VATIKANSTADT – Wenn der vergangene Woche vorgelegte 12-Punkte-Plan des Papstes zur Kurienreform eines zeigt, dann, dass Franziskus eine Vision einer einfacheren, weniger klerikalen Kirche hat, die aber steht und fällt mit einer Frage: der persönlichen Bekehrung.
In seinem am 22. Dezember vorgelegten Reform-Katalog betonte der Papst gegenüber Kardinälen und ranghohen Kurienvertretern, dass seine Reform nur effektiv sein werde, wenn sie von Männern und Frauen ausgeführt werde, die sich selber als praktizierende Katholiken neu bekehren, nicht einfach nur neues Personal darstellen. Franziskus wörtlich:
Es genügt nicht, sich damit zufrieden zu geben, das Personal auszutauschen, sondern die Kurienmitglieder müssen dazu gebracht werden, sich geistlich, menschlich und beruflich zu erneuern. Die Kurienreform verwirklicht sich keineswegs mit dem Wechsel der Personen – was gewiss geschieht und geschehen wird –, sondern mit der Umkehr in den Personen.
Der Papst bediente sich erneut einer medizinischen Sprache, die klar machte, dass er nicht nur die Kirche als „Feldlazarett“ sieht, sondern auch das Personal und die Organisation des Lazaretts umbaue, weil er Symptome an der Kurie selber feststellt – wie er in seiner ersten Weihnachtsansprache 2013 direkt sagte.
Die diesjährige Ansprache über „Diagnose und Operation“, über „Krankheit und Heilung“ steht also in einer jungen Tradition von Reden, mit der Franziskus der Kurie statt der sonst in Weihnachtsansprachen üblichen Anerkennung eine Analyse vorlegt. Waren es 2013 noch Krankheitssymptome, im darauffolgenden Jahr therapeutische Maßnahmen, so sind es in diesem Jahr 12 Leitlinien, geschildert über sieben Seiten.
Bereits im ersten Jahr hatte diese Art päpstlicher Ansage, darunter der Vorwurf „spirituellen Alzheimers“, zu Weihnachten stellenweise für Unmut gesorgt, nicht nur unter den – auch und gerade im deutschen Vergleich – oft schlecht bezahlten, aus Überzeugung Dienst versehenden Angestellten des Vatikan.
Der Priester Alexander Lucie-Smith schreibt im „Catholic Herald“, dass Mitarbeiter früher eine Flasche Prosecco und ein Panettone zu Weihnachten erhalten hätten; von Franziskus erhielten sie dieses Jahr als Geschenk ein Buch über geistliche Krankheiten. „Zweifelsohne eine fröhliche Weihnachtslektüre“, kommentiert trocken Dr. Lucie-Smith.
Aufmerksam gemacht auf dieses Buch habe ihn Kardinal Walter Brandmüller, sagte der Papst; einer der vier Kardinäle, deren fünf Fragen zu Amoris Laetitia bis heute einer Beantwortung harren.
Doch geht es bei der Frage der Kurienreform nicht um die gleichen wie bei den Fragen der Dubia, zumindest nicht direkt.
Vielmehr geht es Beobachtern zufolge um die Frage, ob der Papst mit seiner Kurie die richtigen Reformen verfolge, die er oft mit päpstlichem Beschluss verordnet. Und ob der Heilige Vater dabei auch mit der Unterstützung seiner ihm zuarbeitenden Schäfchen rechnen kann; tatsächlich hat Franziskus explizit an seine Autorität als Papst appelliert mit der Aufforderung, „den Römischen Pontifex zu unterstützen in der Ausübung seiner einzigartigen, allgemeinen vollen, höchsten, unmittelbaren und universalen Macht“.
Der Schlüssel, mit dem die Rede des Papstes, ja, mehr als seine ganze Kurienreform zu verstehen ist, ist jedoch ein anderer. Es ist der eine Punkt, auf den sowohl seine Reform gebracht werden kann, als auch ein Großteil des ganzen Pontifikats.
Bekehrung bedeutet Heiligung, nicht nur Heilung
Die 12 „Leitlinien“ des Papstes sind sehr unterschiedliche Begriffe und Anliegen, die sich auf den ersten Blick schwer auf einen gemeinsamen Nenner bringen lassen. Namentlich führte Franziskus Individualität, Hirtensorge, Missionsgeist, Rationalität, Funktionsfähigkeit, Modernität, Einfachheit, Subsidiarität, Synodalität, Katholizität, Professionalität und Gradualität ins Feld.
Was alle diese Punkte bei genauerem Hinsehen gemeinsam haben? Als Thema kommt in allen immer wieder die Bekehrung zur Sprache. Gleich im ersten Punkt, der „Individualität“, betont der Heilige Vater die „Bedeutung der individuellen Umkehr, ohne die alle strukturellen Veränderungen nutzlos sein werden“. Die wahre Seele der Reform, so Franziskus, sind die Menschen.
