Vorhof der Völker: „Berlin ist keine spirituelle Wüste“

Der Berliner Kardinal Rainer Maria Woelki ist ausgesprochen angetan vom „Vorhof der Völker" und hofft, dass die katholische Kirche in der Hauptstadt die entstandenen Gespräche weiterführen kann. Das sagte er zum Abschluss der vatikanischen Initiative, die Glaubende und Nichtglaubende in einen Dialog ziehen will, gegenüber Radio Vatikan am Donnerstagabend in Berlin. „Auch wenn wir das mit der Theologischen Fakultät nicht hinbekommen, wie wir uns das gedacht hatten, ist aber doch die Idee, dass wir uns einen Raum schaffen, von dem wir aus das Gespräch in diese säkularisierte Stadt hinein suchen wollen, weiterhin lebendig, und daran arbeiten wir", so der Berliner Erzbischof. Er hoffe längerfristig auf ein „wie auch immer geartetes Kolleg oder Wissenschaftskolleg hier in Berlin" um in Kunst, Kultur, Wirtschaft, Wirtschafts- oder Medizinethik die Auseinandersetzung mit Nichtglaubenden zu suchen.

Berlin sei „keine spirituelle Wüste", betonte Woelki, das Evangelium habe in der Stadt „ein ganz konkretes Gesicht", das zeige in diesen Tagen etwa die Aufnahme von Lampedusa-Flüchtlingen durch die Caritas. Den „Vorhof der Völker" nannte Woelki „imponierend": „Ich bekomme von allen positive Rückmeldung. Für uns als katholische Kirche in der Stadt ist es eine ganz wichtige Erfahrung, dass wir auch in der Öffentlichkeit so wahrgenommen werden als Einrichtung, die aus unserem Weltbild und von unserem Glauben her zu wichtigen Fragen menschlicher Existenz Stellung nimmt." (rv)

Vorhof der Völker in Berlin: „Der Kalte Krieg ist zu Ende“

RavasiEndlich eine echte Debatte und nicht nur ein feierliches Aneinander-Vorbei-Reden wie so oft bei italienischen Ausgaben des „Vorhofs der Völker"! Das sagte einer der Organisatoren der Gesprächsinitiative nach den ersten Stunden des Berliner „Vorhofs"; er war rundum zufrieden. Nicht immer komme man so schnell hinein in den Dialog zwischen Glaubenden und Nichtglaubenden. Tatsächlich waren im Festsaal des Roten Rathauses am Dienstagabend auch viele deutliche Worte gefallen. So nannte etwa der Philosoph Herbert Schnädelbach, nach eigener Aussage ein „frommer Atheist", das Motto der ersten Gesprächsrunde „absurd" und „intellektuelle Panikmache".

Dieses Motto war einem Werk von Dostojewski entlehnt und lautete: „Wenn es keinen Gott gibt, ist alles erlaubt." Kardinal Gianfranco Ravasi vom Päpstlichen Kulturrat, der das Zitat ausgewählt hatte, räumte ein, es sei tatsächlich „provozierend".

„Freilich breitet sich in unseren Tagen immer stärker eine Art Nebel aus, der sowohl die echte Religion als auch den eindeutigen, strengen Atheismus verschwimmen lässt und umhüllt. Dabei handelt es sich eher um ein soziologisches als ein weltanschauliches Phänomen: es ist die Gleichgültigkeit, die Oberflächlichkeit, Banalität, sarkastischer Spott. In dieser Stimmung herrscht oft der Mythos über den Logos, das Pamphlet ersetzt den analytischen Aufsatz, die fundamentalistische Lesart ist stärker als das kritische Abwägen der Positionen… Diesen echten Erkrankungen sowohl des Unglaubens als auch der Religion kann, so meine ich, der Dialog eine Erwiderung anbieten!"

