Erzbischof Gerhard Ludwig Müller will die Polarisierungen in der Kirche überwinden helfen. Das sagte er im Interview mit Radio Vatikan. Mitte September beginnt im Vatikan traditionsgemäß das Arbeitsjahr nach den Ferien, für Erzbischof Müller ist es das erste Jahr in dieser Position in Rom. Er war am 2. Juli zum Präfekten der Glaubenskongregation ernannt worden. Pater Bernd Hagenkord hat mit ihm gesprochen.
Herr Erzbischof, ganz neu ist Ihnen die Glaubenskongregation ja nicht, sie sind ja bereits Mitglied gewesen, aber seit etwas über 80 Tagen haben Sie das Amt des Präfekten inne. Sind Sie schon in Ihrem neuen Amt und in Rom angekommen?
„Mental bin ich glaube ich schon angekommen, aber die Bücher und manche Einrichtungsgegenstände müssen noch etwas warten. Aber letztlich kommt es ja darauf an, was man hier zu tun hat und welchen Einsatz man erbringt für die Kirche. Wir wissen ja, dass viele Vorurteile gegen diese Kongregation bestehen. Aber die haben wenig mit der Realität zu tun."
Die Kongregation hat auch schwierige Aufgaben, im Gespräch waren jetzt der Konflikt mit den US-amerikanischen Schwestern und andere Dinge. Haben Sie das Gefühl, dass Sie sich da schon eingearbeitet haben oder braucht das noch seine Zeit, bis die Dinge auf Ihrem Schreibtisch angekommen sind?
„Bei dem Posten, den ich erhalten habe, kann man nicht viel Zeit darauf verwenden, sich einzuarbeiten. Man muss glaube ich schon schwimmen können, bevor man ins Wasser geworfen wird. Es war ja kein völliger Neuanfang, als Bischof hat man ja auch viel mit diesen Fragen zu tun. Auch vorher schon als Theologe. Ich war ja auch fünf Jahre als Mitglied der Glaubenskongregation tätig, insofern sind mir die Themen, die hier ankommen, nicht unvertraut."
Auf Ihrem Schreibtisch liegen auch andere unschöne Dinge, so gehört auch die Aufarbeitung der Missbrauchsfälle in die Glaubenskongregation. Wie weit ist Ihrem Eindruck nach der Vatikan dabei?
„Wie immer sind wir an der Spitze: Es muss immer und überall um die Menschen gehen, die Opfer solcher furchtbaren Übergriffe geworden sind. Es muss auch um die Täter gehen, um vorbeugend – soweit das überhaupt möglich ist – tätig zu sein. Trotzdem muss auch die Würde des Täters gewahrt werden. Was in der Öffentlichkeit im Sinne von Lynchjustiz gefordert wird, das ist eine Rechtsvorstellung, die auf dem Niveau von Hexenprozessen stehen geblieben ist. In Sachen Missbrauch gehen unsere Glaubenskongregation und in vielen Ländern die einzelnen Bistümer sehr konsequent vor, und hier sind wir, wie ich glaube, beispielhaft."
Sie beginnen Ihr erstes Arbeitsjahr gleich mit dem Paukenschlag Bischofssynode, aber Sie haben sicherlich auch persönliche Vorstellungen. Was wäre Ihr persönlicher Wunsch für dieses erste Jahr?
„Ich habe persönlich natürlich Überlegungen angestellt, wie ich diesen Posten ausfüllen kann. Ich bin ja, so glaube ich, nicht vom Heiligen Vater hergerufen worden, um eine bürokratische Stelle zu besetzen, sondern als Theologe. Deswegen habe ich die Überlegungen angestellt, woran es im kirchlichen Leben krankt.
In vielen Ländern gibt es eine Polarisierung: Traditionalisten gegen Progressisten oder wie man das immer nennen mag. Das muss überwunden werden, wir müssen in der Kirche eine neue und grundlegende Einheit finden. Eine Einheit in Christus, nicht eine programmatisch hergestellte Einheit, die dann von einem Parteiredner beschworen wird. Wir sind nicht irgendwie eine menschliche Gemeinschaft um ein Parteiprogramm herum oder eine wissenschaftliche Forschergemeinschaft, sondern unsere Einheit ist uns geschenkt. Wir glauben an die eine in Christus geeinte Kirche. Und wenn man an Christus glaubt, wirklich glaubt, und die ganze kirchliche Lehre nicht nur instrumentalisiert und einzelne Punkte für seine eigene Ideologie herausgreift, sondern sich vorbehaltlos auf Christus einlässt, dann ist auch die Einheit der Kirche wichtig. Dann wird die Kirche nicht, so wie es in vielen Stellen der Heiligen Schrift heißt, durch Eifersucht und Geltungstrieb der einzelnen auseinander gerissen. Das ist eine Grundidee und ein Vorhaben von mir: die innerkirchlichen Spannungen zu reduzieren." (rv)