Was meint der Papst mit „Bekehrung“ und „Umkehr“, mit Konversion? Im katholischen Sinn bedeutet sie immer und ausschließlich die Hinwendung zu Gott, aber auch die Nachfolge Jesu. Ihn zu kennen, zu lieben, und ihm zu dienen ist der Sinn des christlichen Lebens, kurzum: Die Heiligung.
So wie es Aufgabe und Lebensinhalt jedes Christen ist, sich in seiner Berufung zu heiligen, so können die 12 Prinzipien des Papstes gelesen werden als Leitlinien nicht etwa zu einer medizinischen Heilung; sondern, was unendlich wichtiger und relevanter ist, einer Heiligung. Zur Heiligung gehört die Heilung von Sünde. Und genau das ist der Punkt.
Die Betonung der Heiligung durch Umkehr ist also kein Angriff auf die Kurie, sondern ein Angriff auf die Sündhaftigkeit, und wie sich diese in der Kirche manifestiert. Die Reform des Papstes ist letztlich Bekehrung: Sie ist das positive Ziel seiner Bemühungen.
Wer den Papst schon länger kennt, weiß: Diese Betonung der Heiligung ist nichts Neues. Auch schon in seiner Zeit in Buenos Aires war dies der Fall.
„Es ist unmöglich, den Papst ohne diesen Begriff zu verstehen“
In seinem 2010 erschienen Buch „On Heaven and Earth“ (Über Himmel und Erde), einem Dialog mit seinem Freund Abraham Skorka, dem Rabbiner und Gelehrten aus Buenos Aires, spricht der damalige Erzbischof der Stadt argentinischen Hauptstadt über ganz unterschiedliche Themen; mit Abstand das deutlichste ist jedoch die Zentralität der Heiligkeit in der Mission der Kirche.
Die Heiligkeit sei „ein Sprungbrett in die Transzendenz“ und unverzichtbar für die Führung religiöser Gemeinschaften, so Bergoglio im Buch.
„Was die Religion betrifft, ist Heiligkeit unverzichtbar für einen Anführer“, sagte er, und mit Blick auf Zeiten, in denen die Kirche mit Korruption und anderen Schwierigkeiten rang, fuhr er fort, dass die Religion zurückkehrte wenn Persönlichkeiten wie die kürzlich heiliggesprochene Mutter Theresa von Kalkutta den „religiösen Eifer wiederbelebten“.
Alejandro Bermudez, Direktor der internationalen Catholic News Agency, zu der auch CNA Deutsch gehört, und Übersetzer des Buchs aus dem Spanischen ins Englische, sagte im April 2013, keine zwei Monate nach der Wahl Bergoglios zum Papst: „Es ist unmöglich irgendetwas zu verstehen von dem, das dieser Papst tut, ohne zu wissen, was persönliche Bekehrung ist“.
Der CNA-Direktor verwies auch auf die grundlegende jesuitische Tradition der Bildung des Herzens, die „Hand in Hand“ gehe mit der Vorstellung, die der Papst von Bekehrung habe.
Bermudez, der Franziskus mehrfach interviewte als dieser noch in Buenos Aires war, betonte, dass „nur eine Bekehrung der Herzen einen Wandel in der Kirche bringen wird, und ein Wandel in der Kirche wird einen Wandel von Gesellschaft und Kultur erringen.“
„Für Papst Franziskus führt kein Weg an dieser Tatsache vorbei: Dass dies nur durch ein bekehrtes Herz möglich ist“.
Die strenge Ansage des Papstes mag einige Hörer verletzt und sich nach einem barmherzigeren Ton sehnen haben lassen. Doch Franziskus scheint hier davon auszugehen, dass ein wenig „liebevolle Strenge“ nötig ist, statt Schulterklopfens und warmer Worte.
Mit Blick auf den Gesamtkontext des Reform-Mandats, mit dem der Papst gewählt wurde, wird so klar: Der Heilige Vater will nicht einzelne Verantwortliche aussondern, sondern lädt Mitglieder der Kurie ein, sich einer gründlichen Gewissensprüfung zu unterziehen, während seine Reform-Maßnahmen Schritt für Schritt umgesetzt werden.
In der Prüfung des eigenen Gewissens sollen die Mitarbeiter erkennen, ob sie an einer der 15 Krankheiten leiden, die der Papst in seiner ersten Rede anführte – und sich mit Hilfe der richtigen christlichen Tugenden davon heil(ig)en.
Schließlich ist die Kirche letzten Endes nicht dazu da, den Menschen zu helfen, sich besser zu fühlen sondern sich zu heiligen: Immer mehr „konform“ mit Jesus und seiner Frohen Botschaft zu leben. Darauf scheinen die Reformpläne des Papstes zu basieren – und abzuzielen. (CNA Deutsch)