Kardinal Ravasi sprach von „zwei unterschiedlichen Lehren vom Menschen, zwei unterschiedlichen existenziellen Wegen, zweierlei Humanismen": Der eine „mit Gott" und der andere ohne Gott. Nichtgläubige hätten ihren Bezugspunkt „im Individuum, im Subjekt, das seine eigene ethische Ordnung sucht"; religiöse Menschen hingegen glaubten, „dass die Wahrheit, die Natur, die sittliche Ordnung uns vorausgehen und uns übersteigen". Der „Vorhof der Völker" gehöre nach Berlin, weil die deutsche Hauptstadt in gewisser Hinsicht eine „spirituelle Wüste" sei. Dem widersprach heftig Berlins Bürgermeister Klaus Wowereit: Es gebe zwar eine religions- und konfessionslose Bevölkerungsmehrheit in der Stadt, aber gleichzeitig über 250 aktive Religionsgemeinschaften, das mache sie zur „religiös vielfältigsten in Europa". „Gottlos ist Berlin also sicher nicht." Dass Berlin aber allemal der richtige Schauplatz für den deutschen „Vorhof der Völker" ist, darin waren sich alle einig, auch der frühere Bundespräsident Horst Köhler.

„Berlin ist ein guter Ort für diesen Dialog. Das gilt zum einen für die Berliner selber, zum anderen aber brauchen wir diesen Dialog für die Welt. Es gibt nun einmal unterschiedliche Auffassungen über Religion, über Gerechtigkeit oder Wahrheit; wir brauchen den Dialog, wo unterschiedliche Auffassungen aufeinanderprallen und über diese Unterschiedlichkeit deutlich geredet wird. Ich bin sehr dankbar dafür, dass der Kardinal hier ist, und nehme es als eine Ermunterung, darauf aufzubauen."

Beim „Vorhof der Völker" „kommt zusammen, was zusammen gehört", formulierte Berlins Kardinal Rainer Maria Woelki angelehnt an ein berühmtes Willy-Brandt-Zitat: „Glaubende und Nicht-Glaubende versammeln sich an einem Ort, um über Themen zu sprechen, die alle gleichermaßen angehen, um über die Frage nach der Wahrheit und der Freiheit zu ringen." Angepeilt sei „eine Auseinandersetzung auf Augenhöhe, die die jeweils andere Position ernst nimmt." Der „kalte Krieg" zwischen Gläubigen und Nichtgläubigen sei „vorbei", so der Hauptstadterzbischof.

„Unser christlicher Glaube lebt aus eigenen Freiheitserfahrungen – individuellen und gemeinschaftlichen – und ist ein Glaube, der uns zu Gottsuchern macht, die das Gespräch mit jenen Nichtglaubenden suchen, die die Gottesfrage nicht einfach gleichgültig lässt und die am gemeinsamen Wohl der Stadt Berlin, der Hauptstadt unseres Landes Interesse haben."

Vor allem Protestanten – Fichte, Schleiermacher, Hegel – haben im 19. Jahrhundert in Berlin über Religion, Gott und den Menschen nachgedacht. Darum war es auch ein Protestant, der Kirchenhistoriker Christoph Markschies von der Humboldt-Universität, der die erste Debatte des „Vorhofs" moderierte. Konturen wurden da schnell sichtbar: Auch wenn es Gott nicht gäbe, dürfe doch noch keiner über die rote Ampel fahren, meinte der Philosoph Herbert Schnädelbach, Normen gälten also auch ganz ohne Bezug auf Gott. Und dem Soziologen Hans Joas waren die Begriffe – „Gott, Religion, Nichtglaubende" – zu „groß" und zu unbestimmt, um sie in einer solchen Debatte ständig im Munde zu führen.

„Selbst der Begriff Christentum ist viel zu groß, wir sehen da eine enorme Heterogenität. Ich denke, auf diesem Gebiet steigt das Niveau, wenn die Abstraktionsebene sinkt. Also, dass wir mehr reden sollten über konkrete Menschen, die glauben."

Joas kritisierte auch den Titel „Vorhof der Völker": Sicher sei diese Metapher gut gemeint, und der biblische Bezug sei ja auch klar, aber „Vorhof" klinge doch ausgrenzend, so als hätten Gläubige einen Sonderbereich für sich, als hätten sie die ganze Wahrheit und die anderen nicht. „Mit dieser Metapher kann man nicht gleichzeitig behaupten, dass man einen Dialog auf Augenhöhe will."

