Ankunft des Papstes in Berlin – jetzt geht er los, der mit Spannung erwartete Staatsbesuch zu Hause. Benedikt wird am Donnerstag Morgen auf dem Berliner Flughafen Tegel mit 21 Salutschüssen begrüßt. Es ist seine 21. internationale Auslandsreise – und schon die dritte nach Deutschland, aber die erste in die Hauptstadt. Bei kräftigem Wind ein Händedruck mit Bundespräsident Christian Wulff und seiner Frau, mit Kanzlerin Angela Merkel und fast dem gesamten Bundeskabinett.
Dann geht`s zur offiziellen Begrüßungszeremonie nach Schloß Bellevue im Westteil von Berlin. Hier erklingen bei Sonnenschein die Nationalhymnen, und Benedikt setzt mit seiner seiner ersten Rede auf deutschem Boden den Akzent dieser Visite. Auch wenn dieser Besuch ein offizieller sei, so komme er doch nicht, „um bestimmte politische oder wirtschaftliche Ziele zu verfolgen, sondern um den Menschen zu begegnen und über Gott zu sprechen".
„Der Religion gegenüber erleben wir eine zunehmende Gleichgültigkeit in der Gesellschaft, die bei ihren Entscheidungen die Wahrheitsfrage eher als ein Hindernis ansieht und statt dessen Nützlichkeitserwägungen den Vorrang gibt. Es bedarf aber für unser Zusammenleben einer verbindlichen Basis, sonst lebt jeder nur noch seinen Individualismus. Die Religion ist eine dieser Grundlagen für ein gelingendes Miteinander. „Wie die Religion der Freiheit bedarf, so bedarf auch die Freiheit der Religion". Dieses Wort des großen Bischofs und Sozialreformers Wilhelm von Ketteler, dessen zweihundertsten Geburtstag wir in diesem Jahr feiern, ist heute nach wie vor aktuell."
Freiheit brauche „die Rückbindung an eine höhere Instanz", so Benedikt: „Dass es Werte gebe, „die durch nichts und niemand manipulierbar sind", sei „die eigentliche Gewähr unserer Freiheit". Und ohne Solidarität gebe es gar keine Freiheit:
„Was ich auf Kosten des anderen tue, ist keine Freiheit, sondern schuldhaftes Handeln, das den anderen und auch mich selbst beeinträchtigt. Wirklich frei entfalten kann ich mich nur, wenn ich meine Kräfte auch zum Wohl der Mitmenschen einsetze. Das gilt nicht nur für den Privatbereich, sondern auch für die Gesellschaft. Diese hat gemäß dem Subsidiaritätsprinzip den kleineren Strukturen ausreichend Raum zur Entfaltung zu geben und zugleich eine Stütze zu sein, damit sie einmal auf eigenen Beinen stehen können."
Das war gleich ein sehr grundsätzlicher Einstieg in die Papstreise: eine Vorlage für den Auftritt im Deutschen Bundestag vom Nachmittag.
„Die Bundesrepublik Deutschland ist durch die von der Verantwortung vor Gott und voreinander gestaltete Kraft der Freiheit zu dem geworden, was sie heute ist. Sie braucht diese Dynamik, die alle Bereiche des Humanen einbezieht, um unter den aktuellen Bedingungen sich weiter entfalten zu können. Sie braucht dies in einer Welt, die einer tiefgreifenden kulturellen Erneuerung und der Wiederentdeckung von Grundwerten bedarf, auf denen eine bessere Zukunft aufzubauen ist."
Vor dem Papst hatte Bundespräsident Wulff das Wort ergriffen: Der katholische Politiker sprach diesmal nicht von der „bunten Republik Deutschland", doch er zeichnete durchaus ein Porträt des Staates, den Benedikt jetzt besucht.
„Sie kommen in ein Land, dessen Geschichte und Kultur eng verflochten sind mit dem christlichen Glauben und mit dem Ringen um diesen Glauben… Sie kommen auch in ein Land, in dem der christliche Glaube sich nicht mehr von selbst versteht, in dem die Kirche ihren Ort in einer pluralen Gesellschaft neu bestimmen muss. Auch hier in Berlin, wo Ihre Reise beginnt, ist das spürbar."
Es sei „wichtig, dass die Kirchen den Menschen nahe bleiben, dass sie sich trotz Sparzwängen und Priestermangel nicht auf sich selbst zurückziehen", meinte Wulff. Kirche und Staat seien zwar „zu Recht getrennt".
„Aber: Kirche ist keine Parallelgesellschaft. Sie lebt mitten in dieser Gesellschaft, mitten in dieser Welt und mitten in dieser Zeit. Deswegen ist sie auch selbst immer wieder von neuen Fragen herausgefordert: Wie barmherzig geht sie mit Brüchen in den Lebensgeschichten von Menschen um? Wie mit den Brüchen in ihrer eigenen Geschichte und mit dem Fehlverhalten von Amtsträgern? Welchen Platz haben Laien neben Priestern, Frauen neben Männern? Was tut die Kirche, um ihre eigene Spaltung in katholisch, evangelisch und orthodox zu überwinden?"
Er freue sich darüber, dass die katholische Kirche in Deutschland einen Dialogprozess begonnen habe. Die engagierten Laien versprächen sich sehr viel davon – „und die Kirche braucht sie doch alle", so Wulff. (rv)