Ein Kommentar zur Veröffentlichung von Dokumenten aus dem US-State Department über den Vatikan. Von unserem Redaktionsleiter Pater Bernd Hagenkord SJ.
Wikileaks, so weit das Auge reicht. Seit gestern können wir im Internet und dann auch bei Zeitungen, im Radio und auf Websites lesen und hören, was US-amerikanische Diplomaten an Informationen aus dem Vatikan an die eigene Regierung weitergegeben haben. Viel Erhellendes habe ich bis jetzt nicht lesen können. Spannend ist nur, dass diese Berichte jetzt als Quelle für Nachrichten behandelt werden. Oder besser: Wie sie behandelt werden. „Laut den von Wikileaks veröffentlichten Geheimberichten" heißt es, und dann werden die Einschätzungen der Diplomaten als Tatsachen berichtet. Der Vatikan sei verärgert gewesen über dies und habe Unterstützung für jenes gezeigt. Aus der Wiedergabe dessen, was die Diplomaten gemeldet haben, wird in den Köpfen ganz schnell Information über den Vatikan, und das ist schlechter Journalismus.
Erstens gilt immer noch: Selber recherchieren! Es gibt keinen Grund, all das ohne Zusatzinformationen und ohne zumindest ein Basiswissen in Sachen Vatikan einfach so für bare Münze zu nehmen. Es handelt sich nicht um Stellungnahmen offizieller vatikanischer Vertreter, es handelt sich auch nicht um Dokumente aus dem Vatikan: Es ist eine in Diplomatensprache formulierte Wiedergaben dessen, was US-amerikanische Diplomaten für die Meinung einzelner Vatikanmitarbeiter halten. Das sind zwei völlig verschiedene Paar Schuhe.
Zweitens: Wenn ein Journalist investigativ tätig ist, wenn er versucht herauszubekommen, was andere lieber verheimlichen würden, dann hat das meinen Respekt. Solche Medien brauchen wir. Aber einfach alles, was da ist, ohne Differenzierung auf den Markt zu werfen und dann erst zu schauen, ob vielleicht etwas Interessantes dabei ist, das ist naiv. Und was Journalismus angeht, ist das sogar schädlich. Jedenfalls werden wir in näherer Zukunft keinen Bericht mehr über Diplomatie und internationale Beziehungen lesen, der nicht von US-Diplomaten und deren Dokumenten dominiert ist. Als ob die Meinung dieser Diplomaten die Richtschnur für Berichtenswertes sei. Ob das einer fairen Berichterstattung gut tut, bezweifle ich sehr stark. (rv)