Der berührendste Moment der Debatte war es, als sich der Skeptiker Schnädelbach zu „religiösen Erfahrungen" bekannte: Ja, die habe er auch schon gemacht, aber er bringe sie eben nicht mit dem biblischen Gott in Verbindung. Das Gespräch im „Vorhof der Völker" ist schnell in Gang gekommen. (rv)

Kardinal Ravasi: „Brief Benedikts ist eine Art Lektion“

Aus einem „Vorhof der Völker" wird unversehens ein „Vorhof der Päpste": Binnen weniger Tage sind ein Brief von Papst Franziskus wie vom emeritierten Papst Benedikt XVI. an bekannte italienische Nichtglaubende bekannt geworden. Franziskus schrieb an den antiklerikalen Zeitungsmacher Eugenio Scalfari, Benedikt an den Mathematiker Piergiorgio Odifreddi. Kardinal Gianfranco Ravasi freut sich darüber; der Präsident des Päpstlichen Kulturrats, von Amts wegen im Gespräch mit Atheisten und Agnostikern, dreht das Gespräch mit dem Journalisten Scalfari an diesem Mittwoch unter dem Motto „Vorhof der Journalisten" weiter. Im Gespräch mit uns kommentiert Ravasi die Päpste-Briefe an bekannte Kritiker des Christentums.

„Wir erleben in diesen Tagen sicher etwas sehr Außergewöhnliches, etwas, das vorher keine übliche Praxis war. Zwei Päpste, der emeritierte und der jetzige, sind direkt in die Arena der Massenkommunikation, vor allem der journalistischen, gestiegen. Was besonders den Mathematiker Odifreddi betrifft, muss man noch zusätzlich darauf aufmerksam machen, dass Benedikt XVI. hier auf einen Text eingegangen ist, der auch durchaus provokant formuliert war. Das ist aus meiner Sicht auch eine Art Lektion – nicht nur für uns in der Welt der Kultur, sondern auch für die Seelsorge. Man darf also als Seelsorger oder überhaupt als Christ keine Angst haben, auf die Plätze rauszugehen, ins Getümmel der heutigen Kommunikation, um dort Rechenschaft vom eigenen Glauben zu geben."

Nun kommt der Brief Benedikts XVI. an Odifreddi, der am Dienstag auszugsweise bekannt geworden ist, aber nicht ohne Schärfe aus: „Was Sie über Jesus schreiben, ist Ihres wissenschaftlichen Ranges nicht würdig", urteilt der emeritierte Papst unter anderem. Und das dann doch kombiniert mit großer Wertschätzung dafür, dass der Mathematiker den Dialog gesucht hat. Ravasi dazu:

„Ich glaube, dass gerade unser Vorhof der Völker – die Stiftung also, die in verschiedenen Teilen der Welt das Gespräch mit Nichtglaubenden sucht – durchgehend diese doppelte Eigenschaft hat, die sich auch in dem Text von Benedikt XVI. zeigt. Vergessen wir nicht, dass der Vorhof der Völker direkt aus einer Idee entstanden ist, die Papst Benedikt (2009) in einer Ansprache an die Römische Kurie geäußert hat. Auf der einen Seite also ein anständiger Diskurs auf hohem Niveau, mit argumentativer Qualität, mit einer Intelligenz, die sich selbst befragt. Und auf der anderen Seite auch Anerkennung der Unterschiede, die bestehen: Hier darf der Dialog durchaus auch mal Härte zeigen – nicht Sarkasmus, aber eine Härte, die beiden Seiten ihre Identität beläßt. Und wenn die Identität des einen ein negatives Urteil verdient, muss man das auch direkt und wirksam sagen können!" (rv)

Vatikan: Mit nichtglaubenden Journalisten ins Gespräch kommen

RavasiIn der Reihe „Vorhof der Völker", die dem Gespräch mit Nichtglaubenden gilt, findet in Kürze erstmals ein „Vorhof der Journalisten" statt. Das hat an diesem Freitag der Päpstliche Kulturrat bekannt gegeben. Höhepunkt ist eine Debatte zwischen Kardinal Gianfranco Ravasi, dem Präsidenten des Rates und Initiator des „Vorhofs der Völker", und Eugenio Scalfari. Der Gründer der linksliberalen römischen Tageszeitung „La Repubblica" hatte jüngst einen Brief des Papstes erhalten, in dem dieser Fragen zur Glaube und Kirche beantwortete, die Scalfari öffentlich gestellt hatte. „Ich fühle mich wohl dabei, Ihre Fragen anzuhören und mit Ihnen gemeinsam die Wege zu suchen, auf denen wir vielleicht beginnen können, gemeinsam unterwegs zu sein", hatte Franziskus dem ehemaligen sozialistischen Senator geantwortet. Der „Vorhof der Journalisten" am 25. September verstehe sich als Etappe in diesem Sinn, heißt es aus dem Kulturrat. (rv)

