In der Affäre um die Weitergabe vertraulicher Vatikandokumente setzt der Heilige Stuhl nun offenbar auf eine Medienoffensive. Vatikansprecher P. Federico Lombardi steht den Journalisten seit Montag täglich in einem Pressebriefing Rede und Antwort, die Vatikanzeitung „L´Osservatore Romano" publiziert an diesem Mittwoch auf der ersten Seite ein langes Interview mit Erzbischof Angelo Becciu. Er ist als Substitut im Staatssekretariat etwas wie der „Innenminister" des Heiligen Stuhles. Ebenfalls am Mittwoch publizierte die römische Tageszeitung „Il Messaggero" ein Interview mit Vatikankardinal Angelo Comastri, der so wie Becciu Italiener ist. Ziel der vatikanischen Medieninitative ist es offenbar, die immer blumigeren Hypothesen italienischer und internationaler Medien über den Datenschwund in die Schranken zu weisen und die jeweils publizierbaren Fakten weiterzugeben, ohne andererseits den laufenden Ermittlungen vorzugreifen.
„Ich halte die Veröffentlichung der entwendeten Briefe für einen immoralischen Akt von unerhörter Schwere", sagte Erzbischof Becciu im „Osservatore". Dabei gehe es nicht bloß um die Verletzung der Privatsphäre des Papstes, sondern besonders auch jener Menschen, die sich vertraulich an ihn als Kirchenführer gewendet hätten, die also beispielsweise, ihrem Gewissen folgend, dem Papst ihre Anregungen und Proteste mitgeteilt hätten. „Wenn ein Katholik zum Papst spricht, ist er verpflichtet, sich zu öffnen wie vor Gott, auch weil ihm absolute Vertraulichkeit zugesichert ist", so Becciu wörtlich.
In vielen Zeitungs- und Internetartikeln ortete Becciu „eine grundlegende Scheinheiligkeit". Einerseits kritisiere man den absolutistischen Charakter der Regierung der Kirche, „andererseits erregt man sich darüber, dass Menschen, die dem Papst schreiben, ihre Ideen oder auch Klagen über die Art des Regierens" in der Kirche ausdrückten. Viele der vertraulichen Dokumente spiegelten nicht etwa Machtkämpfe oder Rachegelüste, sondern „genau jene Freiheit des Denkens", die die Kirche angeblich nicht zulasse. Im Vatikan verschiedene Ansichten zu haben, die auch deutlich voneinander abweichen können, sei „ziemlich normal": „Wir sind keine Mumien", so Becciu wörtlich. Gehorsam bedeute keineswegs, auf ein eigenes Urteil zu verzichten, sondern seine Sichtweise aufrichtig darzulegen, um sich dann nach der Entscheidung des Vorgesetzten zu richten. Das geschehe „nicht aus Berechnung, sondern aus Zugehörigkeit zur von Christus gewollten Kirche".
Gift, Grabenkämpfe, Verdächtigungen: ein solchese Klima erlebe er selbst im Vatikan nicht, fuhr Becciu fort. Dass dieses Bild vom Vatikan verbreitet sei, tue ihm leid. „Aber das muss uns zu denken geben und uns dazu bringen, ein Leben durchscheinen zu lassen, das mehr an der Frohen Botschaft ausgerichtet ist".
Nicht gelten ließ Becciu das Argument, die Veröffentlichung der Dokumente sollen nur für mehr Transparenz im Vatikan sorgen. Es könne keine „Erneuerung" geben, die das moralische Gesetz mit Füßen trete. „Das Ziel heiligt die Mittel, das ist kein christliches Prinzip", so der Erzbischof. Journalisten rief er dazu auf, „mutig auf Distanz zu gehen" zur „kriminellen" Initiative eines ihrer Kollegen. (rv)