Die Forderung einer Gruppe ultraorthodoxer Juden nach Geschlechtertrennung im öffentlichen Leben erhitzt in Israel die Gemüter. Eine strenggläubige jüdische Gruppe hatte Frauen unter anderem dazu aufgefordert, vor den Synagogen auf die andere Straßenseite zu wechseln, in Bussen und Straßenbahnen hinten zu sitzen, sich im Supermarkt in getrennte Schlangen an der Kasse zu stellen sowie bei Wahlen eigene Wahlurnen zu benutzen. Die Forderung geht von einer ultraradikalen Minderheit aus, die bereits in der Vergangenheit durch ähnliche Aktionen auf sich aufmerksam gemacht hat, erklärt Petra Heldt, Dozentin an der Hebräischen Universität in Jerusalem und Direktorin der ökumenischen theologischen Forschungsgemeinschaft in Israel. Frauenrechte seien durch deren Forderungen aber nicht ernsthaft gefährdet – das ließen israelische Gläubige, Bürger und Politiker mitnichten zu, gibt Heldt im Interview mit Radio Vatikan Entwarnung.
„Das ist eine superkleine, extreme Gruppe. Die gesamte Knesset, also das gesamte religiöse Management in Israel, ist dagegen. Der Leiter der großen Schas-Partei hat sich zum Beispiel völlig gegen diese Forderungen gestellt. Bei den Demonstrationen gegen die Diskriminierungen sind auch sehr viele andere orthodoxe Juden zu sehen gewesen – es gibt wirklich eine landesweite Empörung gegen diese Gruppe."
Am Dienstag vor Weihnachten waren Tausende Menschen in Israel gegen religiösen Extremismus und Diskirminierung von Frauen auf die Straße gegangen. Daraufhin hatten am vergangenen Samstagabend etwa 1.000 ultraorthodoxe Haridim-Juden mit einer Gegendemonstration auf angebliche „Verfolgung durch die nichtreligiöse Mehrheit" reagiert. Einige von ihnen trugen dabei gelbe Judensterne und Sträflingskleidung. Dass die Gruppe den Gegenwind in Israel in Bezug zum Holocaust setzt, sei als medienwirksame Propanganda zu verstehen, so Heldt. Diese gehöre in den Kontext eines schon seit den 50er Jahren andauernden „ideologischen Kampfes" der Gruppe gegen den Staat Israel. Heldt:
„Sie sind bekannt dafür, dass sie die Nazi-Elemente als ihre Argumente bringen. Das ruft in Israel nur Abscheu hervor. Ich habe heute Morgen im Radio ein Interview mit einem Israeli gehört, dessen Mutter den Holocaust überlebt hat, als nahezu Einzige der Familie. Und der Mann sagte, dass die Aktion der Haridim-Juden eine Verunglimpung des Gedenkens der sechs Millionen ermordeten Juden sei."
Mit Empörung auf die Aktion reagierte auch der Leiter der Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem, Avner Schalev. Er sagte dem israelischen Rundfunk am Sonntag, der Missbrauch des Holocaust sei inakzeptabel und verstoße gegen grundlegende jüdische Werte. Die Gemeinschaft der ultraorthoxen Juden in Israel wächst, auch weil sie kinderreiche Familien bilden: So stammt inzwischen jeder vierte Schulanfänger aus dieser Gruppe. Dass damit aber auch Ansichten zunehmen, die Menschenrechte einschränken, glaubt Heldt nicht.
„Insgesamt stimmt es, dass die Orthodoxen in Israel wachsen. Aber die meisten von ihnen sind ja in Israel völlig integriert – vom Kindergarten bis in die Verwaltung und Forschung, überall. Abgesehen von solchen ultraorthodoxen Gruppen, die den Staat Israel nicht anerkennen, anerkennen alle anderen Orthodoxen Israel ohne Wenn und Aber."
Auslöser für den Konflikt um die Geschlechtertrennung war eine Reihe von Übergriffen radikaler frommer Juden gegen Mädchen und Frauen gewesen. So war eine Soldatin von einem ultraorthodoxen Juden als "Hure" geschimpft worden, als sie sich weigerte, auf seine Anweisung hin im hinteren Teil eines öffentlichen Busses Platz zu nehmen. Weiter war eine achtjährige Schülerin von mehreren erwachsenen Männern beschimpft und sogar angespuckt worden, weil sie ihren Vorstellungen von keuscher Bekleidung nicht entsprach. Der Übergriff auf das Kind hatte zu den ersten massiven Protesten in der israelischen Bevölkerung geführt. (rv)