Kardinal Ravasi: Papstbrief ist „Manifest“ des Vorhofs der Völker

Als „Manifest" im Dialog mit Nichtglaubenden sieht Kardinal Gianfranco Ravasi, der Präsident des Päpstlichen Kulturrates den Offenen Brief von Papst Franziskus. Der umtriebige Kardinal freut sich, dass Franziskus an Nichtglaubende geschrieben hat, denn dieses Thema beschäftigt auch Ravasi. Er organisiert den „Vorhof der Völker". Die Veranstaltungsreihe wurde 2009 von Benedikt XVI. ins Leben gerufen und bringt Vertreter der katholischen Kirche, Atheisten und Agnostiker miteinander ins Gespräch. Im Interview mit Radio Vatikan sagte Ravasi:

„Ich glaube, dass dieser Text von Franziskus in gewisser Weise zum Manifest des Vorhofs der Völker werden könnte – wegen seiner Inhalte, aber auch aufgrund der Methode des Dialogs an sich. Es gibt da einen bedeutungsvollen Satz: ,Der Gläubige ist nicht arrogant, sondern demütig‘. Das haben wir auch beim Vorhof der Völker immer wieder festgestellt. Der Glaube ist Licht und nicht dunkler, mysteriöser Schatten."
Franziskus‘ Offener Brief an die Nichtgläubigen, der am Mittwoch in der linksliberalen italienischen Tageszeitung „La Repubblica" veröffentlicht worden war, könne so quasi die Schirmherrschaft des „Vorhofs der Völker" vom 25. September in Rom übernehmen, so Ravasi. Zum Dialog zwischen Gläubigen und Nichtgläubigen werde auch der Gründungsherausgeber der „Repubblica", Eugenio Scalfari, erwartet. Genau er war der Auslöser für den jetzigen Brief des Papstes: Scalfari hatte unter dem Titel „Fragen eines Nichtglaubenden an den Jesuitenpapst, der sich Franziskus nennt" im Juli zuerst einen Offenen Brief an das Kirchenoberhaupt gerichtet. Die Antwort des Papstes druckte die Zeitung dann an diesem Mittwoch unter der Überschrift „Wahrheit ist nie absolut" ab. Dazu Ravasi:„Dieses nicht-absolut-Sein der Wahrheit – wie es ja Franziskus auch erklärt – ist lebendiger Ausdruck der Wahrheit. Die Wahrheit geht uns aufgrund ihrer Natur voraus, und sie übersteigt uns. Deshalb brauchen wir eine Beziehung zur Wahrheit, die uns umgibt. Für den Gläubigen ist das ganz klar etwas Göttliches, Transzendentales. Für den Nichtgläubigen ist es der Horizont, unter dem man sich bewegt."Für Kardinal Ravasi ist das ein gutes Fundament für einen fruchtbaren Dialog zwischen Gläubigen und Nichtgläubigen. (rv)

Vatikan/Frankreich: Was Kardinal Ravasi mit Camus verbindet

RavasiAn diesem Samstag endet der „Vorhof der Völker" in Marseille: Drei Tage lang ging es in der französischen Stadt um den Dialog zwischen Gläubigen und Nichtgläubigen, mit einem Schwerpunkt auf der Begegnung von Humanismus und Religion. Im Zentrum standen die Schriftsteller Albert Camus und Paul Ricœur. Am Donnerstag ging es in einer Konferenz um Camus' Werk „Die Pest". Der Präsident des Päpstlichen Kulturrates, Gianfranco Ravasi, war vor Ort mit dabei. Im Gespräch mit Radio Vatikan berichtet er, was er mit Albert Camus verbindet:

„Ich muss sagen, dass ich eine persönliche Beziehung zu Camus habe, denn in einem meiner aufwändigsten Werke zur Exegese, meinem Kommentar zu Hiob, gibt es ein Kapitel, das sich gerade der ,Pest' von Camus widmet. In diesem Roman des französischen Agnostikers gibt es eine schwierige Debatte über das Verhältnis von Gott und dem Bösen. Es scheint, als würde sich mit dem ,Vorhof der Völker' hier etwas wiederholen, was in Camus' Roman geschildert wird: Nämlich der dialektische Schlagabtausch zwischen der Romanfigur Dr. Rieux, der ein atheistischer Arzt ist, und dem Jesuitenpater Paleoux. Der Arzt ist schockiert und verwirrt, weil ein Kind an der Pest stirbt. Der Jesuitenpater versucht hingegen, die transzendenten Gründe zu sehen, die dieses Ereignis rechtfertigen können."

