Einen militärischen Eingriff im Nordirak, sofortige humanitäre Hilfe und einen Stopp für Waffenlieferungen an Islamisten: das hält Erzbischof Silvano Maria Tomasi für die geeignete Strategie, um die blutige Krise des „Islamischen Staates“ einzudämmen. Erzbischof Tomasi ist ständiger Beobachter des Heiligen Stuhles bei der UNO in Genf. Er sagte uns:
„Die Notwendigkeit, die Christen im Nordirak auch physisch zu schützen, ist evident. Man muss humanitäre Hilfe leisten, Wasser und Nahrung liefern, denn Kinder und Alte sterben dort bereits aus Mangel an Nahrung. Sie mussten gehen ohne irgendetwas, nur in ihrer Kleidung. Man muss sofort helfen, ehe es zu spät ist. Eine Militäraktion ist vielleicht in diesem Moment nötig, es scheint mir aber auch dringend, dass alle jene, die Fundamentalisten mit Geld und Waffen versorgen – einschließlich der Länder, die sie stillschweigend unterstützen – aus der Deckung kommen und diese Unterstützung einstellen, denn sie ist weder für Christen noch für Muslime gut.“
Tomasi sprach von einer „neuen Tragödie im Mittleren Osten“: die grundlegendsten Menschenrechte Zehntausender Menschen und ganzer Gemeinschaften seien verletzt. Die Tatsache, dass es sich bei vielen Opfern um Christen handle, mache die Sache in der westlichen Öffentlichkeit ambivalent.
„Wir stehen vor einer komplizierten Lage. Einerseits sind da die Fundamentalisten, die im Namen eines Kalifates, das sie errichten wollen, zerstören und erbarmungslos morden. Auf der anderen Seite sehen wir eine gewisse Gleichgültigkeit der westlichen Welt. Wenn es Christen sind, deren Rechte es zu verteidigen gilt, gibt es da eine falsche Scham. Es ist ein Moment, in dem die Stimme des Gewissens klar und laut sprechen muss.“
Tomasi beobachtet aber auch eine langsam einsetzende Haltungsänderung bei der internationalen Gemeinschaft. Der Generalsekretär der UNO habe endlich von „inakzeptablen Verbrechen“ durch den „Islamischen Staat“ gesprochen und ausdrücklich als Opfer die Christen benannt. Auch der UN-Sicherheitsrat habe über die Minderheiten im Mittleren Osten gesprochen, besonders die christlichen.
„Neu scheint mir zu sein, dass einige Muslime – etwa der Generalsekretär der Organisation für Islamische Zusammenarbeit – sich ziemlich deutlich ausgedrückt haben, als sie die Christenverfolgung im Irak verurteilten. So wurde von islamischer Seite nicht nur das Recht der Christen auf Leben verteidigt, sondern auch ihr Recht, zu Hause zu leben wie alle anderen Bürger des Irak oder etwa Syriens. Ein Mittlerer Osten ohne Christen wäre eine Verarmung nicht nur für die Kirche, sondern auch für den Islam, dem dann ein Antrieb für Demokratie und ein Sinn für den Dialog mit dem Rest der Welt fehlen würde.“ (rv)