophilie scharf verurteilt – und auch eine gewisse Denkrichtung, die in den letzten Jahrzehnten versucht hat, Pädophilie hoffähig zu machen:

„Nun, da muß ich ganz klar sein: das war niemals eine katholische Lehre. Es gibt Dinge, die immer schlecht sind, und Pädophilie ist immer schlecht. In unserer Ausbildung, in den Seminarien, in der ständigen Weiterbildung der Priester müssen wir den Priestern helfen, … Helfer und nicht Feinde unserer Mitmenschen … zu sein. Daher werden wir alles in unserer Macht Stehende tun, um zu erklären, was die Lehre der Kirche ist, und in der Ausbildung und Vorbereitung von Priestern helfen, in der ständigen Weiterbildung, und wir werden alles in unserer Macht Stehende tun, um die Opfer zu heilen und zu versöhnen. Ich denke, dies ist der wesentliche Inhalt des Wortes »um Entschuldigung bitten«. Ich denke, daß es besser und wichtiger ist, den Inhalt der Formel zu geben, und ich bin der Ansicht, daß der Inhalt besagen muß, was in unserem Verhalten unzureichend war, was wir in diesem Moment tun sollen, wie wir es verhindern und wie wir alle heilen und versöhnen können.“

Das ist ein aufschlußreiches Zitat des Papstes auch angesichts der jetzigen Skandale: Der Papst sucht nicht die symbolträchtige, aber schnelle Geste der Entschuldigung – auch wenn das in diesem Moment seiner Popularität sicher aufhelfen könnte. Er will stattdessen zeigen, dass die Kirche wirklich aus den Skandalen lernt und das Problem an der Wurzel angeht. Zu einem Treffen mit Missbrauchs-Opfern ist Benedikt auch künftig bereit – das schreibt er in seinem Brief an die irischen Katholiken vom März. Unser Fazit: Nein, Benedikt XVI. hat nicht geschwiegen zum Thema Missbrauch. Von Anfang an nicht. (rv)