Es ist übrigens kein Zufall, dass es gerade beim „Vorhof der Völker" in Marseille in diesen Tagen um Camus und um die Pest ging, erklärt Kardinal Ravasi, der am Freitag das Hochfest des Heiligsten Herzen Jesu in der Basilika Sacré Cœur feierte:

„Die Feier zum Hochfest des Heiligsten Herzens Jesu verbindet sich mit einem historischen Ereignis, dass den Marseillern sehr am Herzen liegt: Es geht um die große Pestepidemie, die sich im Jahr 1720 wie ein Leichentuch über der Stadt ausbreitete. Die sogenannten ,échevins’, die Schreiber kümmerten sich damals darum und sie waren genau hier, wo man später die Sacré Cœur-Basilika errichtete. Aus diesem Grund wird der ,Vorhof der Völker' den wir jetzt hier in Marseille veranstalten aus einem Aspekt der bürgerlichen Religiosität vor Ort auch ,parvis du coeur’ genannt, also ,Vorhof der Herzen'."

Am Freitag wurde aber nicht nur das Hochfest gefeiert, der „Vorhof der Völker" widmete sich an diesem Tag auch dem zweiten Schriftsteller, dem christlichen Philosophen Paul Ricœur. Am letzten Tag des Dialogs zwischen Gläubigen und Nichtgläubigen in Marseille, also an diesem Samstag, steht hingegen die Jugend im Zentrum – mit einer neuen Ausgabe des „Vorhofes der Kinder".

Hintergrund:
Die Idee zum „Vorhof der Völker" hatte Papst Benedikt XVI.: Im Jahr 2009 machte er sich in seiner Weihnachtsansprache vor der Römischen Kurie für einen vertieften Dialog mit dem Atheismus stark. Zuständig für die Organisation des „Vorhof der Völker", der an jeweils unterschiedlichen Orten veranstaltet wird, ist der Päpstliche Kulturrat. (rv)

„Vorhof der Völker“ in Portugal zum Wert des Lebens

Die Vatikan-Initiative „Vorhof der Völker" macht Station in Portugal: in den Städten Guimarães und Braga, die 2012 EU-Hauptstädte der Kultur bzw. der Jugend sind. Bei den Debatten sucht die Vatikan-Stiftung, die dem Päpstlichen Kulturrat zugeordnet ist, das Gespräch mit Nichtglaubenden, diesmal zum Thema Leben. Papst Benedikt XVI. hat dem Leiter seines Kulturrats, Kardinal Gianfranco Ravasi, eine Botschaft mit nach Portugal gegeben. Darin nennt er es „ausgesprochen wichtig, den Wert des menschlichen Lebens angesichts einer um sich greifenden Kultur des Todes zu bekräftigen". Für einen Glaubenden sei das Leben „ein Geschenk Gottes, über das der Mensch nicht einfach selbst verfügen kann". „Wir sind kein zufälliges Produkt der Evolution", so der Papst wörtlich, „sondern jeder von uns ist Frucht eines Gedankens Gottes".

Wert des Lebens
„Aber warum diese Berufung auf Gott, um den Wert des Lebens zu betonen?" fragt Benedikt dann in der Botschaft. Und er antwortet „mit einer menschlichen Erfahrung". Wenn ein geliebter Mensch sterbe, dann sei das für den, der zurückbleibe, „das absurdeste Ereignis, das man sich nur vorstellen kann", weil der Geliebte doch verdient hätte, weiter zu leben. „Doch jemandem, der nicht liebt, erscheint derselbe Tod derselben Person als ein natürliches, logisches, keineswegs absurdes Ereignis." Benedikt wörtlich: „Wer von ihnen hat recht? Der, der liebt, oder der, der nicht liebt?"

Gott liebt jede Person
Die Haltung des Liebenden sei die richtige, „wenn jede Person von einer unbegrenzten Macht geliebt wird" – und genau hier liege „das Motiv, warum es korrekt ist, sich auf Gott zu berufen". Denn Gott liebe jede Person, „und darum verdient jede Person es, zu leben". Wörtlich schreibt der Papst: „Der Wert des Lebens wird völlig evident, wenn es Gott gibt. Darum wäre es gut, wenn auch Nichtglaubende so lebten, „als ob es Gott gäbe", denn wenn sie nicht ihr Leben auf der Grundlage dieser Hypothese gestalten, funktioniert die Welt nicht." (rv)

Die 58 Propositionen: Eine Zusammenfassung

Der Vatikan hat an diesem Samstag die endgültige Version der Propositiones vorgestellt, also der Vorschläge, die aus der Arbeit der Bischofssynode dem Papst zur Erstellung eines postsynodalen Schreibens übergeben werden. Es sind insgesamt 58, geordnet in vier Hauptteile.

Was ist Neuevangelisierung?
Nach einer Einleitung befasst sich ein erster Teil mit der Frage, was genau Neuevangelisierung sein will. Eng an den ursprünglichen Auftrag anschließend, den der Vater an den Sohn und der Sohn an seine Jünger erteilt habe, sei es nun Auftrag der Kirche, den Glauben weiterzugeben. Dies geschieht unter konkreten Umständen und unter Wahrung des kirchlichen Charakters. Weiter geht es um die Frage der Rolle der Kultur, der Erstverkündigung und um die Funktion und Wichtigkeit der Dokumente des Zweiten Vatikanischen Konzils als „vitales Instrument".

Der Kontext der Neuevangelisierung
Nach den eher grundsätzlichen einführenden Propositionen handeln die Nummern 13 – 25 vom konkreten Kontext, in dem die Neuevangelisierung stattfindet. Versöhnung und Menschenrechte werden genauso erwogen wie Religionsfreiheit, die kirchliche Soziallehre, Massenmedien und Kunst. Besondere Betonung findet das „Grundgesetz des Glaubens", die grundsätzliche Vereinbarkeit von Vernunft und Glauben. Die intellektuellen Anstrengungen, die vernünftige Einsicht in die Schöpfung [das Naturrecht] in den Dialog mit der Welt einzubringen, sei ein Weg zu einer „Theologie der Glaubwürdigkeit" (Nr. 17).

Was tut Neuevangelisierung?
Ein dritter Teil befasst sich mit den pastoralen Antworten auf diese Umstände (Propositiones 26 – 40). Wie sich in den Beratungen bereits gezeigt hat, liegt ein erstes Schwergewicht auf den Pfarreien und auf der Erziehung. Drei Propositionen behandeln das Feld der Erwachsenenbildung, Theologie und Katechese. Die Option für die Armen wird ebenfalls behandelt, denn Jesus identifiziere sich mit den Menschen in Not.
In einem weiteren Komplex der Propositionen geht es um die geistliche Dimension der Neuevangelisierung, um die Beichte und die Liturgie, um die Firmung und die Volksfrömmigkeit: Grundlinie ist hierbei immer die persönliche Begegnung mit Christus.

Wer sind die „Neuevangelisierer"?
Im vierten Teil geht es um die Akteure der Neuevangelisierung. Das wichtigste Subjekt sei die Ortskirche, denn Verkündigung hänge stark von den Umständen und Kulturen ab. Die Propositionen legen großen Wert auf Zusammenarbeit. Diese geschieht innerhalb eines Bistums, zwischen Bewegungen und Leitungsebene sowie zwischen einzelnen Initiativen. Die Rollen der Laien allgemein und der Frauen im Besonderen erfahren eine besondere Wertschätzung. Proposition 48 behandelt die während der Beratungen so wichtige Frage der Familien als Haus-Kirchen. Hier werden gescheiterte Familien und Ehen ebenso erwähnt wie die alleine lebenden Menschen. Hier brauche es besondere pastorale Anstrengungen. Ferner werden Priester, Ordensleute und die Jugend mit eigenen Propositionen bedacht. Für die Jugend seien vor allem der Youcat und die Weltjugendtage von besonderer Bedeutung.
Unter den kirchlichen Aktivitäten werden die Dialoge genannt, mit Nichtchristen, in der Ökumene und zwischen den Religionen. Die Synode fordert insbesondere zu einer Intensivierung des Dialoges mit dem Islam auf.

Propositio 57 fasst das zuvor gesagte zusammen: Verkündigung könne nur geschehen, wenn das Leben des Verkünders selbst nach dem Evangelium gestaltet sei: Auch der eigene Glauben müsse ständig erneuert werden, um geteilt werden zu können. Hier greifen die Propositionen die Aufforderung zur Selbstevangelisierung auf, ebenfalls ein prominentes Thema bei der Synode.

Zwei vatikanische Institutionen finden explizite Erwähnung in dem Dokument: Zum einen der päpstliche Rat zur Förderung der Neuevangelisierung, der Modell stehen solle für ähnliche Einrichtungen in den Bischofskonferenzen. Zum anderen der „Vorhof der Völker" des päpstlichen Kulturrates. (rv)

Vatikan/Italien: Die Mafia im Vorhof der Völker

Papst Benedikt, der Denker, hat ihn angeregt. Kardinal Ravasi, der „Macher", hat ihn umgesetzt: den „Vorhof der Völker", jene wandernde Begegnungsstätte zwischen Glaubenden und Nichtglaubenden, die der päpstliche Kulturrat seit genau einem Jahr in verschiedenen Metropolen Europas und außerhalb veranstaltet. Es sind große Debattenforen über verschiedene Themen, die das Zusammenleben zwischen weltanschaulich heterogenen Gruppen betreffen, Foren für Intellektuelle, gewiss, die sich punktuell aber auch Jugendlichen und allen anderen Interessierten öffnen. Der nächste „Vorhof der Völker" findet Ende März in Palermo statt, und er wird im Zeichen der Mafia stehen. Kardinal Gianfranco Ravasi erklärt im Gespräch mit uns:

„Palermo ist bedeutsam und auch originell wegen der beiden Stränge, die sich im Titel unserer Begegnung verflechten: Kultur der Legalität und multireligiöse Gesellschaft. Einerseits also das soziale Profil, die Legalität, die ununterbrochen von der Welt der Laien, Zivil, Politik, dekliniert wird. Die Legalität geht aber auch die spirituelle und religiöse Welt etwas an. Denken wir an die Märtyrer der Mafia, für die Palermo geradezu ein Sinnbild ist. Andererseits war Sizilien, wie seine Baudenkmäler zeigen, immer ein Kreuzungspunkt der Kulturen. Es ist in sich ein Zeugnis der Multireligiosität, des interreligiösen Dialogs."

Die Wahl des Ortes Palermo für den nächsten Vorhof der Völker zeigt den Willen der Kirche, ihren Einsatz gegen illegales Verhalten und „jede Degeneration des Rechts" wieder zu beleben, erklärte Ravasi. Er erinnerte daran, dass die Mafia längst eine sehr vielgestaltige Realität ist.

„Wenn man von der Mafia spricht, weiß man doch, dass das heute eine Definition von Phänomenen der Kriminalität, der Verletzung von Legalität und Recht ist, die Dimensionen weit jenseits der sizilianischen Mafia hat. Denken wir an die japanische Mafia. Wir müssen aber auch sagen, dass in der Stadt Palermo eine bestimmte Betriebsamkeit, ein Ferment da ist, da können wir von Institutionen wie der Antimafia reden, aber auch von pastoralen Zeugnissen. Viele solcher Einrichtungen werden übrigens am letzten Abend, der den Jugendlichen offen steht, anwesend sein. Sie zeigen, wie grundlegend die kirchliche moralische religiöse Dimension für den Schutz des Rechtes ist. Besonders weil der Schutz des Rechtes über das Gewissen des Einzelnen läuft. Und so lang man nicht ein neues Volk gebiert, besonders über den Weg der Bildung und der Jugendarbeit, kann man nicht wirklich sagen, dass sich eine neues Zeitalter einer besseren Zivilisation als die heutige auftut."

Der Vorhof der Völker startete im März 2011 in Paris und gastierte seither unter anderem in Bukarest, Tirana und Rom. (rv)

Paris: Gespräche mit Atheisten

Vor dem Fest von Notre Dame standen am Freitag die ersten akademischen Debatten des „Vorhofs der Völker": Die neue Dialogstiftung des Heiligen Stuhls gastierte an den beiden glänzendsten Adressen des intellektuellen Paris, nämlich an der „Académie Francaise" und im Großen Auditorium der Sorbonne-Universität. Ein Tag des Ringens um Gott und den Menschen – Stefan Kempis war dabei.
 „Das war eher über die Köpfe der Anwesenden hinweg; es gab, glaube ich, vielleicht zehn Spezialisten im Saal, die dem folgen konnten."
Ein etwas harsches Urteil, das Franz Kronreif da über die Sitzung des „Vorhofs der Völker" an der Sorbonne fällt. Der Wiener ist selbst ein Spezialist im Gespräch zwischen Glaubenden und Nichtglaubenden: Er engagiert sich auf diesem Feld schon seit vielen Jahren, von Seiten der katholischen Fokolarbewegung. Die Debatten der Professoren an der Sorbonne schienen ihm ohne Praxisbezug.
„Außerdem ist in diesem Dialog bisher kaum etwas von der aktuellen Weltlage eingeflossen: In Japan geht der Reaktor hoch, in Libyen wird gekämpft, und es gibt eine Reihe von anderen Problemen (Wirtschaftskrise usw.) – das wurde nicht im geringsten angesprochen. Aus meiner Sicht hätte das stärker mit einbezogen werden müssen. Nur kann man natürlich auch nicht alles an einem Tag machen."
Und dennoch: Insgesamt ist Kronreif beeindruckt vom Start des „Vorhofs der Völker". Er staunt nicht nur über die Ressorcen, die der Vatikan da aus dem Stand mobilisieren konnte. Sondern auch darüber, dass der Päpstliche Kulturrat gleich auf Augenhöhe mit dem intellektuellen Paris ein solches Gespräch in Gang bringt. „Wir sollten bei unserem Dialog versuchen, wieder die richtigen Fragen zu stellen", meinte der Professor Jean-Luc Marion in der Sorbonne:
„Glaubende wie Nichtglaubende haben doch oft ein ähnliches Gottesbild – sie glauben beide, dass Gott in seinem Wesen unaussagbar ist. Beide schauen doch, wenn es um Gott geht, in die gleiche Richtung – unabhängig davon, ob sie an ihn glauben."
„Also, ich bin einerseits sehr beeindruckt von der Ernsthaftigkeit und der Intensität der Bemühung, zu einem Dialog wichtiger weltanschaulicher Strömungen der Jetztzeit zu kommen."
Das sagt Walter Baier: Der frühere Vorsitzende der Kommunistischen Partei Österreichs gibt heute eine Zeitschrift heraus und sieht sich selbst als einen gelassenen Agnostiker.
„Es ist ja schon fast trivial, jetzt auf die Katastrophe in Japan Bezug zu nehmen, aber was diese Ereignisfolge zeigt, ist einerseits die Zerbrechlichkeit der menschlichen Existenz und zweitens das hohe Ausmaß der Verantwortung, die der Mensch für seine Mitwelt (die Schöpfung, wenn Sie so wollen) zu übernehmen hat. Und das kann man sich doch eigentlich nur vorstellen durch das Zusammenwirken von sehr unterschiedlichen Kräften."
Diese Zusammenarbeit von Glaubenden wie Nichtglaubenden für eine humanere Welt wurde am Freitag vor allem in der „Académie Francaise" beschworen, im Tempel der so genannten „Unsterblichen" direkt am Ufer der Seine.
„Ich stimme der Grundhypothese zu, dass das nur ein Dialog ohne Exklusivität, ohne Synkretismus sein kann und dass die gemeinsame Basis die gemeinsame Humanität ist. Ich glaube, das ist aktuell, und es ist politisch, kulturell und zivilisatorisch ein Gebot der Zeit."
Dass der Papst mit seiner Initiative etwas sehr Wichtiges in Gang bringt, findet auch Rémi Brague: Der katholische Intellektuelle ist – wie übrigens auch Benedikt XVI. – Mitglied der Pariser „Akademie für moralische und politische Wissenschaften". Wenn er dem Papst einen Rat geben könnte, dann wäre es dieser:
„Die Vernunft – halten Sie an der Vernunft fest, denn damit haben Sie einen wichtigen Ansatzpunkt gefunden. Geben Sie nicht der Versuchung nach, die Vernunft durch irgendwelche Sentimentalitäten zu ersetzen… aber diese Gefahr sehe ich beim heutigen Papst ohnehin nicht so gegeben."
Immer wieder wurde am Freitag von katholischer Seite aus die Gottesfrage beschworen; auch der Papst selbst sprach sie in seiner Videobotschaft am Abend an. Wer Gott suche, finde den Menschen, so Benedikt. Doch so mancher Agnostiker wie etwa Baier mochte sich im „Vorhof der Völker" nicht darauf einlassen:
„Ich weiß nicht, ob ich mir einen solchen Zynismus erlauben kann – aber ich glaube schon, dass der Papst die Gottesfrage überschätzt."
Auch solcher Freimut gehört zu einem echten Gespräch, draußen im „Vorhof der Völker". (rv)